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Freitag, 4. März 2011

Körpersurrogate



Der Dekadenwechsel der 1970er auf die 1980er stellt für mich soziokulturell den interessantesten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Das Ende des Kalten Krieges war noch nicht ersichtlich - freudig verklärender Einheitstaumel also noch nicht das bestimmende Element der Deutschen und die Vereinnahmung einer zweiten Welt in den Konsumapparat noch nicht wirtschaftsbestimmend - und das Aufbrechen der Gesellschaft in den 60ern führte zu Beginn der 70er zu einer Implementierung devianter Lebensentwürfe. Die Dekonstruktion der Familie, der Ehegemeinschaft, die Legalisierung homosexueller Lebensgemeinschaften und der Pornographie, die Diskussionen um Gleichberechtigung benachteiligter Gruppierungen aller Art, das Konsumieren von Drogen (der Kunstlehrer eines Bekannten stellte sich in den 70ern öfters für LSD- und Meskalin-Versuche zur Verfügung, die man an Universitäten durchführte und mittels Schwarzem Brett Versuchspersonen suchte) usw. Die angestoßenen Hoffnungen, Wünsche und Veränderungen des Dekadenumbruchs der 60er/70er werden bis heute in der Gesellschaft weiter verhandelt und sollen in ihr immer weiter verankert werden. Wirklich Neues hat sich seitdem nicht getan. Die Verwirrung einer Jugend, die nicht mehr - wie noch in den 60ern und 70ern - auf den Schultern der "Opa-Generation" stand und seit den 80ern bis heute eine jede Subkultur vom Kommerz hat schlucken lassen (eine Anschuldigung, von der ich mich selbstverständlich auch nicht frei machen kann), ist  da noch mal ein völlig anderes Thema.

Heat of the Night
Die große Frage von den 70ern auf die 80er war nämlich nun, wo es mit einer Gesellschaft, in der jetzt auch der Bieder-Mann ganz öffentlich zu (scheinbar) minderjährigen Darstellerinnen masturbieren dufte und Frauen ihren Mann und die Kinder verlassen konnten und darauf ein jedes Recht hatten, ohne automatisch als schlechte Mütter zu gelten (1979 sogar schon im Hollywood-Mainstream angekommen, siehe KRAMER VS. KRAMER), eine Gesellschaft, die sich gleichzeitig hochrüstete, um in der Lage zu sein die Erde mehr als 70mal (Stand 1983) vernichten zu können und sich politisch in der Alternativlosigkeit eines binärkodierten Ost-/Westsystems befand, hingehen sollte: nach Innen.

Das Leben imitiert die Hochglanzwelt. Posieren wie im Magazin
New York war in den 70er/80er Jahren die Stadt, die all diese Aspekte über Gebühr auf den Punkt brachte, wirkte sie doch - insbesondere in ihren medialen Darstellungen der Zeit - selbst wie kurz vor dem Auseinanderfallen. William Lustig gehört dann auch zu dem Stereotyp des Filmemachers/Künstlers, der zwischen Grindhousekino, Pornoproduktionen, bei denen er als Assistent und später Regisseur tätig war, New Yorker Sub-Szenen und der Mitarbeit an typischen "New-York-Filmen" (u.a. dem French-Connection-Spin-Off DIE SEVEN-UPS und dem kontroversen EIN MANN SIEHT ROT) hin und her pendelte und schließlich mit Joe Spinell auf einen anderen New Yorker traf, der im Sinne eines Libertin ebenfalls einen etwas aus dem Rahmen fallenden Lebensstil führte. So wurde Spinell auch die treibende Kraft hinter dem Projekt MANIAC (1979) und es entstand ein Film, der die Zeit, den Dekadenwechsel, die Ereignisse im Rücken und den Ausblick auf das was kommen würde, in sich trägt.

Frank geht zur "Arbeit"
Frank Zito lebt in New York im Stadtteil Queens in einer Kellerwohnung. Die Wohnung besteht lediglich aus einem Raum, ohne Fenster und erinnert in ihrer Einrichtung an ein Kinderzimmer. Die Wände sind lila gestrichen, Spielzeug und eher martialische Utensilien wie Messer, eine Machete und Schusswaffen liegen herum. Herausstechend sind die zahlreichen Schaufensterpuppen, die unterschiedlich gekleidet und in unterschiedlichen sozialen Situationen eines Haushalts angeordnet sind. Frank hatte einen schlimmen Alptraum, in dem er ohne erkennbaren Grund ein verliebtes Paar an einem Strand bei Nacht getötet hat. Mit einem markerschütternden Schrei erwacht er aus diesem Traum. Nachdem er etwas weint und sich dann wieder beruhigt, zieht er sich an und verlässt seinen Keller, als würde er gleich zur Arbeit gehen. Es ist Nacht. Er hat etwas zu erledigen. Er muss Menschen umbringen.

Explosion eines Kopfes. Physiologische und Physikalische Auflösung in extremster Form
Der Serienmörder ist eines jener Phänomene der Moderne (Ende des 19. Jahrhunderts vor allem durch Jack the Ripper in die Öffentlichkeit gelangt) welches kriminologisch und psychologisch kaum existiert und doch medial immer wieder aufgegriffen wird. Bereits in den 1920ern haben sich große Regisseure wie Paul Leni, Hitchcock oder Gregor Wilhelm Pabst und Fritz Lang des Themas angenommen. Insofern war ein Wiederaufflammen der Serienkillerthematik in den amerikanischen Medien der 70er, vor allem aufgrund der gerade zu diesem Zeitpunkt heiß diskutierten "Ted Bundy"-Morde, erst mal nichts Ungewöhnliches. Der Mythos des Serienmörders ließ sich immer wieder heraufbeschwören, um eine Gesellschaftsbedrohung zu zeigen, die so viel abgründiger und unverständlicher erschien als Verbrechen mit einfachen pekuniären Hintergründen oder emotionale Affekttaten. Was ist also anders am hier besprochenen Film? Im Grunde alles, denn das "Was" eines Filmes ist i.d.R. erst in zweiter Instanz relevant (alle Geschichten wurden schon lange erzählt) und somit ist das "Was" das hier anders ist wie bei den meisten Filmen das "Wie". Wie Lustig die Geschichte seines Serienmörders erzählt und was er uns dadurch erfahrbar werden lässt, sprengt die üblichen Dimensionen affirmativ inszenierter Serienmörderfilme, Slasher, Torture-Porn-Movies oder ähnlicher auf einen Voyeurismus setzender Werke. Dieser Film will wirklich weh tun.

Sind wir gemeint?
Erreicht wird dies auf mehreren Ebenen. Zum einen in der Narration. Wir sind vom ersten Augenblick an allein mit Frank Zito. Erst sind wir in seinen Träumen, dann in seiner Wohnung, dann allein mit ihm und seinen Opfern und dann wieder in seiner Wohnung. Ständige Selbstgespräche, die mal an eine seiner Schaufensterpuppen, dann fast wie coram publico und dann wieder in ein leeres Nichts adressiert werden, begleiten uns nicht nur, sondern ziehen uns immer stärker in seine Gedankenwelt. Die Unerträglichkeit dieser Szenerie wird von Lustig nicht aufgebrochen. Erst nach knapp 50 Minuten findet ein derartig elliptischer Bruch statt, dass man meint ein großes Stück vom Film verpasst zu haben. Die Dramaturgie steuert gnadenlos von einer Mordtat auf die nächste zu und wenn man es eigentlich nicht mehr aushält bzw. sich fragt, ob der Film jetzt nur noch derartig weitergeht, kommt der Umbruch. Frank Zito als distinguierter und kultivierter Künstler, der sich bei der Fotografin Anna vorstellt, die im Central Park zufällig ein Foto von ihm gemacht hat. Die weiter entwickelten Dialogszenen wirken wie aus einem anderen Film entlehnt. Nachdem wir uns von diesem Frank Zito völlig abgestoßen gefühlt haben (müssen), wirkt er plötzlich sympathisch, redegewandt und hat eine entwaffnende (bewusst gesteuerte) Tapsigkeit, welche Anna sofort für sich einnimmt. Neben dieser monoton gehaltenen Narration und der sich daraus ergebenden verdichtenden Dramaturgie laufen auch alle anderen filmischen Komponenten mit dieser Inszenierung zusammen. Robert Lindsay war bereits Kamermann bei Lustigs Pornofilmen und weiß daher genau wie die Fokussierung tabuisierter (Körper-)Bereiche derart eingefangen werden muss, dass der unangenehme Effekt transzendentaler Immersion entsteht. Das Aufbrechen der Intimebene des Rezipienten, wenn der Penis in die Vagina, den Anus oder den Mund eindringt, das rhythmische Kopulieren, die verzerrten Gesichter, das Schreien, Stöhnen und Kreischen, werden hier auf die Gewalt umgemünzt. Das entfremdet nicht nur bei Betrachtung, sondern entfernt MANIAC von jedem gängigen Slasher dieser Tage und lässt seine Morde aufgrund seiner angelsächsischen Herkunft auch nicht zu einem metaphysischen Akt der Erotik wie bei Argento werden. Es ist oft eine Einstellung zu viel auf das verzerrte Gesicht des Schauspielers Spinell, oft ein Blick zu viel auf das Opfer und vor allem zu viel der bestialischen Effekte. Was Letztgenannte auch heute noch von den vielen Produkten der "Neuen Härte" unterscheidet, ist die Trockenheit, fast schon die unspektakuläre Art, mit der sie in ihrer spektakulären Wirkung daherkommen. Inszenatorisch könnte man sie reißerischer kaum verwirklichen, vor allem auf der Tonebene (der Synthesizer leistet hier entsprechende Arbeit), doch sind sie integriert in die dramaturgische Gleichförmigkeit fast wie kurze Peaks, die nicht wirklich ausreißen und die emotionalen Effekte Frank Zitos, wenn er tötet, unangenehm erfahrbar werden lassen.

Der Tod bringt nur kurzzeitig Freude. Frank muss mit seiner inneren Leere leben

Doch diese Peaks pieken nur. Anders als im zeitgleich entstandenen THE DRILLER KILLER von Abel Ferrera (ebenfalls ein starkes period piece des Dekadenumbruchs) bieten sie keine Erfüllung bzw. künstlerische Selbstverwirklichung, sondern sind nur ein weiterer Baustein auf dem Weg einer Zuspitzung zur Unausweichlichkeit des Endpunktes (auf einer rational-philosophischen Ebene tut dies der jüngst von mir hier besprochene UNFALL IM WELTRAUM). Dieser Endpunkt besteht im weiteren Verlauf des Filmes, nachdem Frank eine Freundin von Anna getötet hat, in einem gescheiterten Erlösungsversuch auf einem Friedhof, bei dem Frank seiner toten Mutter begegnet und sich in seiner Wohnung, Sinnbild für sein Unbewusstes, schließlich seiner Nemesis stellen muss. Wahnvorstellung und Realität verschwimmen am Ende dann auch für den Zuschauer, der, sollte er sich darauf einlassen, das Aufbrechen dieser Ebenen weder rational noch emotional verarbeiten kann. Doch diese finite Vorgehensweise kann man bei MANIAC nur den wenigsten Wünschen. Obwohl zum ca. 11. Mal gesehen, ertrug ich die Szene in der die Schaufensterpuppen plötzlich ein Eigenleben erhalten und Rache an Frank Zito nehmen diesmal nicht und verabschiedete mich geistig aus dem Film. Was war der Grund?

Nonchalantes Gespräch mit Anna

Für Männer wie für Frauen: Unerreichbare Weiblichkeit
Mit Sicherheit lag es daran, dass ich selten so mit Frank Zito mitempfinden konnte. Grund dafür war, dass ich den Film bei dieser Betrachtung voll und ganz aus der Sicht der Fetischisierung von Frauenkörpern betrachtet habe. Frank Zito, der durch seine promiskuitive Mutter das Unglück erlebt hat weibliche Sexualität und mütterliches Ur-Vertrauen auf bewusster Ebene parallel erleben zu müssen und dadurch ödipal mit der Erniedrigung des Verstoßenen doppelt klar kommen musste, wurde in eine unauflösliche Dissoziation geführt, die ihn nun zweierlei tun lässt. Er tötet nicht nur, nein, er will auch behalten. Die Tötungen sind nicht nur darauf angelegt den Sex mit den Frauen zu ersetzen, sondern auch sie zu vereinnahmen. Jede getötete Frau wird einem archaischen Ritual unterzogen, in dem sie skalpiert wird und ihr Haar, einem Fetisch gleich, einer eigens für jedes Opfer ausgesuchten Schaufensterpuppe auf den Kopf genagelt wird. Diese erhalten dann oft die Kleidung der Opfer und werden in einer entsprechenden Pose, die eine Handlung aus der Vergangenheit imitiert - Essen bei Tisch, Zubereiten von Speisen, Stehen an der Straße, Posieren in aufreizender Kleidung, Schlafen im Bett - präpariert, um Frank Zito so eine Nachstellung und gleichzeitig gegenwärtige Vorstellung seines Lebens zu suggerieren. Interessant ist dabei die Koppelung an in unserer Gesellschaft gängig gewordenen androgynen Vorstellungen von Weiblichkeit. Ausgehagerte Körper, pralle Brüste, eingesogene Wangen bei gleichzeitig vollen Lippen und hoher Stirn (die permanente Gegensätzlichkeit von solcherlei Körpermerkmalen ist schon lange Gegenstand soziopsychologischer Untersuchungen und birgt eine Menge Potenzial über den Versuch der Vermännlichung des Weiblichen, da es ja die eigentlich regierende Instanz in der Gesellschaft ist) sind nicht nur das Merkmal der Schaufensterpuppen sondern auch der weiblichen Opfer. Eine Montage in der Mitte des Filmes, als Zito gerade mal keine Lust auf Morden verspürt, zeigt ihn bei einer Art Einkaufsbummel bei Nacht, stöhnend, mit einer Mischung aus rasender Lust und hündischer Ergebung, zeigt ihn vor Schaufenstern, in denen die darin befindlichen Puppen Versprechungen über be-highheelte Superfrauen machen, die den Mann dominieren und gleichzeitig Selbstverwirklichung vorgaukeln. Frank Zito ist gefangen in seinem (und dem gesellschaftlichen) Fetisch und lässt dies spüren.

Frank be-/gefangen in der Regression

Der Blutrausch führt zur Einverleibung
Die Musik Jay Chattaways verdient hier besondere Aufmerksamkeit, da sie die Dissozialität Zitos, die Dramaturgie, schlicht den Film auf den Punkt bringt bzw. mit erzeugt. Tief wabernde Bässe auf dem Synthesizer, verspielte, wirklichkeitsferne Geräusche und das melancholische Hauptthema, verziert mit einem synthetischen Xylophon, welches das Klimpern der Kinderzeit heraufbeschwört. Eben jenes ist die ewige Verbindung aus dem Horror diffus-infantiler Tage und Verstörung aufgrund des Scheiterns rationaler Konzepte in der grauen Welt der Erwachsenen. Solche Kinderchöre, die aufgrund ihres zwanghaften Gleichklangs seit jeher etwas Unangenehmes in sich tragen, werden in MANIAC nur noch durch die künstliche Hülle eines nicht-natürlichen Instrumentes transportiert, ähnlich wie Frank Zito von der Weiblichkeit nur noch die Fetischvorstellung von Marx' Warenfetisch hat, der unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten vollständig durchdrungen hat. Abseits solch linker Rhetorik frage ich mich: Können wir Frank Zito bei so viel Künstlichkeit, in der wir alle gefangen sind und welche das folgende Plastikjahrzehnt bestimmen sollte, überhaupt noch böse sein?

Franks trautes Heim

Und sein (imaginierter?) Untergang
P.S.: Ich habe den Film diesmal mit zwei Frauen gesehen, die erzählten, dass sie während der Betrachtung die typisch evolutionär bedingten Ängste von Frauen verspürt haben. Zu diesem interessanten Punkt gibt es noch dieses Bild:

Gefangen im Untergrund

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