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Dienstag, 22. Februar 2011

Shyamalan-Reihe

Mit dem Kino der letzten zehn Jahre bin ich nur unzureichend vertraut, aber auch hier haben sich im Verlauf der 2000er einige Namen bei mir eingebrannt, an denen man zurzeit (wohl) nicht vorbeikommt. Ob das nun Takashi Miike war (mein Gott, wie wurde man da zum Dekadenwechsel mit verrückt gemacht), Takeshi Kitano, Gaspar Noé, Aronofsky, Nolan, Anderson oder eben Shyamalan. Diese Namen, und noch mehr, die mir gerade nicht einfallen, sollten die Zukunft, die Erneuerung, das so noch nicht Dagewesene sein. Ob davon viel übrig geblieben ist, vermag ich im Moment nicht zu sagen. Daher wende ich meine übliche Taktik an und versuche mein Glück in der Retrospektive.

(Un-)Eindeutige Dichotomien
Mit UNBREAKABLE - UNZERBRECHLICH hat Shyamalan für mich den inhaltlich interessanteren, aber im Vergleich mit seinem Vorgänger, THE SIXTH SENSE - DER SECHSTE SINN, weniger stimmigen Film abgeliefert. Die Geschichte um den phlegmatischen Sicherheitsbeamten David Dunn, der sich seiner Verantwortung nicht stellen möchte, seine übernatürliche Gabe verleugnet und deshalb in seiner Footballkarriere, seiner Ehe und seiner Vaterrolle versagt hat, birgt das bekannte Potenzial gängiger Superheldengeschichten, deren Subtext hier in Form einer gediegenen, entschleunigten und stilistisch genau durchkomponierten Inszenierung an die Oberfläche geholt werden soll. Sein Pendant, Elijha Price, dessen Knochen im Gegensatz zu denen David Dunns sehr zerbrechlich sind, ist dann auch ein begeisterter Anhänger von Comic-Alben und hat seine Passion aus der Kindheit in die Welt der Erwachsenen transferiert: er ist Galerist für Comic-Kunst. Dies ist nun nicht die einzige Form, in der Price versuchen wird die Welt in seinem Sinne auf ihn vorzubereiten bzw. sie zu formen. Er möchte mit David nicht nur einen Superhelden schaffen, der erst mal zu sich selbst finden muss, sondern auch er möchte dadurch zu sich selbst finden.

Elijah lebt in einem Gefängnis
Shyamalans Geschichte arbeitet die Gut-/Böse-Dichotomie an sich gut auf und schafft dann sogar durch die Langsamkeit von Kamerafahrten und Montage ihre Verknüpfung, Verschmelzung gar, spürbar werden zu lassen. Schwarz und weiß bedingen sich, scheinen sogar voneinander erschaffen und obwohl schwarz (böse) und weiß (gut) auf den ersten Hingucker erkennbar sind, erkennen wir durch das überraschende Ende wie schwer sie sich trennen lassen. Eine Allianz fürs Leben, um diesen alten Werbeslogan zu zitieren. Das geht sogar so weit, dass man erkennt, dass körperlich zwar David Dunn "unbreakable" ist, aber mental ist es Elijah, von den Kindern spöttisch Mr. Glass bezeichnet. Und so fällt dann am Ende auch eine einfache Gut-/Böse-Zuordnung in sich zusammen und die tiefe Tragödie Elijahs wird erkennbar und David bleibt der weinerliche Jammerlappen, der sich bei kleinsten Widerständen in sein Schneckenhaus zurückzieht.

Ein langer Schwenk auf vorwurfsvolle Blicke. Hitchcocks Schuldmotiv wird zitiert
Warum lässt mich das nun doch alles so kalt? Die Frage habe ich mir einige Tage gestellt. Als ich UNBREAKABLE - UNZERBRECHLICH damals bei seinem Neuerscheinen sah, glaubte ich, er habe noch einiges an Potenzial. Jetzt, zehn Jahre später, ist eigentlich nichts Neues an Erkenntnis hinzugekommen. Die so viel beschriebenen Kamerafahrten, Farbcodierungen und Schnittreduktionen erhalten mit der Zeit etwas zwanghaftes, dem ich mich unterordnen muss und die Zwänge, in denen Shyamalan sich mit seinem eingleisigen Stil befindet, den er mit Konsequenz verwechselt, lassen bei mir das Unwohlsein entstehen, einen etwas weinerlichen Gestus im Film zu erkennen. Das ist unabhängig von Shyamalans Persona, die ich nicht kenne bzw. mir öffentliche Äußerungen seinerseits unbekannt sind. Der Film weint, aber nicht wirklich. Der Film thematisiert, aber nicht wirklich. Der Film ist Behauptungskino, aber nicht wirklich. Der Film ist eine Hülle, die viel zu erzählen, aber wenig zu sagen hat. Schade.

Zaghafte und viel zu kontrollierte Strukturöffnung. Die Zwänge Shyamalans

Schnauzenkuchen

Als Jackie Chan mit DIE SCHLANGE IM SCHATTEN DES ADLERS und SIE NANNTEN IHN KNOCHENBRECHER im entscheidenden Maße die Ära der Kung-Fu-Komödie sowie einen Wandel in seiner Karriere einläutete, ergab sich ab da eine Flut akrobatisch geprägter Kanton-Burlesken. Mit dem hier vorliegenden


sollte er dann tatsächlich den erfolgreichsten dieser Art inszenieren, choreographieren und "histrionisieren". Letzteres ist in seiner pathologischen Form des ICD-10 gar nicht mal so weit weg von dem, was man sich hier antun darf. Aber der Reihe nach:

Affektansteckung in jeder Lage
Der junge Taugenichts Lung lebt bei seinem Onkel und erlernt von ihm die nur durch die Familie weitergegebene Kung-Fu-Technik. Er darf sie niemandem zeigen, weil keine Spur zu Lungs Onkel führen darf. Dieser, zusammen mit zwei anderen Meistern, wird nämlich von einem gnadenlosen Killer des General Yen gejagt, der zur regierenden Quing-Dynastie gehört, welche die zweite Fremdherrschaft Cinas darstellt. Somit ist jeder Chinese ein Feind, der sich dieser Herrschaft nicht unterwerfen will. Lung weiß von alledem recht wenig und stellt seine Kung-Fu-Künste für eine Gruppe von Betrügern zur Verfügung, die durch ihn an sehr viel Geld herankommen, behaupten sie doch, in ihrer Kung-Fu-Schule jede Menge wie ihn zu haben. Lung putzt einen Herausforderer, der die Betrügerschule testen will, nach dem anderen von der Platte und so kommen die Killer General Yens auf die Spur des Onkels. Der Onkel wird getötet und Lung hat eine Schuld zu begleichen.

Ein Doofmann wird immer unterschätzt

Auch als Transvestit ist Lung unschlagbar
Wie die meisten historischen Martial-Arts-Filme geht es auch hier um die Besinnung auf die Ur-Werte des chinesischen Weltreichs. Die Vereinigung religiöser, spiritueller und martialischer Motive, inklusive Totem-Ehrung und Befreiung von der Schuld, führen den Helden direkt in das Zentrum vieler chinesischer Geschichten: die Rache. Egal wie verpackt muss etwas besudeltes wieder seine Ehre erhalten und das zumeist durch Vernichtung des Gegners. Die Zuspitzung der Dramaturgie endet folglich in der Konfrontation der Kontrahenten, dem physikalischen Aufeinandertreffen der unvereinbaren Systeme. Eine Kultur, die bereits vor Christi Geburt  der Waffentechnologie des abendländischen Kulturkreises 1500 Jahre voraus war und sich bereits damals im Strudel der Überbevölkerung befand, musste sich eine introvertierte Geisteshaltung  erarbeiten, um nicht im Genozid zu enden. Und so erhält der Begriff "Martial Arts" seine tiefere Bedeutung. Es ist die Kunst, um die es geht, seinen Gegner in der kriegerischen Konfrontation zu vernichten. Und um das konfuzianische Prinzip perfekt zu machen muss sich solcherlei Kampf mit jeder Menge Humor abspielen. Dieser ist dann für uns Gweilos mit seiner dissoziativen Kraft hart an der Schmerzgrenze.

Training an der Schmerzgrenze
Jackie Chan walzt in seiner ersten vollständigen Regiearbeit die Kampfszenen enorm aus, kümmert sich um keinerlei Erzählrhythmus und garniert die nicht enden wollenden Duelle mit Einlagen des kantonesischen Humors, welche die Schizophrenie einer Kinokultur zwischen den Welten offenlegt. Vor so viel Gestörtheit strecke ich die Waffen.

Irreführung des Gegners durch Hysterie
Und schließlich Erlösung durch Vernichtung

Montag, 21. Februar 2011

Hitchcock-Reihe: Reisefieber


Wenn man sich die bisherigen Reviews auf der Ofdb zu diesem Film durchliest, meint man etwas zu seiner Ehrenrettung beitragen zu müssen, hat man es hier doch mit einem der interessantesten Werke  von Hitchs britischer Phase zu tun.

Fred in der Beamtenmühle
Der kleine Büroangestellte Fred Hill hat die Schnauze voll vom Biedermann-Dasein und träumt vom großen Geld. Endlich die Welt sehen, Abenteuer erleben, heiße Nächte an exotischen Orten, sich als Mann beweisen. Seine Frau Emily hingegen ist genügsam und macht sich nichts aus solcherlei Hirngespinsten. Da knallt vom Schicksal die Nachricht herein, dass der reiche Erb-Onkel schon vor seinem Ableben seinem Neffen Fred ein stattliches Sümmchen hinterlassen will. Er solle "Erfahrungen sammeln" und "das Leben kennen lernen". Und genauso kommt es...

Überforderung in Paris

Wieder einmal Blick-Montagen
Was Hitchcock im Weiteren zeigt, ist ein losgetretene Lawine, die nur sporadisch konventionellen Dramaturgiestrukturen folgt und stattdessen die Figuren von einer die Erwartungshaltung ständig unterlaufenden Situation in die nächste jagt. Als man nach erhaltenem Geld erst mal die ersehnte Kreuzfahrt macht und Fred tönt, dass er sich schon immer zur See hingezogen gefühlt hat, fällt er fast ein Drittel der Handlung aus, weil er seekrank wird. Die kleine niedliche Emily lernt, ohne dass sie dies wollte, einen renommierten britischen Offizier kennen, der sich in sie verliebt. Fred, in der Mitte der Spielzeit endlich gesundet, macht sich endgültig zum Hanswurst und betrügt seine Frau mit einer Gräfin.

Ehestreit als Rikschafahrt
Plötzlich schlägt der Ton von einer lockeren Komödie in ein ernsthaftes Ehedrama um, bei dem Emily sich als die Überlegene erweist und die beiden zusammenhält. Außerdem bekommen wir es noch mit untergegangenen Kreuzfahrtschiffen, chinesischen Piraten und gekochten Katzen zu tun. Am Ende heißt es dann wieder "Home, Sweet Home" und es ist Hitchcocks trockener Humor, der dafür sorgt, dass dies nicht zur Glorifizierung des Spießerglücks wird, sondern uns nachempfinden lässt, dass die beiden froh sind mit dem Leben davongekommen zu sein. Das neue Glück einer Familienerweiterung soll dann auch mit einem Versicherungsbetrug finanziert werden.

Ohne Emily ist Fred verloren
Es verwundert nicht, dass auch heute noch viele Leute mit ENDLICH SIND WIR REICH nichts anfangen können. Zu schnell, zu abstrus, zu unglaubwürdig präsentiert Hitchcock die Geschehnisse und verleiht dem Film damit etwas seltsam Zeitloses. Genau so muss man eine Komödie drehen, wenn man ihr eine eigene Note verleihen möchte, aber das versteht man nicht, wenn man den Regisseur immer nur an seinen Thrillern misst. Ich, der seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zu Hitch hat, war über diese Entdeckung sehr froh, bringt er mir die Person einfach noch ein Stück näher und erzieht mich so für seine anderen Filme.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Binärapokalypsen


Eine der schönsten Überraschungen des Jahres 2010 war dieser von einer bunten Truppe an kreativen Köpfen konzipierte Science-Fiction-Film, der manchmal als Pastiche von Kubricks 2001 - ODYSEE IM WELTRAUM bezeichnet wird. Das würde nun beiden Filmen Unrecht tun, da Kubricks Film so viel mehr und Parrishs Film - positiv gemeint - so viel weniger ist. Mit diesem Flickwerk, so möchte ich es aufgrund der vielen unterschiedlichen Personen, die daran gearbeitet haben und - offensichtlicher als man es sonst von kommerziell vermarkteten Filmen gewohnt ist - ihre Ideen eingebracht haben mal nennen, haben wir ein äußerst interessantes Verdichtungskonzept mathematischer und philosophischer Parallelweltendimensionen vor uns. Typisch angelsächsisch haben wir es mit dem Versuch zu tun, das Fass aufzumachen für eine Vorstellung über das Denkbare hinausgehend, das Aufbrechen der physikalischen Raum-/Zeitebene bei gleichzeitiger Rückkoppelung in den materiellen Raum. Ein Bekannter von mir würde sich jetzt wieder über die mangelnde Fantasiekraft der Briten aufregen, die nicht in der Lage sind loszulassen, da sie letztlich doch alles an die Ratio koppeln müssen, egal wohin sie aufbrechen.
Die Grundidee stammt dann auch von einem Briten, Mathematiker und Logiker, denn Lewis Carrolls "Alice hinter den Spiegeln" stand hier Pate und wird mal eben in die Zukunft verlegt und angereichert mit der Unausweichlichkeit des physikalischen Bildkaders, in dessen rechteckiger Konzentration dem Zuschauer das Geschehen vermittelt wird. Insofern ist eine Wahl des Formates 1.85:1 das zur Handlung passendere als beispielweise der 70mm Film bei Kubrick, da hiermit die Einengung des Kaders unterstrichen wird.

Statusverteilungen: Jason Webb (hinten) will nach oben

Wir befinden uns 100 Jahre in der Zukunft. Die Organisation EUROSEC, das European Space Exploration Council, hat eine unglaubliche Entdeckung gemacht. Exakt auf der gleichen Umlaufbahn der Erde, aber entgegengesetzt zu ihr, befindet sich ein, zumindest nach ersten Erkenntnissen, absolut identischer Planet. Sowohl Größe, Form und Geschwindigkeit sind identisch, nur in der Bahnposition gegenüberliegend. Diese Information fällt unter Geheimstufe 1, doch ein Wissenschaftler, Dr. Hassler, schmuggelt die Informationen zur Gegenseite, die im Film eher allgemein gehalten wird (es ist allerdings offensichtlich, dass es damals der Osten war). Exakt diese Binär-Kodierung macht dem Direktor von EUROSEC, Jason Webb, zu schaffen. Die Anderen dürfen nichts davon erfahren, doch jetzt hat jemand, der eigentlich zu ihnen gehörte, Informationen an die Anderen übermittelt, was zu einer ausgeglichenen Informationssituation führt. Um nun zu verhindern, dass die Gegenseite dies ausnutzt, will EUROSEC mit der NASA eine Mission zu diesem mysteriösen, förmlich aus dem Nichts kommenden Parallelplaneten starten. Webb drückt mit aller Gewalt Gelder für die Mission durch und fordert sowohl einen Freund und Astrophysiker EUROSECs, sowie den Star-Astronauten Glenn Ross für das Unternehmen einzusetzen, um eine schnelle Vorbereitungsphase und einen Start zu ermöglichen.

Jason Webb herrscht in EUROSEC
Nach den Trainingsvorbereitungen machen sich Ross und Astrophysiker John Kane auf den Weg. Sechs Wochen soll die Hin- und Rückreise dauern und die beiden befinden sich in einer Art Winterschlaf. Als sie den Planeten erreichen, koppeln sie ihr Shuttle aus und landen. Doch der Planet ist eine einzige Wüstenei, das Shuttle kracht auf den unwirtlichen Boden und Ross wird herausgeschleudert. Er kann Kane mit letzter Kraft aus dem explodierenden Wrackteilen retten. Als Kane versucht etwas zu sagen erscheint plötzlich eine Rettungskapsel, die beide an Bord bringt. Kane ist schwer verletzt und schwebt in Lebensgefahr. Ross versteht nicht, wieso man eine zweite Mission losschickte, die sie zurückholen sollte. Jason Webb konfrontiert ihn damit, dass er statt sechs Wochen nur drei weg war und dann einfach einen Crash auf der Erdoberfläche hingelegt habe. Ross bestreitet dies vehement und schwört, dass er und sein wissenschaftlicher Begleiter auf dem anderen Planeten gelandet sind. Nach eingehenden Untersuchungen wird Ross entlassen und geht zurück in sein Privatleben und seiner (sexuell) frustrierten Frau. Es scheint alles wie immer, doch etwas stimmt nicht: Alles ist irgendwie... verkehrt herum.

Astrophysiker John Kane in der Maschinerie
In DOPPELGANGER (so der Originaltitel, manchmal auch mit Umlautschreibung zu finden) haben wir eine als Endspiel verdichtete Frage über das Aufeinandertreffen gleicher Welten. Geschieht das Aufeinandertreffen zweier Systeme strukturell ohne inneren Zusammenhang, bezeichnet man es als Kollision, nicht als Konfrontation und eben solche werden hier in Szene gesetzt. Ob nun Glenn Ross und John Kane auf der Oberfläche des angenommenen Parallelplaneten eine Bruchlandung hinlegen, die zweite Mission in der Vernichtung des gesamten Projekts endet oder Ross einfach nur gegen einen Spiegel tippt. Jeder Versuch auf die andere Seite zu kommen scheitert, ob nun im Zerbrechen des Raumschiffs, im Zerbrechen der Identitäten oder im Zerbrechen des Glases. Regisseur und John-Ford-Schützling Robert Parrish, der für die Überlegungen von drei Drehbuchautoren als ausführendes Organ herangeholt wurde, arbeitet dann auch inszenatorisch so, wie man es von einem ehemaligen Cutter erwarten kann: hart, schnell und konfrontativ! Die Montage steht oftmals in Verbindung mit den Dialogen und stellt Figuren wie Zuschauer vor vollendete Tatsachen. So sind die Dialoge auch inhaltlich oftmals Gespräche über Zeitabläufe, Berechnungen, Messwerte und andere mechatronische Ergebnisse. Entsprechend kalt und rational erscheinen die Figuren im miteinander. Gerade so, als würden sie auch nur noch voneinander abprallen, fährt Parrish immer wieder mit Schwenk-Zooms auf sie zu, um vor ihren abweisenden Gesichtern zum Stehen zu kommen. Astronaut Glenn Ross wirkt innerlich wie abgestorben. Seine Frau Sharon sieht aus wie eine ausgehagerte Puppenfrau, ist unwillig Kinder mit ihm zu bekommen und frustriert von der Arbeit ihres Mannes.

Glenn Ross erscheint nur noch als Hülle
Sharon Ross leidet unter ihrem Mann
Ross fühlt sich eher zu der Wissenschaftlerin Lisa Hartman hingezogen, doch wird dies, außer durch Blicke und der manchmal nur mehr als eine Sekunde länger auf dem Gesicht der Schauspieler verweilendenden Kamera, nicht weiter kenntlich gemacht. Erst als man Ross durch eine Mühle aus Befragungen, physischer und psychischer Folter und einem Wahrheitsserum jagt, um zu ermitteln, ob er nun auf dem anderen Planeten gelandet ist, gibt es eine kurze halluzinatorische Sequenz, in der es Zuschauer wie Ross gegenwärtig wird, dass er ein emotionales Interesse an Lisa Hartmann hat. Seine Frau verschwimmt in der Erinnerung mit Lisa und wieder zurück. Gekoppelt an symmetrisch aufeinander zufliegende Shuttles.
Symmetrie der Apokalypse
Absolut durchschlagend zu so viel binärkodiertem Irrsinn ist dann die Musik von Barry Gray, die jeder Szene ihr emotionales Gegengewicht verleiht. So trocken, rational und reduziert der Inszenierungsstil von Parrish erscheint, so arbeitet Gray die emotionale Bedeutung und die entsprechende Größe aus jeder Szene heraus und kontrastiert damit entsprechend bzw. ergänzt auf der Metaebene. Die Maschinen und Computer, die hier in ihrem Innenleben (noch) nach außen gekehrt sind, können bei ihrer Rechenarbeit beobachtet werden und erhalten eine musikalische Untermalung, die sie mit dem achten Weltwunder gleichstellen.

Der Computer walzt die Daten
Die Farben und Formen, die Spiegelungen und Binärcodes der Lochkarten, geben bereits im Vorspann Ausblick darauf, wie die Welt im Gleichschritt von Rechnern tickt und der Mensch selbst nur noch ein Datenstrom ist. Als das Ehepaar Ross am Flughafen eintrifft, wird der Innenraum des Flugzeugs - ein Container mit Menschen, ähnlich einem USB-Stick - aus dem Flugzeug entnommen, zum Flughafengebäude transportiert und dort gleich portiert. Der Strom an Menschen kann nun ungehindert einfließen.
Der Mensch im USB-Stick
Im Gegensatz zu Kubricks Science-Fiction-Film geht DOPPELGANGER jeglicher religiöser Unterton ab. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Film ein Misserfolg war und man für die amerikanische Auswertung auf den eher trivialen Titel JOURNEY TO THE FAR SIDE OF THE SUN kam. Die Konfrontation mit dem Selbst im Anderen/Fremden, die sich - insbesondere für ein nicht deutschsprachiges Publikum - mit dem Originaltitel aufdrängt, geht dabei natürlich verloren. Im Hinblick auf den Diskurs des Filmes ist mir die protokollarische Banalität des deutschen Verleihtitels fast noch am liebsten:

Mittwoch, 9. Februar 2011

Hitchcock-Reihe

Zurzeit haben wir diverse Reihen von Meisterregisseuren am Laufen und mit Alfred Hitchcock stehen wir noch ziemlich am Anfang. Heute steht sein dritter Thriller auf der Karte, der dramaturgisch allerdings als Whodunit konzipiert ist:


London bei Nacht, eine x-beliebige Straße. Ein Schrei, ein Klopfen und eine rasende Kamera an einer Häuserfont entlang: ein Mord! Die junge Schauspielerin Diana Baring sitzt apathisch vor der Leiche, der blutige Schürhaken neben ihr und der Raum füllt sich mit immer mehr Zeugen. Für die Polizei ist der Fall klar und vor Gericht weigert sich Diana konkrete Angaben zu dem geheimnisvollen Mann zu machen, der noch mit im Zimmer war. Sie räumt ein, dass sie durchaus den Mord an der ihr unsympathischen Schauspielkollegin begangen haben könnte, aber wenn, dann erinnere sie sich an nichts. Für die Geschworenen ist der Fall nach einiger Diskussion geklärt: schuldig! Nur Sir John Menier ist anderer Meinung, doch die Gruppe setzt ihm derart zu, dass er einlenkt. Diana erwartet nun die Todesstrafe und Sir John plagt das schlechte Gewissen, glaubt er doch an ihre Unschuld. Ist seine kurze Schwäche gegenüber den Geschworenen ein Menschenleben wert? Er ermittelt auf eigene Faust.

Katatonische Konfrontationen
 Wie in nahezu allen Hitchcock-Filmen lässt sich auch in diesem Frühwerk bereits alles finden, was seine Handschrift inszenatorisch, thematisch und motivisch ausmacht. Mit einigen schwindelerregenden Kamerafahrten rast er zu Beginn umher und schafft durch kurz geschnittene Einzelbilder sofort eine Vorstellung von (inhaltlichen) Räumen. Auch lässt er den Dialog eng aneinander sprechen, so dass man schon fast den Eindruck von Überlappungen bekommen könnte. Diese enge Aneinanderdrängung durch Schnitt und Ton sorgt dafür am Anfang regelrecht überrumpelt zu werden. Man hat noch gar nicht richtig begriffen was denn nun passiert sein soll, da befinden wir uns bereits im Gerichtssaal. Hitchcock schneidet dann zwischen Anklage, Verteidigung und Richterbank hin und her und montiert dazwischen die Geschworenen, die dem Ablauf wie einem Tennismatch folgen. Die anschließende Diskussion der Jury nimmt dann Lumets DIE 12 GESCHWORENEN vorweg, nur mit dem schlechteren Ausgang für die Angeklagte. Auch bei dieser Szene wird Hitchcocks Fähigkeit erkennbar, durch Naheinstellungen auf Gesichter und kurzes Gegenschneiden auf Reaktionen eine sofortige Vorstellungswelt sowohl in Bezug auf Handlung als auch innere Handlungsmotivation von Figuren zu generieren. Leider bricht das Ganze nach dem ersten Drittel ein, da die eigentliche Ermittlungstätigkeit von Sir John von Hitchcock mit weit weniger inszenatorischem Esprit versehen wird und er deutlich werden lässt, dass investigatives Zusteuern auf den unbekannten Täter ihn wenig interessiert.




Thematisch haben wir hier ebenfalls die bekannte Palette christlicher, systemischer und sexueller Motive. Die Verlagerung der Schuldfrage wird für den Zuschauer zum metaphysischen Erleben, wenn wir in die Gedankenwelt von Sir John geholt werden durch Vertonung seiner Gedanken (angeblich zum ersten Mal in einem Film). Plötzlich geht es nicht mehr um die Schuld Dianas, sondern um Schuld an sich. Die Koppelung von Details an die Komplexität der Realität gelingt Hitchcock in vielen Einzelszenen, wird aber zum handlungstragenden Element. Wir müssen uns klar machen, dass Sir John, weil er sich von den anderen hat mürbe machen lassen und aus einem Moment von Schwäche - Faulheit geradezu - nachgegeben hat, zum Zünglein an der Waage wurde und plötzlich, für sich wie dem Zuschauer, in einer direkten Kausalverbindung mit Dianas Tod zu stehen scheint. Systemisch wird hier mal wieder dem gesamten Apparat misstraut. Die Polizei ist nur an schneller Aufklärung interessiert und übersieht bzw. möchte die Kompliziertheit des Falles übersehen. Die Justiz salbadert mit großen Gesten. Interessant schließlich Hitchcocks Geschlechterswitchs. Männer sind Frauen, Frauen agieren in einer Männerdomäne (zumindest 1930),

SPOILER:

und die Homosexualität und gemischt-rassige Herkunft des wirklichen Mörders lässt ihn in einer tragischen und anrührenden Selbstmordszene zum Bauernopfer einer intoleranten Gesellschaft werden.

SPOILERENDE

Weibliche Juristen

Männliche Artisten

Dienstag, 8. Februar 2011

Partyrausch


Samstag, der 05.02.2011, war Nadines Geburtstag. Hier sieht man sie gerade beim Vernichten ihres Kunstwerks Tempmahplast, welches die Vergänglichkeit von Denkmälern symbolisieren soll. Nachdem wir uns den halben Tag eine Ausstellung der Absolventen der HBK Saarbrücken angesehen haben, befanden sie, ihr Freund, meine Frau und ich uns bereits in etwas anderen Welten, da die permanente Zurschaustellung narzisstisch-onanistischer Innenwelten junger Künstler einem nicht nur einiges abverlangt, sondern auch mit dem älter werden konfrontiert. Obwohl ich damals selbst noch ein Bengel war, hat mich der Versuch einer perfekt nachgestellten Garagenversion von Andy Warhols großem Gegenpart, Joseph Beuys, mit den Zeiten kollidieren lassen. Nach so viel Kultur gaben wir uns am frühen Abend den Culture-Clash in einer Butzenscheibenkneipe, mit Holzfällersteak und irgendeinem Exportbier. Nadines Freund, David, wurde müde und so musste Stimmung erzeugt werden, mit einem Ausguck auf die andere Welt:


Noch hat der Boss gut lachen

Ich muss zugeben, dass ich einen gewissen Faschismus gegenüber einigen Filmen betreibe. Ich bin bei der Betrachtung von Filmen ein erklärter Anti-Alles-Mensch, denn absolute Klarheit ist das oberste Gebot. Ich reagiere schon aversiv darauf, wenn sich überhaupt eine durch externale Einflüsse irgendwie in ihrem Bewusstsein veränderte Person im gleichen Raum befindet, wo der Film läuft. Tatsächlich bin ich aber in der Lage bei manchen Filmen diesen zwanghaften Vorsatz aufzugeben, was einem gewissen induktiven Vorurteil geschuldet ist. Ich nehme einfach an, dass der Film strukturell so desintegriert ist, dass eine Bewusstseinsveränderung ihm zu Gute kommt. So begaben wir uns mit reichlich Bier, Wodka und Absinth in den Videoraum und genossen ein weiteres "Cut & Paste"-Meisterwerk Godfrey Hos.
Alles dreht sich um diesen kleinen Freund
Japan, wie uns durch eine Einblendung des Wortes weisgemacht werden soll, voll von Jägerzäunen und schon schweift der Blick auf ein mysteriöses Gebäude, ähnlich der Halle des örtlichen Tischtennisvereins. In deren Abstellkammer findet eine geheimnisvolle Zeremonie statt, bei der dem Golden Ninja Warrior gehuldigt wird. Einer Statue, die Ähnlichkeit mit Mr. Spock aufweist, der gerade zwei Schwerter hochhält. Der Ober-Ninja betritt, sich vor lauter WHARHARRHARRS  kaum halten könnend, den Abstellraum und fuchtelt hektisch mit den Händen vor der heiligen Ninja-Statue herum. Daraufhin ist er unbesiegbar und lässt sich von unseren Vertretern der westlichen Hemisphäre mit Schwertern zusammendreschen. Gegeben werden diese von den Dauerstars des Genres Jonathan Wattis und Richard Harrison. Nach der Zeremonie sehen wir drei schwarze Ninjas eine Treppe herunterlaufen - sie haben den Golden Ninja Warrior gestohlen - und Schnitt und noch mal drei Typen, die jetzt rote Ninja-Anzüge tragen. Das ganze wird noch mal mit einem Wiederholungsschnitt garniert, so dass der Eindruck entstehen soll, unsere drei schwarzen Ninjas würden von einer ganzen Armee roter Ninjas verfolgt. Nach dem üblichen Saltogehampel sind zwei Jahre vergangen und einer der drei schwarzen Ninjas steht kurz vor der Vollendung der Ninja Supreme Technique, weil er den Rumpf der dreiteiligen Statue hat. Doch nicht schnell genug. Ein Shuriken trifft ihn und aus ist's mit der Ninja-Super-Power.

Rote Ninjas greifen an
Im Weiteren schneidet Godfrey Ho hier drei Filme zusammen. Zum einen haben wir als Grundlage den südkoreanischen Actionfilm STAFFERYUI BULCHEONGGAEK, in dem es um eine Drogenschmugglerbande geht, die von einem aufrechten Interpolagenten verfolgt wird, dessen Name in der Synchro abwechselnd mal Jaques Wong, dann wieder Chuck Wong und dann wieder Jack Wong ausgesprochen wird. Weiterhin einige Stand-Ins mit Phillip Ko und die üblichen Szenen für den westlichen Markt mit Richard Harrison und Jonathan Wattis. Bei Letzterem waren sich Ho und Lai offensichtlich nie so sicher, ob er nun ein Guter sein soll, sprich zusammen mit Richard Harrison gegen das böse Ninja-Imperium und dessen Weltherrschaftspläne mit dem Golden Ninja Warrior kämpft, oder ob er die Drogenbande aus dem südkoreanischen Film anführt und versucht Richard Harrison zu erpressen ihm die Drogen wiederzugeben, die Tiger-Chan, Jonathan Wattis' bester Mann, unbedingt widerhaben will. Jaques/Chuck/Jack Wong geht währenddessen eine Liaison mit Lilly ein, die das Lustobjekt von Victor, Tiger-Chans rechter Hand ist, und die ihm helfen kann, Informationen über die bevorstehende Entführung Michikos, der Schwester des ersten getöteten schwarzen Ninjas, zu verschaffen, die alles über den Drogendeal und den Verbleib der anderen beiden Golden-Ninja-Warrior-Hälften weiß, aber dann doch entführt wird und schließlich nur vom Ninja-Imperium losgeschickte Roboter in der Lage sind, zwischen Richard Harrison und Jonathan Wattis zu vermitteln, obwohl das Imperium sie gegeneinander hetzen möchte, damit sie ihre Statue-Hälften rausrücken und Richard seinen Mann Jaques/Chuck/Jack zurückruft, damit Jonathan durch Tiger-Chan seine Drogen verticken kann und wer bis hier noch alles verstanden hat, kontaktiere mich bitte, damit auch ich klar sehe.

Tiger-Chan spielt ein gefährliches Verwirrspiel


Angriff der Transformers
Interessant ist, dass dieses von Godfrey Ho veranstaltete Chaos - im Gegensatz zu dem neulich gesichteten BRENNPUNKT LAS VEGAS - tatsächlich einen Sinn ergibt, ich mich nur aufgrund der stattgefundenen Rezeption nicht in der Lage sehe, diesen wiederzugeben. Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass der religiöse Synkretismus ein fester Bestandteil in den Dramaturgiestrukturen asiatischer Erzählweisen ist. Die Unmittelbarkeit der Erfahrung wird zunehmend zum Ziel der Betrachtung, affektorientierte Plottwists und transzendente Kampfduelle sind der eigentliche Schlüssel zu dieser Kultur. Geradezu lächerlich erscheint es, wenn man mit abendländischen Vorstellungen von Narration versucht solch infantil-freiheitliche Momentaufnahmen in eine logische Struktur zu bannen. Die ständige Verwendung von Zooms, die Doppel-Schnitt-Technik und -Vertonung bei Schlägen und Bewegungen (Jahre vor dem dies zugeschriebenen BLOODSPORT), die nebeneinander stehenden filmischen Einzelsegmente und ihre Verbindung durch das Telefon, schaffen den kuriosen Netzgedanken innerhalb der Filmwelten. Tatsächlich werden sämtliche Fäden der drei unterschiedlichen Filme immer nur durch Telefongespräche verbunden (heute wären es Chats oder kurze SMS-Nachrichten) was in geradezu erschreckender Weise darauf verweist, wie Kommunikation funktioniert, ja sogar die Wahrnehmung von Realität. Es gibt genug Leute, die überhaupt nicht bemerken, dass hier, dank der Montage, Realitäten zusammengebracht werden, die gar nicht zusammen gehören. Die dies hinnehmen und alles kognitiv ausgleichen können, in der Hoffnung, dass die Dinge einen Sinn ergeben werden. Ständige Versuche an meiner Familie und Freunden mit solcherlei Filmen haben mich zu diesem Schluss kommen lassen.

Energische Telefongespräche verbinden Raum und Zeit
So war es bei uns nun nicht. Wir haben - hysterisch nahezu - gelacht über die Unzulänglichkeiten und sind gleichzeitig im Moment des Geschehens aufgegangen. Haben es genossen vom Film entführt zu werden und tatsächlich: Am Ende waren alle tot und Kuhauge Richard Harrison hat überlebt.



Eine ungefähre Wiedergabe des Erlebten

P.S.: Wäre die Synchro nicht, wie in vielen dieser Filme, aus München gewesen, weswegen die halbe Crew der Simpsons-Specher versammelt war, dann hätte ich überhaupt keinen Überblick mehr über irgendwas gehabt.

P.P.S.: Ein schönes Interview mit Godfrey Ho über Hongkong, Gweilos und natürlich seine Zeit bei der IFD.

Montag, 7. Februar 2011

Schräglage


RENDEZVOUS MIT EINER LEICHE

Früher als gedacht habe ich mir den dritten Kinoausflug von Peter Ustinov als Hercule Poirot angesehen und obwohl die allgemeine Kritik diesen Film als den schlechtesten der drei Kinoadaptionen mit dem Briten als Belgier bezeichnet, konnte ich im Vergleich mit den Vorgängern dramaturgisch nur geringfügige Unterschiede erkennen. Es fiel eher positiv auf, dass Michael Winner auf jegliches glaubwürdige Zusammenführen einzelner Handlungselemente verzichtet und die Filme bzw. die Geschichten um den Privatdetektiv als die hanebüchenen Herleitungsspießroutenläufe entlarvt, die sie nun mal sind. Vorgeblich dem Whodunit verpflichtet - aber noch nicht so entlarvend wie die Erzählungen der Schwarzen Serie - wird der Eindruck erweckt, der Rezipient hätte irgendeine Möglichkeit den Täter zu ermitteln, doch wird zumeist nur ein enormes Verdachtskarussel in Bewegung gesetzt und am Ende der Täter wie aus dem Hut gezaubert, weil auf den letzten Seiten, respektive in den letzten 5 Minuten, Informationen aus dem Nichts ans Tageslicht kommen, auf den Verdächtigen gezeigt wird und dieser sich, mehr oder weniger widerwillig, verhaften lässt.

Winner-typisch 1: "Aufgezwungene" Fluchtpunkteinstellung
Und so dreht Kamerad Winner am Rad der Kamera, was er eigentlich seit jeher am liebsten getan hat. Über seine Weitwinkeldiagonalen, Schräglagen, Achsenverschiebungen und Zoomfahrten haben sich dereinst schon Hitchcock und Truffaut amüsiert, die darin nichts weiter als unnütze Formalspielereien sahen und die mangelnde Anbindung an den erzählten Inhalt monierten. Heute sind Winners in den 1960ern noch aus dem Rahmen fallende Kamerafahrten inszenatorische Standards geworden, die mittels Computertechnologie auf Hochgeschwindigkeit gepeitscht und beispielsweise von einem David Fincher oft kopiert werden.

Winner-typisch 2: Die Kamera am Boden und darauf folgende
Kadragewahrnehmungen von Objekten und deren Bedeutung
Der hier vorliegende Film, immerhin aus dem Jahr 1988, ist dann auch von einem geradezu aufreizendem Anachronismus. Als habe Winner keine Lust sich weiterzuentwickeln, wird die Mörderhatz im gleichen Bildkader erzählt und eingefangen, wie er es schon in den 60ern gemacht hat. Zooms, die aus einer plötzlichen Schwenkbewegung generiert werden, Halb-Total-Einstellungen, statt Totalen, wenn wir eigentlich an geöffnete Szenen auf Plätzen, der Wüste o.ä. herangeführt werden sollen. Thematisch haben wir hier die übliche Ansammlung schräger Upper-Class-Exzentriker, die schräge Dialoge und schräge Spleens in schrägem Bild von sich geben. Das, und das ich dadurch jeglichen Inhalt vergessen habe, entlockt mir ein: Gut gemacht!

Winner-typisch 3: Die Verdächtige "in der Tasche"
Und dazu noch jede Menge von denen:

Donnerstag, 3. Februar 2011

Jobprobleme

Robert Aldrich gehört wohl zu den interessantesten amerikanischen Regisseuren der Übergangsphase im internationalen Kino zwischen Klassik und Moderne. Seine von Orson Welles und Max Ophüls beeinflusste Bildsprache verlieh seinen Filmen etwas Expressives, sorgte aber auch gleichzeitig für eine seltsame Entrücktheit oder eher Abgerücktheit von sich entwickelnden Trends. Vom Cahiers du Cinema in der zweiten Hälfte der 50er Jahre durch RATTENNEST noch zu Welles Nachfolger erklärt, verspielte Aldrich einigen Kredit, als er sich im weiteren Verlauf immer öfter inspirationslos scheinenden Auftragsarbeiten zuwendete. Georg Seeßlen, ein großer Verehrer Aldrichs, formulierte dessen eigenwilligen, neben der Spur befindlichen Stil vielleicht am treffendsten: "Diese poetischen Bastarde scheinen überall aufzutauchen, wo das alte schon nicht mehr, und das neue noch nicht geht."
Letztlich lässt sich über Aldrich sagen, dass er in allen Filmen - auch den künstlerisch weniger ambitionierten - den Film gedreht hat, der hinter dem Film liegt. Jeder seiner Filme schält den eigentlichen Inhalt aus dem Korsett des Genres heraus, ob nun die Bloßstellung des film noir in RATTENNEST, die Bloßstellung des Kriegsfilms in DAS DRECKIGE DUTZEND oder die Bloßstellung des ganzen Hollywoodapparates in HOLLYWOOD-STORY oder GROSSE LÜGE LYLAH CLARE. Nun ist die Zeit eines solchen "Krisenkinos", wie Seeßlen es weiter nennt, allerspätestens seit Mitte der 80er Jahre vorbei. Hollywood verfügt schon seit gut einem Vierteljahrhundert wieder über das "Master-Kontroll-Programm" der Hitgenerierung. Die Aufbruchszeit der 50er, 60er und vielleicht noch der 70er Jahre ist wieder vorbei.

Ein Film, der wie dem Studio entkommen erscheint, ist der hier vorliegende Söldner-Actionfilm MEN OF WAR (1994). Das mag daran liegen, dass Off-Hollywood-Regisseur/Drehbuchautor John Sayles beteiligt war, oder dass Dimension Films die Macher sich selbst überließ und diese zusehen mussten, wo sie Equipment herbekamen. Interessant auch, was daraus geworden wäre, hätte, wie geplant, John Frankenheimer die Regie übernommen.

Auf den Straßen Chicagos
Der etwas abgetakelte Ex-Soldat und Ex-Söldner Nick Gunar torkelt besoffen durch Chicago auf der Suche nach einem Job. Zwei Yuppies, die der Prosperitäts-Euphorie der 80er entstammen, wollen ihn anwerben, um auf einem Pazifikeiland alles für einen Landkauf klar zu machen. Auf der Insel lebt nämlich schon seit mehr als einem Jahrtausend ein Fischervölkchen, das wenig Interesse an harten Dollars zeigt. Also soll Gunar sich ein Trüppchen zusammenstellen und den Landkauf erzwingen. Notfalls mit Ausrottung des Volkes. Empfohlen für diese "Unter der Hand"-Aktion wurde Nick von seinem  ehemaligen kommandierenden Offizier und väterlichen Freund Col. Merrick. Diesen sucht der an dem Sinn des Auftrags zweifelnde Gunar auf und fragt auch gleich, warum Merrick nicht Keefer empfohlen habe. Schließlich habe Merrick doch die beiden zusammen ausgebildet und Keefer halte sich doch immer noch in der Region auf. Doch Merrick überzeugt Nick als er ihm sagt, dass dieser Auftrag nach der "Hand eines Poeten" verlange. Zusammen mit einem bunten Haufen macht Nick sich auf den Weg nach Südostasien, doch die Zweifel bleiben.

Statt der Knarre nun den Whisky im Holster
MEN OF WAR ist der Film hinter dem Genrefilm. Allerdings ohne die führende Hand eines Regisseures wie Robert Aldrich, so dass die inszenatorische Konzeptlosigkeit, mit der sich der mehr fürs Fernsehen tätige Perry Lang am Drehbuch entlang hangelt, jederzeit erkennbar ist. Genau dies sorgt dafür, dass das, was eher Zwischenton wäre, ungeschönt und unmittelbar zutage tritt. Was zum Genreklischee geronnen ist, erfordert plötzlich eine Auseinandersetzung. Meint man sich zu Beginn noch im Üblichen aufzuhalten, wenn Nick Gunnar besoffen in einer Absteige von seiner eigenen Echostimme verfolgt wird, die immer nur "Need a job, need a job, need a job!" flüstert und er schließlich im Stile von DAS DRECKIGE DUTZEND seine Truppe aus finsteren Bars, blutigen Cage-Fights und dem Gefängnis rekrutiert, wird beim Eintreffen in Thailand, wo man sich in einer dreckigen Hafenkneipe noch einmal vergnügen möchte, schon einer dieser Zwischentöne etwas zu deutlich. Nachdem Gunnar eine Nutte gefunden hat, blickt er vom Hotelzimmer aufs Meer hinaus und sinniert plötzlich darüber, ob die Zeiten für sie (die Thailänder/Asiaten) nicht vielleicht besser waren, als Menschen wie er (die den kapitalistischen Fortschritt brachten) noch nicht dagewesen sind, worauf er von dem jungen Mädchen die entsprechende Antwort in gebrochenem Englisch erhält: "Wanna fuck, twenty buck! Friendship costs more!".
Auch die sexuellen Implikationen sind als solche schon kaum noch zu bezeichnen. In der thailändischen Bar taucht plötzlich die ehemalige Soldatin Grace (!) auf, die sich nach einer zünftigen Kneipenschlägerei Gunars Truppe anschließt und nicht nur von einer natürlichen Schönheit ist, sondern in ihrer androgynen Physiognomie trotzdem als Sexualobjekt und gleichzeitig als gleichberechtigte Kämpferin funktioniert (etwas, was James Cameron mit seiner damals in der Kritik als "Rambolina" bezeichneten Figur Vasquez in ALIENS - DIE RÜCKKEHR nicht gelang). Als es die obligatorische Szene gibt, bei der sich Widerstand regt, dass eine Frau im Team sein soll, überzeugt sie nicht nur durch militärisches Fachwissen, sondern wirft den Muskelmännern auch ihre Mitgliedschaft bei den Special Forces vor, da es sich dabei "wieder mal um einen scheiß Männerverein handelt". Die Gescholtenen schauen daraufhin pikiert zu Boden. Bemerkenswert ist das nun alles, weil es noch nicht im (über-)bestätigenden Reaction-Shot-Stil inszeniert wurde, wie er seit den 90er Jahren üblich geworden ist, sondern oft ohne Cut in einer Einstellung. Dadurch erhält das ganze eine befremdliche Glaubwürdigkeit, die über die Behauptung hinaus geht. Ähnliche Geschlechterswitchs gibt es, wenn der junge Po, einer der Angehörigen des Fischervolkes, gerne im Rock vor den Söldnern umher spaziert und sie permanent an der Nase herum führt, bis Nick Gunnar völlig entnervt ist.


Die Frau, die Nick dann schließlich gegen seine Auftraggeber bekehrt, erfüllt dann endgültig die Voraussetzungen des Knabenkörpers, ist noch größer als Grace und hört auf den martialischen Namen Loki (und wieder !). Ein wunderschöner Dialog zwischen Po und Nick schafft mir dann die Brücke zum nächsten Sexualdiskurs des Filmes. Als Gunar Loki sieht, sagt Po, dass sie sehr hübsch ist, woraufhin dieser schweigt. Po fragt ihn daraufhin, ob er Schwierigkeiten mit Frauen habe, was schnell an die Szene mit der Prostituierten denken lässt, wo Gunar auch lieber philosophierte als kopulierte. Gunar entgegnet in geradezu infantilem Rationalismus: "Keine Frauen! Keine Schwierigkeiten!" Die Homoerotik in MEN OF WAR wird also, anders als in anderen körperbetonten Actionfilmen, nicht mehr als Metaebene angeboten, sondern offen zelebriert. Denn als für die Auftraggeber klar ist, dass Gunar nichts erreichen wird, holt man Keefer, Gunars Bruder im Geiste, beide vom gleichen Zieh-Vater zu Kampfmaschinen gemacht. Schon beim ersten, noch zufälligem Aufeinandertreffen der beiden in der Hafenkneipe, wird die tiefe Zuneigung ersichtlich. Homoerotik (vor allem männliche) trägt in ihrer Beschaffenheit den Hauch von Dekadenz und Elite in sich. Um einen so elementaren Gedanken wie Fortpflanzung muss man sich keine Gedanken machen, man kann sich in seiner Sexualität selbst genügen oder muss sich nicht auf komplizierte gesellschaftliche Balzrituale einlassen. Dies gilt natürlich nur, wenn man sich zu seinen homoerotischen Neigungen bekennt und diese dann auslebt (es geht hier nicht um Homosexualität, das ist was anderes). Männer haben dafür entsprechende Vereinigungen entwickelt wie Sportvereine, Militär... etc., in denen sie zum Zuge kommen können und ihre Auslebung oftmals an sadistische Prinzipien koppeln, gerade so, als würden sie das Strafgericht für den gesellschaftlichen Tabubruch im Kopfe tragen und müssten einen gnadenlosen Richterspruch beim Sex mit einarbeiten. Keefer nun also hat eine Gruppe von Piraten um sich geschart und sorgt für Ruhe in der Hafenkneipe. Als er Nick Gunar sieht gehen ihm die Augen über und er kann es kaum fassen. Sofort erschießt er einen seiner eigenen Männer und fragt Nick verzweifelt, warum er das nicht verhindert habe. Er müsse ihn dafür bestrafen. Sogleich möchte er ein altes Spielchen spielen, aus alten Tagen, bei dem man sich nahezu vollständig entkleidet gegenüber stand und solange ins Gesicht schlug, bis man nicht mehr konnte. Doch jetzt soll das ganze so ablaufen, dass nur noch Keefer schlagen darf. Aufgrund der Überlegenheit der Piraten lässt Nick sich darauf ein. Keefer formt Nicks Mund vor Beginn zu einem Kuss, drückt ihm selbigen schmatzend auf, spukt ihm danach sofort ins Gesicht, leckt seinen eigenen Speichel dann wieder ab und tritt Nick dann in die Weichteile. Nach mehreren Schlägen und Tritten, die von Keefer ekstatisch abgefeiert werden, beugt er sich plötzlich wieder zu Nick hinunter und streichelt melancholisch nachdenklich dessen Muskeln und bedauert was passiert ist. Dann tritt er ihn nochmals, Nick bricht endgültig zusammen und Keefer drückt ihm seinen Militärstiefel ins Genick und lässt sich die Schuhe putzen. Er verschont nach diesem kuriosen Geschlechtsakt Nick und seine Truppe. So fair ist er dann doch.




Auch die Geschäftsbesprechung mit den Yuppies besiegelt Keefer mit einem Kuss
Solche, wie gesagt, eigentlich nicht mehr großartig zu interpretierenden Bilder, findet man im Film zuhauf. Nackt und ungeschönt, ähnlich wie Aldrichs WAS GESCHAH WIRKLICH MIT BABY JANE? der als inzestuöses S/M-Bondage-Thriller-Melodram offensichtlich ist, werden uns hier die Skills des Söldner-Actionfilms als das präsentiert, was sie eigentlich sind. Die formale Struktur ist ähnlich irritierend. Abgesehen von der aus dem Rahmen fallenden Hafenkneipenszene haben wir es in den ersten 70 Minuten mehr mit einem Inseldrama im Arthouse-Stil zu tun. Anders, als man es ebenfalls seit den 90ern gewohnt ist, hat man es mit einem Kameramann zu tun, der etwas mit dem Scope-Format anzufangen weiß. Ausschweifende Panorama-Longshots der Inselkulisse erlauben nicht nur tatsächliche Kontemplation, sondern gehen durch den ein oder anderen Dialogwitz des Eingebornen Po eine Liaison ein, die dafür sorgt, das Palmen, Inselvolk und Katakomben nicht zur reinen Staffage geraten. Geschlossene, geradezu eng kadrierte Einstellungen auf die Söldner kontrastieren dazu und symbolisieren förmlich die geistige Enge, die ihnen noch den Blick auf die perfekt funktionierende und frei in der Natur existierende Gruppe der Fischer versperrt.

Aufeinandertreffen der Gegensätze und Bildkompositionen
Nachdem sich die meisten der Söldner mit den Insulanern angefreundet haben, kommt es so abrupt zu einem dramaturgischen Bruch, dass man meint, man habe ein Stück Film verpasst. Keefer und Col. Merrick wurden jetzt engagiert, um den Auftrag und Nick zu erledigen und es kommt zu einem 30-minütigen Showdown, bei dem Söldner und Inselvolk zu Mordmaschinen mutieren. Kinder spießen ihnen körperlich überlegene Männer mit selbstgeschnitzten Lanzen auf, Frauen greifen zu Hackebeilen und zerfleischen oder erdrosseln was sich ihnen in den Weg stellt. Nick Gunar und seine Leute mischen auch "irgendwie" mit. Keefer wiederum lässt Frauen und Kinder zusammenschießen und verbrennt Leichenberge en Masse. Man merkt es vielleicht, aber der Film taugt weder zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Söldnerthematik bzw. dem Eindringen des Fremden in primitivere, aber funktionierende Gemeinschaften, noch als affirmatives, kathartisches Actionspektakel. Die Action selbst kommt dann auch in einer bodenständigen, brachialen Härte daher, die inszenatorisch noch nichts von der in diesem Jahrzehnt auch in Hollywood Einzug haltenden Überdrehtheit Hongkongs aufweist und sich eher noch in ihrer konventionellen Schuss-/Gegenschusstechnick (Kamera wie Waffe) in der vorherigen Dekade vererden lässt. Und so ist MEN OF WAR ohne Zweifel einer der interessanteren Hollywood-Actionfilme der 90er Jahre geworden und der Film, der THE EXPENDABLES hätte sein können. Ich bin froh bei dieser Betrachtung die entsprechende Muße gehabt zu haben, denn die muss für einen Film, der so zwischen den Stühlen steht, schon sein.