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Donnerstag, 3. Juli 2014

DER GEFANGENE DER HAIFISCHINSEL

DER GEFANGENE DER HAIFISCHINSEL

Tonfilm Nr. 19: Nach der Fusion der Fox Film Corporation und der Twentieth Century Pictures übernahm Darryl F. Zanuck das Ruder und sollte sich als harter Hund entpuppen, der Ford Paroli bot und sich durch dessen Härte und vernichtende Art, die auch körperlich sein konnte, nicht einschüchtern ließ. Wie zwei wilde Hunde konnten sie ihre Kräfte messen, doch Zanuck ging an Ford auf eine Weise heran, zu der William Fox nie fähig gewesen wäre: unbefangen. Selbst nach einem Werk wie DER VERRÄTER hätte der inzwischen alte William Fox in Ford immer noch den "Runterkurbler" gesehen, den er 1920 von Carl Laemmles UNIVERSAL abgeworben hatte. Zanuck fragte sich, als er die Produktionsleitung der neuen FOX übernommen hatte als erstes, warum man John Ford "U-Boot-Filme" und "Klamotten" zu inszenieren gab und ihn nicht an die wichtigsten Filme setzte, die je gedreht werden könnten. Filme, die komplex und bedeutungsvoll waren. Er wollte Ford wegholen, von diesen kleinen Filmen, denn Zanuck sah, was Ford mit ARROWSMITH, FLEISCH und DER VERRÄTER für andere Studios schuf. Warum, bis auf PILGRIMAGE und DAS LEBEN GEHT WEITER, schuf er diese Werke nicht zuhauf bei der FOX. Er musste noch lernen, dass Ford das Filme machen brauchte wie die Luft zum Atmen.

Erzählt wird die Geschichte des (vermeintlichen) "Lincoln-Verschwörers" Samuel A. Mudd. Die USA befinden sich in der Reconstruction-Ära nach dem Sezessionskrieg. Abraham Lincoln ist der einzige, der das Land einen kann. Einer der Gründe, warum eigentlich erst nach dem Bürgerkrieg der USA davon gesprochen wird, dass sie zu einer Nation zusammengewachsen sind (Karl Marx sah darin übrigens die erste und bisher einzig funktionierende sozialistische Revolution der Geschichte). Doch statt der historischen und geradezu legendären Rede, die Lincoln unmittelbar nach dem Krieg hielt, lässt Ford ihn bitten, als das Volk eine weitere Rede fordert, den Dixie zu spielen, von einer Band der Nord-Staaten (!). Diese sind zuerst verdutzt, aber folgen dem Wunsch. So macht Ford klar, dass Lincoln, der das Land gezielt in den Krieg und die Teilung geführt hatte, nun bedingungslos nach Versöhnung strebte. Am nächsten Tag wird Lincoln in Ford's Theatre - Ford zeigt extra das Plakat, da Lincoln wirklich dort getötet wurde und damit wir den Joke kapieren - von dem Schauspieler John Wilkes Booth erschossen. Booth brach sich dabei bekannterweise das Bein und wurde von dem Landarzt Samuel A. Mudd verarztet. Der Rest ist buchstäblich Geschichte. Samuel Mudd wurde in einer Stimmung der Hysterie und Paranoia mit anderen Personen der Verschwörung angeklagt, welche zum Ziel hatte, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu töten. Ford inszeniert den Prozess als Schauprozess, Mudd entgeht dem Strang, aber wird zu lebenslanger Haft auf "Shark Island" verurteilt. Seine Frau kämpft zuerst mit rechtlichen Schritten und ist dann auch bereit, ihrem Mann zur Flucht zu verhelfen. Ihr Vater war ein Süd-Staaten-Colonel und ist stetig bereit, zu den Waffen zu greifen (er wird recht unbarmherzig getötet). Sogar einen Engel schickt sie Samuel. Buck war einst ein Sklave unter Mudd, doch jetzt gehört er zu der Wächtergarde, welche die Gefangenen auf "Shark Island" bewachen soll. Auf Wunsch Peggy Mudds hat er sich für den Dienst bereit erklärt, damit Mudd durchkommt. Die Gefängnisführung besteht nämlich ausschließlich aus Anhängern der "Union" und die haben kein Verständnis für Mudd. So will es die Ironie, dass Mudd nur durch seinen ehemaligen Sklaven am Leben bleibt. Die Zeit vergeht und plötzlich bricht auf "Shark Island" das Gelbfieber aus. Es entstehen Spannungen zwischen den schwarzen Wächtern und der weißen Gefängnisführung, da zunächst nur die Weißen vom Gelbfieber betroffen scheinen. Als der Gefängnisarzt stirbt, holt man Mudd aus seinem Erdloch, in das man ihn ohne Sonne eingesperrt hat.

Zanuck hatte Ford einen Film mit "social content" gegeben. Ford macht wieder mal "seinen Film" daraus, Zanuck war unzufrieden. Der Film war am Box Office eher ein Misserfolg, die Kritik negativ eingestellt. Heute gilt der Film als einer der ungewöhnlichsten, der ein Major in den 1930ern als Aushängeschild-Produktion verlassen hat.

Im Folgenden lässt sich anhand einiger Bilder die nahezu endlose Meisterschaft Fords und seiner Stilmittel zeigen. Ich beziehe mich dabei hauptsächlich auf die Analysen des Regisseurs und Drehbuchautors Tim Hunter:

Die Feier des Endes des Bürger-Kriegs wird von Ford durch die Bildgestaltung des Expressionismus in ihrer ganzen Ambivalenz für das Land dargestellt

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Eine weitere Intertextualität zu DIE GEBURT EINER NATION. Die Erschießung Lincolns von Ford in einer Voyeur-Perspektive inszeniert und mit der Tonspur arbeitend

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Unter den unzähligen stilistischen Mitteln, die Ford hier anwendet, lassen sich auch welche finden, die bis heute modern sind. Nachdem Lincoln erschossen wurde, lässt eine Hand den Gardinenvorhang, der in seiner Loge war, vor sein Gesicht gleiten. Intra- und extradiegetische Ebene fallen dadurch zusammen, da es gleichzeitig der Vorhang der Geschichte ist, der vor Lincoln fällt und ihn uns zunehmend entrückt

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Ford arbeitet mit einer zunehmenden Überblendung, welche Lincoln in eine Matrix zerlegt. Er wird vom entrückten Element zu einer historisch-mathematischen Figur

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Nach diesem modernen Effekt "bemüht" Ford nun den Symbolismus: Lincon zerfällt von greifbaren Strukturen in einen Nebel, welcher tatsächlich der Anschluss zur nächsten Szene ist

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Mudd wird verhaftet. Ford zeigt die Soldaten als eine Art GESTAPO. Sie werden kreuz und quer jeden verhaften, der ihnen verdächtig erscheint

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Ford zeigt eine Szene, in der deutlich gemacht wird, dass man Verurteilungen wünscht. Es sollen Millitärs die Urteile sprechen. Durch die im Land aufgebrachte Stimmung sind es nichts anderes als Standgerichte. Die Beschuldigten - Ford lässt völlig offen, wer schuldig und wer unschuldig sein könnte - werden wie in Guantanamo Bay behandelt und sollen möglichst schnell abgeurteilt werden. Sie alle sind, unterfüttert durch eine allgemeine Hysterie und Paranoia, Staatsfeinde

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Zur Symbolisierung der aufgebrachten amerikanischen Bevölkerung, die Vergeltung wünscht, inszeniert Ford im Stile des Eisenstenschen Formalismus cholerische Massen, die deutlich machen, wie schnell sich das "Land der Freiheit" in einen Haufen Paranoider verwandelt

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Buck hat sich eingeschleust, um Dr. Mudd zu helfen. Angleichung und Abhebung als Kontrast im Bild inszeniert. Dazu mit einem Zoom auf Buck

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Rankin ist der Inbegriff des politischen Idealisten und Fanatikers. Er ist ein derartiger Lincoln-Verehrer, dass er all seinen Hass für gescheiterte politische Möglichkeiten an Mudd auslässt. Lichtsetzung wie im film noir

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Mudd wurde in ein Erdloch gesperrt, zusammen mit Buck, der ihm bei einem Ausbruch helfen wollte. Hier bedient Ford sich, wie auch bei vielen anderen Szenen, des Realismus

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Der Zusammenbruch des Gefängnis-Arztes. Eine kameratechnische Vorwegnahme des Neorealismus

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Mudd ist bereit zu helfen. Doch nur, wenn sein Freund Buck mitkommt. Amerikanische Romantik

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Mudd will sich schlafen legen, nach dem er Tausende von Patienten ohne Medizin behandeln musste. Elemente des Expressionsimuses und Vorwegnahmen des Surrealismus

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Die Heimkehr Mudds als gebrochener Mann. Der lyrisch-amerikanische Klassizismus nach Griffith, jedoch als Hintertreibung

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Die eigentliche Auflösung der Szene und das Ende des Filmes, welches in einer Hollywood-A-Klasse-Vorzeige-Produktion zum ersten Mal eine farbige Familie in der letzten Einstellung zeigte, welche den eigentlich glücklichen Schlusspunkt im Film bildet

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