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Freitag, 25. März 2011

Durch die Kürze zwickt die Schürze

Durch Stress und Zeitmangel werde ich die Filme der letzten 4 Wochen nur kurz besprechen:

DER LETZTE KAMPF DER TODESKRALLE
(SI WANG TA)
Hongkong 1981
Regie: Ng See Yuen, Sammo Hung, Corey Yuen

Offizielle Fortsetzung von Robert Clouses halb-offiziellem Bruce-Lee-Film. Sorgfältig in der Kaschierung weil man den echten Lee nicht präsentieren kann, schleppend im Tempo der Narration und mit Karate-Tiger-Lee Tai Chung Kim in der Hauptrolle besetzt. Ein typisches Beispiel des Nachverwertungskinos der Hongkong-Filmindustrie.


NUMMER 17
(NUMBER 17)
Großbritannien 1932
Regie: Alfred Hitchcock

Sensationelles Frühwerk, das gerade aufgrund seiner zerfahrenen, gegen Ende nicht mehr vorhandenen Struktur experimentellen Willen zeigt. Von Hitch später als "Katastrophe" bezeichnet, tatsächlich ein herrlich infantiler Beweis seiner inszenatorischen Geschicklichkeit Spannung aus dem Nichts entstehen zu lassen. Gerade die Modellzugfahrt ist zeitloses Montagewerk.


MATRIX RELOADED
(THE MATRIX RELOADED)
USA 2003
Regie: Andrew Wachowski, Larry/Lana Wachowski

Konsequente Fortsetzung, die das tautologische Philosophie-Erst-Semester-Stündchen des Originals zu einer Geschichte mit Richtung entwickelt. Bin gespannt auf den Dritten.


SAW IV
(SAW IV)
USA 2007
Regie: Darren Lynn Bousman

Fast schon vollständig vergessene Belanglosigkeit in der typischen auf vor-kognitiven Prozessen setzenden Affektwirkung der Gewalt, die so nachhaltig ist wie ein Furz im Wind.


PLATTFUSS AM NIL
(PIEDONNE D'EGITTO)
Italien 1979
Regie: Steno

Endgültig im Kinderprogramm angekommener Plattfuß-Film, der durch seine Synchro und Arnold Marquis den eigentlichen Film entwickelt.


KOMMANDO LEOPARD
(COMMANDO LEOPARD/COMMANDOS LEOPARD)
Italien / Schweiz / BR Deutschland 1985
Regie: Antonio Margheriti

Brillanter Mittelteil aus Margheritis Söldner-Trilogie, der vor allem im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen in der arabischen Welt nichts von seinem Zeitbezug eingebüßt hat. Der internationale Cast (Lewis Collins, Klaus Kinski, John Steiner) sorgt für Sprengmaterial. Allein, dass sich aufgrund der sprachlichen Unterschiede keine wirkliche mimische Kommunikation ergeben kann bzw, diese simuliert werden muss bzw. Kinski und Collins nie eine gemeinsame Szene haben (sie hassten sich) macht den Film auf Kamera- und Schnittebene zusätzlich interessant. Nebenbei fantastische Scopebilder und tolle Eastmanfarben. (@Whoknows: Und einer der teuersten Schweizer Filme aller Zeiten)


DER GRÖSSTE SCHLAG DER TODESKRALLE
(DA JUAN TAO)
Hongkong / Taiwan 1977
Regie: Jimmy Shaw

Die Schlacht der Epigonen. Bud Spencer vs. Bruce Lee, nur heißt das hier Paul Smith vs. Bruce Li. Eine in den üblichen Taiwankulissen der Princesscompany gedrehte Easternrangelei, die das nicht eingelöste Versprechen Bruce Lee auf Ilsa treffen zu lassen dann eben sorum wahr macht. Vor allem die von Klaus Schulze geklaute Elektromucke macht Laune.


DER TIGER HETZT SIE ALLE
(CONSPIRACY)
Taiwan 1976
Regie: Fei Lung Huang

Weiterer Film aus der Bruceploitation-Ecke, diemal mit Bruce Le, Bolo Yeung und den anderen üblichen Verdächtigen. Da dieser Film durch Uwe Schier veröffentlicht wurde, gibt es eine geniale Bahnhofssynchro vom Eder Michael und jede Menge geklaute Musik (u.a. von DIE WARRIORS). Für meine Holde und mich ein endgeiles Bierabenderlebnis.


DIE KILLER-MASCHINE
(GOMA-2)
Spanien 1983
Regie: José Antonio de la Loma

Mexikos Superstar Jorge Rivero in einem eiskalten und farblich unangenehmen Rachethriller. Der reale Konflikt der damals Lastwagen anzündenden Franzosen, die gegen Billig-Obst-Importe rebellierten und europäische Autobahnen zu einem Kriegsschauplatz machten, arbeitet mit der ausweglosen Verdichtung die ein weiteres Mal den (Anti-)Helden in der Gefangenschaft des Existenzialismus zeigt. Er ist schon tot, muss aber noch die anderen töten. Die Interzone und das Ende der Figur/des Films wird mit dem Freeze-Frame in einer - wie ironisch - Eis- und Schneelandschaft eingefangen. Der Film ist kalt und grau wie die Autobahnen, die er zeigt.


JOE, DER GALGENVOGEL
(PREPARATI LA BARA!)
Italien 1967
Regie: Ferdinando Baldi

Spaßversion des Westerns DJANGO UND DIE BANDE DER GEHENKTEN mit Terence Hill und Horst Frank. Unerträglich!


EXTERMINATOR II
(EXTERMINATOR II)
USA 1984
Regie: Mark Buntzman

Verdichtungskino par excellence. Es gibt keinen Zwischenraum mehr zwischen (sic). Signifikat und Signifikant fallen dank der Montage zusammen. Nicht so formalökonomisch brillant wie bei Carpenter, sondern schon wieder eher überladen und laut, uneinheitlich. Ganz großes Zeitbild!


WOODOO BABY - INSEL DER LEIDENSCHAFT
(VOODOO BABY)
Italien / Dominikanische Republik 1980
Regie: Joe D'Amato

Einer der vielen Inselausflüge D'Amatos, der schon ein wenig Hardcore beinhaltet, sowie Semi-Star Richard Harrison und die auf Alt-Lesbe gemachte Nieves Navarro. Kann kameratechnisch nicht mit D'Amatos Frühwerk mithalten, erhält aber filmhistorischen Wert durch den Versuch Hardcore-Pornographie in eine Spielfilmhandlung zu integrieren, ohne einen Film zu drehen, der als Hardcore-Porno deklariert werden will/soll/sollte. Blow-Jobs und Fickszenen in einem Ehedrama um verlorene sexuelle Kraft.


DAS SCHLITZOHR UND DER BULLE
(IL TRUCIDO E LO SBIRRO)
Italien 1975
Regie: Umberto Lenzi

Tomas Milian ist Monezza. Mehr braucht es nicht, mehr will ich nicht.


DER MANN, DER ZUVIEL WUSSTE
(THE MAN, WHO KNEW TOO MUCH)
Großbritannien 1934
Regie: Alfred Hitchcock

Mutterliebe durch ein Gewehr geschossen. Vaterliebe durch Gefühlskälte. Verbrecherliebe durch Gegensätze. Realität im Unwirklichen. Wirkliches im Realen. Interessant, nicht mehr, aber auch nicht weniger.


TI LUNG - DER TÖDLICHE SCHATTEN DES MR. SHATTER
(SHATTER)
Großbritannien / Hongkong 1974
Regie: Monte Hellman / Michael Carreras

Allein die Existenz dieses Filmes verdient Beachtung. Monte Hellman (!) dreht einen Eastern (!!). Auch wenn Carreras ihn feuerte, so ist Hellmans Handschrift unverkennbar. Tote Atmo lässt uns mit den Gesichtern der Schauspieler allein. Wir müssen ihre Figuren ertragen, hinter die Oberfläche blicken, die Genrecodes drängen sich auf, wirken befremdlich. Was zur Konvention geronnen, muss wieder erarbeitet werden. Ti Lung mal ganz anders als in den Shaws. Reduziert heruntergebrochener Realismus in den Actionszenen. Bodenständige Martial Arts trifft auf blutige Shootouts. Den Comic nie wirklich erreichend. Das geflüsterete "Shatter" auf der Soundtrackspur erfüllt mich auch am Ende.


WARRIORS OF FIRE
(NINJA AND THE WARRIORS OF FIRE)
Hongkong 1986
Regie: Godfrey Ho

Ein weiteres "Cut and Paste"-Werk von Godfrey Ho, diesmal aus dem Hause Filmark, was für einen höheren Unterhaltungswert spricht als die IFD-Produktionen von Joseph Lai. Grundlage für diesen Film war der taiwanesische Rape-and-Revenge-Thriller QUEEN BEE. Wie üblich laufen die beiden Handlungsstränge um Ninjas und Verbrechergeschichte nur durch Telefongespräche und Fotos zusammen. Aus medienwissenschaftlicher Sicht interessant, da damit sowohl Übertragungs- und Transportmedien, als auch Fixier- und Speichermedien genutzt werden Handlungsräume und Realitäten zu verknüpfen. Ansonsten schweinegeiles Teil mit einer heißen Vengeance-Lady in Leder und High Heels und jeder Menge Tätowierungen.


DIE RACHE DES WEISSEN INDIANERS
(JONATHAN DEGLI ORSI)
Italien / Russland 1993
Regie: Enzo G. Castellari

Tja, was soll ich da noch sagen. Castellari hat nicht nur eine Art Keoma-Fortsetzung gedreht, sondern bewiesen, wozu das italienische Genrekino auch in den 90ern noch befähigt gewesen wäre. Wie Castellari es ein weiteres Mal schafft Symbolkitsch so gravitätisch zu präsentieren, dass ich während der Betrachtung heulen musste, war nicht nur eine katharsische Erfahrung, sondern hat in puncto emotionaler Anbindung DIE RACHE DES WEISSEN INDIANERS schon jetzt zu einem der Filme meines Filmjahres 2011 gemacht.


DEATH RACE
(DEATH RACE)
USA / Großbritannien / Deutschland 2008
Regie: Paul W.S. Anderson

War jetzt bei der Zweitbetrachtung schon besser. Ich mache bei solchen Filmen einfach immer noch zu häufig den Fehler Norma Feshbachs "Empathie-Theorie" zu folgen. War deswegen jetzt ein ziemliches Brett mit Dumpfheitsgarantie. Mainstream-Trash wie ich ihn mir gefallen lasse.


EXTRALARGE: DER KLEINE MIT DER GROSSEN KLAPPE
(EXTRALARGE: JO-JO)
Italien / USA / Deutschland 1991
Regie: Enzo G. Castellari

Weiterer Film der lahmen Extralarge-Reihe. Schon traurig, womit Spencer und Enzo nach dem Zusammenbruch der italienischen Filmindustrie ihr Geld verdienten.


DER HAMMER
(NO HOLDS BARRED)
USA 1989
Regie: Thomas J. Wright

Der deutsche Titel sagt alles. Da fliegt einem glatt das Blech weg. Es hätte nur noch gefehlt, dass einer der Wrestler seine eigene Kotze gröhlend vor Lachen aus dem Maßkrug säuft.


FIREBACK - ICH WILL KEINE GNADE
(FIREBACK)
Philippinen 1983
Regie: Teddy Page

Der endgültige Beweis, dass Richard Harrison der Vater von Chuck Norris ist.


EXTRALARGE: DIE FORMEL DES TODES
(EXTRALARGE: MOVING TARGET)
Italien / USA / Deutschland 1990
Regie: Enzo G. Castellari

Letzter Extralarge-Film mit Philip Michael Thomas und genauso langweilend und unzusammenhängend wie die anderen. Allenfalls Castellaris Zeitlupenstudien verdienen Interesse.


EXTRALARGE: DER HERR DER SONNE
(EXTRALARGE: LORD OF THE SUN)
Italien / USA / Deutschland 1993
Regie: Alessandro Capone

Ich muss es leider sagen: Capone weiß diese Formula-Movies mit mehr Tempo und Witz umzusetzen als der große Castellari. Gebrauchsware eben. Außerdem ist Michael Winslow der bessere Dumas.


ZWEI TROTTEL GEGEN DJANGO
(DUE RINGOS NEL TEXAS)
Italien 1967
Regie: Mario Girolami

X-ter Film des Gespanns Franco & Ciccio, deren Burlesken und Grimassen nie an Totò oder Jerry Lewis heranreichen (oder was die Grimassen angeht vielleicht doch) und der von Castellaris Vater Mario noch zielloser inszeniert ist, als die sonstigen Filme des national vielleicht erfolgreichsten Komikerduos in der italienischen Filmgeschichte.


NINJA COMMANDMENTS
(NINJA COMMANDMENTS)
Hongkong 1987
Regie: Joseph Lai, Godfrey Ho

Diesmal wurde Richard Harrison in ein thailändisches Familiendrama reingeschnitten.


DIE MACHT DER NINJA
(NINJA'S FORCE)
Philippinen 1984
Regie: Teddy Page

Jetzt mal wieder ein integraler Ninja-Film. Der kleine Spanier Romano Kristoff - den meine Frau irgendwie niedlich fand - mordet sich durch einen Ring geistesgestörter Weltbeherrschungspläne habender Typen durch. Mit der Musik aus DER BLADE RUNNER nett aufgewertet.


DESERT HAWK
(DESERT HAWK)
Israel / USA 1992
Regie: Isaac Florentine

Florentines Regiedebut lässt bereits sein Spielen mit Raum und Zeit bei der Choreographie von Fight-Szenen erahnen, als auch in fordesker Weise die Symbolik einer jeden Szene zu spüren ist. Außerdem gibt's ein Wiedersehen mit Paul Smith. War okay!


DAS FRAUENLAGER DER NINJA
(SHADOW KILLER TIGER FORCE)
Hongkong 1986
Regie: Godfrey Ho

Dadurch, dass auch der Grundfilm, den man verwendete, in ein Schnittmassaker verwandelt wurde, um zum Ninja-Hokus-Pokus zu passen, eine echte Herausforderung. Einfach nur Wahnsinn!


SKINNY TIGER & FATTY DRAGON
(SHOU HU FEI LONG)
Hongkong 1990
Regie: Chia Yung Liu

Mit Sammo Hung und Karl Maka zwei in ihrer Komik völlig gegensätzliche Schauspieler, die hier in eine kantonesische Burleske gepackt werden. Saukomisch.


ICH, DER RICHTER
(I, THE JURY)
USA 1981
Regie: Richard T. Heffron

Völliger Fehlschlag! Und ich fall immer wieder darauf rein. Jetzt schon zum zehnten Mal.


NINJA - THE PROTECTOR
(NINJA - THE PROTECTOR)
Hongkong 1986
Regie: Godfrey Ho

Diesmal ein taiwanesisches Erotikdrama. Richard Harrison räumt in der Unterwelt Hongkongs auf und ist ein weiteres Mal der Grandmaster of Ninjas.


NINJA SHOWDOWN
(NINJA SHOWDOWN)
Hongkong 1987
Regie: Joseph Lai, Godfrey Ho

Ein thailändisches Bauernmelodram. Die Filme ab 1987 sind sogar noch unzusammenhängender, weil man jetzt schon Szenen aus der Zusammenstückelung neu zusammenstückelt.


KINJITE - TÖDLICHES TABU
(KINJITE - FORBIDDEN SUBJECTS)
USA 1988
Regie: John Lee Thompson

Hochglanz-Sleaze!


ZWEI TROTTEL GEGEN GOLDFINGER
(DUE MAFIOSI CONTRO GOLDGINGER)
Italien 1965
Regie: Giorgio Simonelli

Vorzügliche Parodie auf die Bond-Filme, mit allen queeren Anspielungen, die Mike Myers 30 Jahre später in seinen Austin-Powers-Filmen wiederverwendete. Franco & Ciccio in Hochform.

Freitag, 4. März 2011

Körpersurrogate



Der Dekadenwechsel der 1970er auf die 1980er stellt für mich soziokulturell den interessantesten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Das Ende des Kalten Krieges war noch nicht ersichtlich - freudig verklärender Einheitstaumel also noch nicht das bestimmende Element der Deutschen und die Vereinnahmung einer zweiten Welt in den Konsumapparat noch nicht wirtschaftsbestimmend - und das Aufbrechen der Gesellschaft in den 60ern führte zu Beginn der 70er zu einer Implementierung devianter Lebensentwürfe. Die Dekonstruktion der Familie, der Ehegemeinschaft, die Legalisierung homosexueller Lebensgemeinschaften und der Pornographie, die Diskussionen um Gleichberechtigung benachteiligter Gruppierungen aller Art, das Konsumieren von Drogen (der Kunstlehrer eines Bekannten stellte sich in den 70ern öfters für LSD- und Meskalin-Versuche zur Verfügung, die man an Universitäten durchführte und mittels Schwarzem Brett Versuchspersonen suchte) usw. Die angestoßenen Hoffnungen, Wünsche und Veränderungen des Dekadenumbruchs der 60er/70er werden bis heute in der Gesellschaft weiter verhandelt und sollen in ihr immer weiter verankert werden. Wirklich Neues hat sich seitdem nicht getan. Die Verwirrung einer Jugend, die nicht mehr - wie noch in den 60ern und 70ern - auf den Schultern der "Opa-Generation" stand und seit den 80ern bis heute eine jede Subkultur vom Kommerz hat schlucken lassen (eine Anschuldigung, von der ich mich selbstverständlich auch nicht frei machen kann), ist  da noch mal ein völlig anderes Thema.

Heat of the Night
Die große Frage von den 70ern auf die 80er war nämlich nun, wo es mit einer Gesellschaft, in der jetzt auch der Bieder-Mann ganz öffentlich zu (scheinbar) minderjährigen Darstellerinnen masturbieren dufte und Frauen ihren Mann und die Kinder verlassen konnten und darauf ein jedes Recht hatten, ohne automatisch als schlechte Mütter zu gelten (1979 sogar schon im Hollywood-Mainstream angekommen, siehe KRAMER VS. KRAMER), eine Gesellschaft, die sich gleichzeitig hochrüstete, um in der Lage zu sein die Erde mehr als 70mal (Stand 1983) vernichten zu können und sich politisch in der Alternativlosigkeit eines binärkodierten Ost-/Westsystems befand, hingehen sollte: nach Innen.

Das Leben imitiert die Hochglanzwelt. Posieren wie im Magazin
New York war in den 70er/80er Jahren die Stadt, die all diese Aspekte über Gebühr auf den Punkt brachte, wirkte sie doch - insbesondere in ihren medialen Darstellungen der Zeit - selbst wie kurz vor dem Auseinanderfallen. William Lustig gehört dann auch zu dem Stereotyp des Filmemachers/Künstlers, der zwischen Grindhousekino, Pornoproduktionen, bei denen er als Assistent und später Regisseur tätig war, New Yorker Sub-Szenen und der Mitarbeit an typischen "New-York-Filmen" (u.a. dem French-Connection-Spin-Off DIE SEVEN-UPS und dem kontroversen EIN MANN SIEHT ROT) hin und her pendelte und schließlich mit Joe Spinell auf einen anderen New Yorker traf, der im Sinne eines Libertin ebenfalls einen etwas aus dem Rahmen fallenden Lebensstil führte. So wurde Spinell auch die treibende Kraft hinter dem Projekt MANIAC (1979) und es entstand ein Film, der die Zeit, den Dekadenwechsel, die Ereignisse im Rücken und den Ausblick auf das was kommen würde, in sich trägt.

Frank geht zur "Arbeit"
Frank Zito lebt in New York im Stadtteil Queens in einer Kellerwohnung. Die Wohnung besteht lediglich aus einem Raum, ohne Fenster und erinnert in ihrer Einrichtung an ein Kinderzimmer. Die Wände sind lila gestrichen, Spielzeug und eher martialische Utensilien wie Messer, eine Machete und Schusswaffen liegen herum. Herausstechend sind die zahlreichen Schaufensterpuppen, die unterschiedlich gekleidet und in unterschiedlichen sozialen Situationen eines Haushalts angeordnet sind. Frank hatte einen schlimmen Alptraum, in dem er ohne erkennbaren Grund ein verliebtes Paar an einem Strand bei Nacht getötet hat. Mit einem markerschütternden Schrei erwacht er aus diesem Traum. Nachdem er etwas weint und sich dann wieder beruhigt, zieht er sich an und verlässt seinen Keller, als würde er gleich zur Arbeit gehen. Es ist Nacht. Er hat etwas zu erledigen. Er muss Menschen umbringen.

Explosion eines Kopfes. Physiologische und Physikalische Auflösung in extremster Form
Der Serienmörder ist eines jener Phänomene der Moderne (Ende des 19. Jahrhunderts vor allem durch Jack the Ripper in die Öffentlichkeit gelangt) welches kriminologisch und psychologisch kaum existiert und doch medial immer wieder aufgegriffen wird. Bereits in den 1920ern haben sich große Regisseure wie Paul Leni, Hitchcock oder Gregor Wilhelm Pabst und Fritz Lang des Themas angenommen. Insofern war ein Wiederaufflammen der Serienkillerthematik in den amerikanischen Medien der 70er, vor allem aufgrund der gerade zu diesem Zeitpunkt heiß diskutierten "Ted Bundy"-Morde, erst mal nichts Ungewöhnliches. Der Mythos des Serienmörders ließ sich immer wieder heraufbeschwören, um eine Gesellschaftsbedrohung zu zeigen, die so viel abgründiger und unverständlicher erschien als Verbrechen mit einfachen pekuniären Hintergründen oder emotionale Affekttaten. Was ist also anders am hier besprochenen Film? Im Grunde alles, denn das "Was" eines Filmes ist i.d.R. erst in zweiter Instanz relevant (alle Geschichten wurden schon lange erzählt) und somit ist das "Was" das hier anders ist wie bei den meisten Filmen das "Wie". Wie Lustig die Geschichte seines Serienmörders erzählt und was er uns dadurch erfahrbar werden lässt, sprengt die üblichen Dimensionen affirmativ inszenierter Serienmörderfilme, Slasher, Torture-Porn-Movies oder ähnlicher auf einen Voyeurismus setzender Werke. Dieser Film will wirklich weh tun.

Sind wir gemeint?
Erreicht wird dies auf mehreren Ebenen. Zum einen in der Narration. Wir sind vom ersten Augenblick an allein mit Frank Zito. Erst sind wir in seinen Träumen, dann in seiner Wohnung, dann allein mit ihm und seinen Opfern und dann wieder in seiner Wohnung. Ständige Selbstgespräche, die mal an eine seiner Schaufensterpuppen, dann fast wie coram publico und dann wieder in ein leeres Nichts adressiert werden, begleiten uns nicht nur, sondern ziehen uns immer stärker in seine Gedankenwelt. Die Unerträglichkeit dieser Szenerie wird von Lustig nicht aufgebrochen. Erst nach knapp 50 Minuten findet ein derartig elliptischer Bruch statt, dass man meint ein großes Stück vom Film verpasst zu haben. Die Dramaturgie steuert gnadenlos von einer Mordtat auf die nächste zu und wenn man es eigentlich nicht mehr aushält bzw. sich fragt, ob der Film jetzt nur noch derartig weitergeht, kommt der Umbruch. Frank Zito als distinguierter und kultivierter Künstler, der sich bei der Fotografin Anna vorstellt, die im Central Park zufällig ein Foto von ihm gemacht hat. Die weiter entwickelten Dialogszenen wirken wie aus einem anderen Film entlehnt. Nachdem wir uns von diesem Frank Zito völlig abgestoßen gefühlt haben (müssen), wirkt er plötzlich sympathisch, redegewandt und hat eine entwaffnende (bewusst gesteuerte) Tapsigkeit, welche Anna sofort für sich einnimmt. Neben dieser monoton gehaltenen Narration und der sich daraus ergebenden verdichtenden Dramaturgie laufen auch alle anderen filmischen Komponenten mit dieser Inszenierung zusammen. Robert Lindsay war bereits Kamermann bei Lustigs Pornofilmen und weiß daher genau wie die Fokussierung tabuisierter (Körper-)Bereiche derart eingefangen werden muss, dass der unangenehme Effekt transzendentaler Immersion entsteht. Das Aufbrechen der Intimebene des Rezipienten, wenn der Penis in die Vagina, den Anus oder den Mund eindringt, das rhythmische Kopulieren, die verzerrten Gesichter, das Schreien, Stöhnen und Kreischen, werden hier auf die Gewalt umgemünzt. Das entfremdet nicht nur bei Betrachtung, sondern entfernt MANIAC von jedem gängigen Slasher dieser Tage und lässt seine Morde aufgrund seiner angelsächsischen Herkunft auch nicht zu einem metaphysischen Akt der Erotik wie bei Argento werden. Es ist oft eine Einstellung zu viel auf das verzerrte Gesicht des Schauspielers Spinell, oft ein Blick zu viel auf das Opfer und vor allem zu viel der bestialischen Effekte. Was Letztgenannte auch heute noch von den vielen Produkten der "Neuen Härte" unterscheidet, ist die Trockenheit, fast schon die unspektakuläre Art, mit der sie in ihrer spektakulären Wirkung daherkommen. Inszenatorisch könnte man sie reißerischer kaum verwirklichen, vor allem auf der Tonebene (der Synthesizer leistet hier entsprechende Arbeit), doch sind sie integriert in die dramaturgische Gleichförmigkeit fast wie kurze Peaks, die nicht wirklich ausreißen und die emotionalen Effekte Frank Zitos, wenn er tötet, unangenehm erfahrbar werden lassen.

Der Tod bringt nur kurzzeitig Freude. Frank muss mit seiner inneren Leere leben

Doch diese Peaks pieken nur. Anders als im zeitgleich entstandenen THE DRILLER KILLER von Abel Ferrera (ebenfalls ein starkes period piece des Dekadenumbruchs) bieten sie keine Erfüllung bzw. künstlerische Selbstverwirklichung, sondern sind nur ein weiterer Baustein auf dem Weg einer Zuspitzung zur Unausweichlichkeit des Endpunktes (auf einer rational-philosophischen Ebene tut dies der jüngst von mir hier besprochene UNFALL IM WELTRAUM). Dieser Endpunkt besteht im weiteren Verlauf des Filmes, nachdem Frank eine Freundin von Anna getötet hat, in einem gescheiterten Erlösungsversuch auf einem Friedhof, bei dem Frank seiner toten Mutter begegnet und sich in seiner Wohnung, Sinnbild für sein Unbewusstes, schließlich seiner Nemesis stellen muss. Wahnvorstellung und Realität verschwimmen am Ende dann auch für den Zuschauer, der, sollte er sich darauf einlassen, das Aufbrechen dieser Ebenen weder rational noch emotional verarbeiten kann. Doch diese finite Vorgehensweise kann man bei MANIAC nur den wenigsten Wünschen. Obwohl zum ca. 11. Mal gesehen, ertrug ich die Szene in der die Schaufensterpuppen plötzlich ein Eigenleben erhalten und Rache an Frank Zito nehmen diesmal nicht und verabschiedete mich geistig aus dem Film. Was war der Grund?

Nonchalantes Gespräch mit Anna

Für Männer wie für Frauen: Unerreichbare Weiblichkeit
Mit Sicherheit lag es daran, dass ich selten so mit Frank Zito mitempfinden konnte. Grund dafür war, dass ich den Film bei dieser Betrachtung voll und ganz aus der Sicht der Fetischisierung von Frauenkörpern betrachtet habe. Frank Zito, der durch seine promiskuitive Mutter das Unglück erlebt hat weibliche Sexualität und mütterliches Ur-Vertrauen auf bewusster Ebene parallel erleben zu müssen und dadurch ödipal mit der Erniedrigung des Verstoßenen doppelt klar kommen musste, wurde in eine unauflösliche Dissoziation geführt, die ihn nun zweierlei tun lässt. Er tötet nicht nur, nein, er will auch behalten. Die Tötungen sind nicht nur darauf angelegt den Sex mit den Frauen zu ersetzen, sondern auch sie zu vereinnahmen. Jede getötete Frau wird einem archaischen Ritual unterzogen, in dem sie skalpiert wird und ihr Haar, einem Fetisch gleich, einer eigens für jedes Opfer ausgesuchten Schaufensterpuppe auf den Kopf genagelt wird. Diese erhalten dann oft die Kleidung der Opfer und werden in einer entsprechenden Pose, die eine Handlung aus der Vergangenheit imitiert - Essen bei Tisch, Zubereiten von Speisen, Stehen an der Straße, Posieren in aufreizender Kleidung, Schlafen im Bett - präpariert, um Frank Zito so eine Nachstellung und gleichzeitig gegenwärtige Vorstellung seines Lebens zu suggerieren. Interessant ist dabei die Koppelung an in unserer Gesellschaft gängig gewordenen androgynen Vorstellungen von Weiblichkeit. Ausgehagerte Körper, pralle Brüste, eingesogene Wangen bei gleichzeitig vollen Lippen und hoher Stirn (die permanente Gegensätzlichkeit von solcherlei Körpermerkmalen ist schon lange Gegenstand soziopsychologischer Untersuchungen und birgt eine Menge Potenzial über den Versuch der Vermännlichung des Weiblichen, da es ja die eigentlich regierende Instanz in der Gesellschaft ist) sind nicht nur das Merkmal der Schaufensterpuppen sondern auch der weiblichen Opfer. Eine Montage in der Mitte des Filmes, als Zito gerade mal keine Lust auf Morden verspürt, zeigt ihn bei einer Art Einkaufsbummel bei Nacht, stöhnend, mit einer Mischung aus rasender Lust und hündischer Ergebung, zeigt ihn vor Schaufenstern, in denen die darin befindlichen Puppen Versprechungen über be-highheelte Superfrauen machen, die den Mann dominieren und gleichzeitig Selbstverwirklichung vorgaukeln. Frank Zito ist gefangen in seinem (und dem gesellschaftlichen) Fetisch und lässt dies spüren.

Frank be-/gefangen in der Regression

Der Blutrausch führt zur Einverleibung
Die Musik Jay Chattaways verdient hier besondere Aufmerksamkeit, da sie die Dissozialität Zitos, die Dramaturgie, schlicht den Film auf den Punkt bringt bzw. mit erzeugt. Tief wabernde Bässe auf dem Synthesizer, verspielte, wirklichkeitsferne Geräusche und das melancholische Hauptthema, verziert mit einem synthetischen Xylophon, welches das Klimpern der Kinderzeit heraufbeschwört. Eben jenes ist die ewige Verbindung aus dem Horror diffus-infantiler Tage und Verstörung aufgrund des Scheiterns rationaler Konzepte in der grauen Welt der Erwachsenen. Solche Kinderchöre, die aufgrund ihres zwanghaften Gleichklangs seit jeher etwas Unangenehmes in sich tragen, werden in MANIAC nur noch durch die künstliche Hülle eines nicht-natürlichen Instrumentes transportiert, ähnlich wie Frank Zito von der Weiblichkeit nur noch die Fetischvorstellung von Marx' Warenfetisch hat, der unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten vollständig durchdrungen hat. Abseits solch linker Rhetorik frage ich mich: Können wir Frank Zito bei so viel Künstlichkeit, in der wir alle gefangen sind und welche das folgende Plastikjahrzehnt bestimmen sollte, überhaupt noch böse sein?

Franks trautes Heim

Und sein (imaginierter?) Untergang
P.S.: Ich habe den Film diesmal mit zwei Frauen gesehen, die erzählten, dass sie während der Betrachtung die typisch evolutionär bedingten Ängste von Frauen verspürt haben. Zu diesem interessanten Punkt gibt es noch dieses Bild:

Gefangen im Untergrund

Dienstag, 1. März 2011

Minnelli-Reihe

Bei Vincente Minnelli mussten wir wieder zurückspringen, da wir inzwischen bei EIN AMERIKANER IN PARIS angekommen waren und ich seine Literaturverfilmung des französischen Realisten damals noch nicht hatte. Und da wird der Flaubert von James Mason gegeben, unglaublich! Also:

Der neben Busby Berkeley vielleicht wichtigste Film-Musical-Regisseur (Stanley Donen ist mir zu heftig ihn als solchen benennen zu können, da ich bei seinen Musicals regelmäßig den geistig überflutenden Overkill erlebe), Vincente Minnelli, hat uns zu einer der weiteren Reihen geführt, die meine Frau und ich erleben dürfen. Erst bei dem Technicolortraum HEIMWEH NACH ST. LOUIS gestartet, haben wir uns ab da vollständig bis DER PIRAT durchgearbeitet und mussten dann einen Sprung zu VATER DER BRAUT machen. Die intensivste Auseinandersetzung hatten wir mit Minnellis DER UNBEKANNTE GELIEBTE (genial gegen jedes Image besetzt), zu dem meine Frau keinen Zugang bekam und wir mehrere Stunden über seine metaphysische "Film Noir"-Bedeutung sprachen. Minnelli wollte zeigen, dass er auch die psychologischen Zwischentöne beherrscht. Für einen Regisseur der 1940er unerlässlich, um sich als seriös zu empfehlen. Und so kam es nach URLAUB FÜR DIE LIEBE und dem erwähnten DER UNBEKANNTE GELIEBTE schließlich zur dritten Bewährungsprobe. Die Verfilmung eines der größten Skandalromane in der Geschichte Frankreichs des 19. Jahrhunderts. Hat er seine Sache gut gemacht? Mehr als das.

Die Handlung dürfte wohl bekannt sein. Emma ist der Inbegriff der gefangenen Frau des 19. Jahrhunderts. Sie lebt auf einem Bauernhof ihres Vaters und lernt dort den Landarzt Charles Bovary kennen. Geprägt durch ein Nonnenkloster und in selbiges geschmuggelte Romane (die Pest der Zeit ;) ) ist sie gebeutelt zwischen sexueller Unerfülltheit und naiver Auslebungslust. Als sie Charles sieht, wie er ihren Vater heilt und viril in einer ansonsten von Frauen dominierten Welt erscheint, meint sie, in ihm die Erfüllung ihrer Jungmädchenträume zu erkennen. Eine überstürzte Hochzeit und der Umzug in ein kleines Kaff transportieren sie ins Niemandsland. Sie bändelt daraufhin nicht nur mit anderen Männern an, sondern versucht auch ihren Mann zu fördern. Träume, die sie gerne realisieren möchte, werden ihr durch einen Geldverleiher surrogativ ermöglicht, doch irgendwann steht alles kurz vor dem Zusammenbruch.

Madame Bovary gefangen zwischen den Männersystemen
Minnelli verzaubert hier zum ersten Mal außerhalb der Bühnenoptik und macht bereits seinen Faible erkennbar durch unvorteilhafte Naheinstellungen das Bitterböse über seine Figuren hereinbrechen zu lassen. Wie Jennifer Jones alias Madame Bovary ihr Gesicht verzerrt würde zu einer EMFACS-Untersuchung über Angst und Ekel einladen, und hat mich emotionale Durchlebungen von Schönheit und Abartigkeit durchleben lassen. Beeindruckend, wie Minnelli seine Hauptdarstellerin in die Hässlichkeit überführt und uns genau damit an eine Frau heran-führt, die ihre Tochter vernachlässigt, weil sie kein Junge ist. Die Unmöglichkeit weiblicher Selbstbestimmung wird dadurch spürbar, dass Emma Bovary von einem männlichen Kind träumt, welches in den Korsettstrukturen des Jahrhunderts, in dem nur noch "einige letzte Fragen geklärt werden müssen, um die Welt zu entschlüsseln", als einziges Freiheit erlangen kann. Frauen sind vom wirklichen Leben ausgeschlossen. Diese Weitsicht, die Flaubert vor 160 Jahren an seine Hauptfigur gekoppelt hat, wird von Minnelli vor allem dadurch überzeugend umgesetzt, dass er die Geschichte um Emma in eine Klammer bindet, die Flaubert vor Gericht zeigt.
Genau hier geben sich die Zeiten die Hände. Ein nachgespielter Flaubert (wie gesagt, unverschämt gut James Mason) muss sich vor Gericht rechtfertigen für sein progressives Werk. Damit macht Minnelli nicht nur dem Zuschauer des Jahres 1949, sondern einer jeden nachfolgenden Generation die Gewichtung des Werkes über Frauen und ihre Selbstbestimmung in einer von Männern dominierten Welt klar. Dass Minnellis Bühnenerfahrung dann auch noch den Traum der Bovary von Schlössern und Adligen für uns erfahrbar werden lässt, ist eine transzendentale Erfahrung des Rausches.

Weiter geht's mit STADT DER ILLUSIONEN. Es beginnt die Nicht-Musical-Phase des Traumbeschwörers (verdammter MGM-König ).

Ein Traum wird Wirklichkeit