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Montag, 4. April 2011

When we were kings!


Das Jahr 1985 stellt in meinem Leben einen wichtigen Wendepunkt dar. Es mag daran liegen, dass meine Hirnstruktur sich  damals soweit verändert hat, dass ich nun mehr zum formal-operatorischen Denken neigte, Zusammenhänge besser erarbeiten konnte und mir klar wurde, dass die einzige Sorge, die es gab, die vollständige thermonukleare Vernichtung des Planeten war. Wenn ich mir die augenblickliche Nachrichtenlage über Fukushima, Revolution in der arabischen Welt und Elfenbeinküste so ansehe, fühle ich mich doch sehr an damals erinnert, nur hießen die Krisenherde da noch Tschernobyl, Iran-Irak-Krieg, Afghanistan, Latein-Amerika-Revolution und Söldnerkriege auf dem afrikanischen Kontinent. Wie Snake Plissken in FLUCHT AUS L.A. so schön sagt: "Je mehr sich die Dinge ändern, umso sicherer, dass alles bleibt wie es ist."

Obwohl die politische Lage in ihrer Stabilität damals kaum sicherer war als heute, neigen viele im Sinne des hindsight bias dazu es so einzuschätzen. Liegt eine Begünstigung dieses typischen Verzerrungseffektes vielleicht daran, dass man die Welt damals etwas grober einteilen konnte, die Binärkodierung Ost/West eine Vereinfachung im Denken ermöglichte. Ronald Reagan hatte die Welt mit seinem Ausruf, dass die Sowjetunion das "Reich des Bösen" sei, in zwei Lager geteilt, ähnlich den B-Western, in denen er mitgewirkt hatte. So befanden wir uns in den 1980ern in einer permanenten Showdown-Politik, in der es nie zu selbigem hätte kommen dürfen, da er das Ende von allem bedeutet hätte. Inwiefern diese Vorgehensweise überlegt war, oder einfach nur durch Glück funktioniert hat, würde hier zu analysieren nicht nur dieses Blog sprengen. Ein guter Freund Ronald Reagans, Sylvester Stallone, machte sich diese Situation für seinen vierten Rocky zu Nutze. Die Überführung der Konfrontation der Systeme in einen Boxkampf ist ebenso simpel wie brillant. Eine der sehr wichtigen Erkenntnisse auf dem Weg zur Zivilisation war für den Menschen, dass er im Falle eines Krieges zweier Clans nicht mit allen Mitgliedern antreten musste, sondern es auch auf das Aufeinandertreffen einiger oder sogar nur eines Einzigen beschränken konnte. So stellte jeder seinen besten Krieger und die Dimensionen mathematischer und philosophischer Überlegungen über das Aufeinandertreffen von Dichotomien konnten plötzlich physikalische Wirklichkeit werden. Grundlage für solche Vorhaben war auch schon vor 100.000 Jahren die Politik oder anders ausgedrückt: Unterschiedliche Ansichten verschiedener sozialer Gruppierungen über die weitere Vorgehensweise ihrer Vereinigung, tatsächlich aber des Menschen überhaupt. Dass zur Zeit des Kalten Krieges ein minimal falscher Schritt nun nicht mehr das Ende einiger Ressourcen, sondern das Ende der Quelle aller Ressourcen überhaupt, der Existenz des Universums in der Vorstellungskraft des Individuums bedeutet hätte, verdeutlicht die Zuspitzung von Ereignissen, die unser Affenhirn nun lösen musste.

Der ultimative Konflikt
Rocky Balboa hat es nun endgültig geschafft. Nachdem er beweisen konnte, dass auch im - zumindest für einen Boxer - Alter noch so einiges in ihm steckt und er und sein früherer Erzrivale, Apollo Creed, nun gute Freunde geworden sind, lebt er ein Leben wie es herzerfrischend materialistischer kaum sein könnte. Wir sind vollständig im Jahrzehnt aus Plastik, Sterilität und glänzenden Oberflächen angekommen. Das geht sogar so weit, dass man als Butler und Freund für Paulie einen selbstdenkenden Roboter eingestellt hat, der sein Geschlecht, respektive seine Stimme, genau so ausrichtet, wie es gerade gewünscht wird. Statt in einer versifften Einzimmerwohnung leben die Balboas nun in einer palastartigen Villa mit Fuhrpark, Gärten, mehreren Autos und jeder Menge Dienstboten. Man hat sich eingerichtet und das Leben könnte gar nicht besser sein. Stallone - auch wieder als Regisseur in diesem Film - muss bei so viel Künstlichkeit und Dekadenz wenigstens eine Szene einbauen, in der Rocky und Adrian einen Moment der Zweisamkeit haben, in der das Geschenk der Tiffany-Uhr aber nicht fehlen darf. Die Kontrastierung ist entsprechend hart. Eine Überblendung und wir sehen, untermalt mit einem Bass vom Synthesizer, der den Boden zum vibrieren bringt, das Ponem von Ivan Drago. Die Russen sind da!

Dieser Hausfreund ist keine sexuelle Bedrohung mehr
Die Szenen der russischen Delegation sind dann auch so ausgeleuchtet wie man es von Vertretern aus dem "Reich des Bösen" erwarten kann. Eine permanente Dunkelheit scheint alle Beteiligten zu umgeben, einzig aufgehellt durch Computerdisplays, biometrische Geräte und kleinen Männern in strahlend weißen Kitteln, die hektisch durcheinanderlaufen und jede Bewegung ihres an Kabeln angeschlossenen (Roboter-)Kriegers notieren. Hier steht mit Ivan Drago also nun die ultimative Herausforderung. Und natürlich muss es in einem derartigen Drama auch einen Patroklos geben, nur dass er hier Apollo heißt. Creed, der glaubt sich mit diesem Kampf unsterblich machen zu können, stirbt in Rockys Armen. Ivan Drago hat ihn vernichtet. So wird das Ganze auch zu einer Geschichte um falschen Männerstolz, denn nicht nur, dass Creed eigentlich zu alt für solch einen Kampf ist, er schlägt auch alle Warnungen in den Wind und ringt Rocky das Versprechen ab, den Kampf nicht durch vorzeitige Aufgabe zu beenden. So lastet auf diesem die Verantwortung für Apollos Tod, von Stallone noch in kurzen Gegenschnitten verdeutlicht, wenn Rocky das Handtuch ansetzt und Apollo, dem finalen Todesschlag nahe, immer noch "Nein" stöhnt.

Für die Amerikaner ist alles eine Party


Mythologischer Pathos in Las Vegas
Schließlich macht man sich auf in die Sowjetunion, um am 25.12., dem ersten Weihnachtsabend, die Auseinandersetzung zwischen Ost und West stattfinden zu lassen. Es wird die Schlacht im Sport, die es in der wirklichen Welt nie geben durfte. Politik nach den einfachen Regeln eines Spiels und innerhalb der Überschaubarkeit eines Ringes.

Die Konfrontation. In Moskau herrscht mehr Ernst
Wenn man sich ROCKY IV auf der formalen Ebene ansieht, dann fällt auf, wie sehr man in den 1990ern in puncto Videoclipinszenierung wieder zurückgerudert ist. Was hier in einer Komprimierung von 92 Minuten geboten wird, ist der tatsächliche Versuch mit den Mitteln der Montage, der Musik und der Verdichtung eines 3-Minuten-Clips einen vollständigen Film zu erzählen. Dies führt nicht nur zu einem enormen Tempo, sondern lässt auch die Verdichtung der politischen Ereignisse der Zeit spüren. Aufgrund all seiner Naivität, seinen Klischees und seiner Grundehrlichkeit, verwende ich mal einen dieser Begriffe, die der Kategorisierungswut einer seit 50 Jahren planlos umherirrenden Kulturwissenschaft entspringen: Der Film ist "Camp". Und darin ist er ein Meisterwerk!

Rocky schaut, anders als sein Konkurrent, auf seinem Ikonenbild nacht rechts. In die Zukunft
Es war die Zeit, als wir Kinder noch glaubten, dass Spiritualität und Körpermasse sich vereinigen lassen. Es war unser Traum der Vereinigung von Ost und West. Es war die Zeit, in der wir so ungeniert wie seit der Antike nicht mehr homoerotischen Wunschvorstellungen frönten, über die infantile Zelebrierung von Männlichkeit: Muskeln, Schweiß und Alpha-Kampf. Stallone hat wie kaum ein anderer Star des Männerkinos begriffen, dass die Welt eigentlich von Frauen getragen wird und Männer gerne spielen. Egal, ob Politik, Philosophie oder Krieg. Egal, ob im Guten oder im Schlechten. Egal, ob grausam oder scherzhaft. Um das zu begreifen, braucht nur jeder Mann seine Adrian, doch dieses Ideal ist für Frauen nicht minder schwer zu erreichen wie ein perfekter Muskelkörper. So müssen Männer von Frauen lernen, was wir von ihnen wünschen: verzeihen können. Rocky verzeiht Drago, dass er seinen Freund getötet hat und Adrian verzeiht Rocky, dass er kämpfen muss. Schöner wurde Dualismus selten zusammengeprügelt.

Adrian aus der Untersicht gefilmt. Weisheit, Mahnung und Güte in Person

4 Kommentare:

  1. Klasse Text! Gewinnbringend zu lesen und spannend zugleich. :-)

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  2. Vielen Dank! Das baut einen auf. Ich dachte schon, der Text wäre zu persönlich oder zu didaktisch.

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  3. Auch von mir ein großes Lob für den Text. Auch wenn ich persönlich mit dem ROCKY-Mythos wenig bis nichts anfangen kann, nötigt mir diese Aufarbeitung einen gewissen Respekt ab, zumal bewusst auf die im Zusammenhang mit dieser Reihe sonst so typischen Floskeln verzichtet wurde :)

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  4. Vielen Dank auch an Dich. Mir ist schon aufgefallen, dass wir zum Teil völlig andere, manchmal sogar entgegengesetzte Ansichten vertreten. Da wirkt ein Kompliment von jemandem, der sich für das Thema nicht interessiert nur umso schöner.

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