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Freitag, 9. November 2012

Der Fan


BR Deutschland 1981
Regie: Eckhart Schmidt

Mit dem Dekadenwechsel der 70er auf die 80er Jahre war in Deutschland (sowie überhaupt in vielen westlichen Industrienationen) ein Wunsch nach Veränderung verbunden. Gesellschaftlich wie auch in der Populärkultur. Im Kino war dies besonders durch eine neue (bedingt neu, da eigentlich nur eine Farb- und Neonvariante des film noir) "Verästhetisierung" der gerade erst erzwungenen Realität erkennbar. Eckhart Schmidt, früherer Filmkritiker der SZ, wollte sowohl dem deutschen Kino der Greise, als auch dem "Neuen Deutschen Film", der einst angetreten war gegen eben dieses Greisenkino, aber inzwischen völlig institutionalisiert war, den Kampf ansagen. Passend zur NDW in der Pop-Musik sollte es zur "Neuen Welle" im Kino kommen. Eine Welle, welche die innere Abgestumpftheit durch den Konsumapparat, die zunehmende Unlust zu politischer Revolution, die Abgestorbenheit jeglicher Gefühle beinhalten sollte. Ein neues Lebensgefühl also, welches von Destruktion, einer vor die Hunde gehenden Gesellschaft und dem ständigen Erwarten der Apokalypse geprägt war.

In DER FAN, seinem ersten Feature-Film seit 12 Jahren, beschäftigt sich Eckhart Schmidt nun mit sich selbst bedingenden Regressionswünschen. Eine Ankoppelung an die Gesellschaft ist nicht mehr gewünscht. Die orale Phase soll ungehindert ausgelebt werden. Fast schon überzogen - so sah es zumindest die Kritik damals - ist der Film vollgestopft mit seinen gewollt psychoanalytischen Bedeutungsebenen, inszenatorisch ordentlich dick aufgetragen im Stile von Schmidts Lieblingsregisseur Douglas Sirk.

Die 16-jährige Simone ist eine fan-atische Anhängerin von "R", einem neuen Popstar, der gerade die Charts erobert. Er singt vom Augenblick, vom Moment, den er genießen will und damit ist er kein Lügner. Simone schwänzt die Schule, wartet jeden Tag vergeblich auf einen Brief von "R", schreibt ihm regelmäßig Fan-Briefe, dreht sich in ihren vertonten Gedanken permanent um ihn. Schließlich reißt sie von zu Hause aus und macht sich auf den Weg nach München, wo "R" ein neues Video aufnimmt. Sie entgeht lüsternen Spießbürgern, die sie abficken wollen, pennt im Park und wird schließlich von "R" wahrgenommen als er Autogramme gibt. Wie gesagt, "R" ist kein Lügner. Für ihn, einem in deutschen Kultobjekten erstarrten Roboter, zählt wirklich nur der Augenblick. Nachdem er Simone entjungfert hat, wirft er sie weg.

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Dies lässt Simone sich nicht gefallen. Das von außen völlig apathische Mädchen zeigt seine einzige erkennbare natürliche Emotion als sie begreift, was "R" mit ihr tut: Sie schreit! Dann nimmt sie eine Statue und tötet "R". Danach zersägt sie ihn in seine Einzelteile, kocht und isst ihn und zermahlt die Knochen zu Mehl, welches sie in einem Ritual an dem Punkt verstreut, wo sie und "R" sich zum ersten Mal begegnet sind. Dann geht sie nach Hause und ist glücklich, "R" endlich ganz für und in sich zu haben. Sie wurde in dieser Nacht geschwängert, sie freut sich auf das Kind, sie wird ihn gebären.

---- Spoiler ----

Schwierig über den Film zu sprechen, wenn man das Ende nicht verraten darf. Es geht um die totale Verschlingung. Das erste sexuelle Bedürfnis, welches ein Mensch kennt, wenn er geboren wurde. Er will verschlingen, kannibalistisch, sich selbst, andere. Da in diesem Abschnitt noch keine Trennung zwischen Innen und Außen gemacht wird, da der Mensch sich solipsistisch als universelle Existenz begreift, führt dies in seiner Erfüllung zur vollständigen Destruktion bei gleichzeitiger Erfüllung aller Wünsche. Ein logischerweise nicht zu erfüllendes Unterfangen, weshalb die Zerstörung des in sich aufzunehmenden Objekts nicht Befriedigung auf Dauer sein kann. Jedoch gilt ein derartiges Konzept i.d.R. für Männer, da es keine weiblichen Serienkiller aus sexuell fetischisierten Motiven gibt. Das ist deshalb faszinierend, da Männer, unfähig zu gebären, ihren Fetisch immer wieder neu ersetzen müssen, deshalb weiter töten. Aber was macht Simone? Sie hat einen Ersatz, den zu Töten in eine Dissoziation führen würde: ihr eigenes Kind. Die Faszination dieser Überlegung ergibt sich aus dem Konflikt zwischen Mutterinstinkt und Libido. Würde Simone dem Eros der oralen Befriedigung ungehindert nachgeben, würde sie ihr eigenes Kind essen müssen. Vorher müsste sie sich aber von ihm schwängern lassen, damit sie das regressive Perpetuum Mobile weiter am Laufen erhalten kann. Sollte es ein Mädchen werden, könnte sie nur ihre Obsession "weiterschenken".

Inszenatorisch ist hier vieles doch recht steif. Schmidt meint es zu gut mit den Sirk-Elementen und der psychoanalytischen Überfrachtung, doch sind dies m.E. kritische Krümmelkackerelemente, da wir heute mehr denn je solche Filme brauchen. Vor allem, weil hier ein schöner Brückenschlag erkennbar ist auf der intellektuellen Schiene des "Neuen Deutschen Films", sowie dem in Deutschland zu dieser Zeit toten Genrekino aufzubauen. Fernab von Bernd-Eichinger-Schrott wurde hier ein Weg eingeschlagen, der, schon aufgrund der inszenatorischen Unzulänglichkeiten, einen Punkt "0" darstellt. Eckhart Schmidt, die "Stunde Null" im deutschen Kino? Wohl nicht, aber ein gelungener Einstand. Dazu das Titellied von Rheingold:

3 Kommentare:

  1. Beim vorletzten Absatz hatte ich die merkwürdige Assoziation einer Kleinschen Flasche, bei der ja auch Innen und Außen nicht zu unterscheiden sind.

    Aber eigentlich wollte ich nur mitteilen, dass es mich freut, dass Du hier wieder etwas schreibst. Dein letzter Kommentar klang ja etwas resigniert.

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  2. Hallo Manfred,

    ja, das ist wirklich ein passendes Bild. Vor allem, weil die weibliche Hauptfigur sich am Ende auch optisch dem von ihr Angebeteten anpasst.

    Ansonsten überkam es mich spontan mal wieder was zu schreiben. Mal sehen wie lange das anhält. Hauptsache Du bleibst am Ball. :)

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  3. Auch ich finde es sehr schön hier gerade einen regen Textausstoß vorzufinden!

    Und danke für die Einbettung des Rheingold-Videos. Als ich vor einigen Jahren den FIlm zum ersten Mal sah, wollte ich mir unbedingt eine Rheingold-LP zulegen. Leider bis heute nicht geschehen - ein schmerzendes Versäumnis.

    Ich liebe DER FAN, und vor allem Schmidts "naive" direkte Inszenierungsweise in diesem Film. Es ist alles ganz simpel angelegt, aber hinter der Oberfläche lauert überall der Abgrund. Auch mein liebster liebster "Fan"-Film. Und wie du so schön schreibst: Für mich ist das definitv eine Art Stunde Null im deutschen Kino. Im gleichen Jahr entstanen ja auch die beiden ähnlich gelagerten Meisterwerke DAS ZWEITE GESICHT von Dominik Graf und BRANDMALE von George Moorse. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn Filmemacher in Deutschland heute mit dem gleichen talent die Gegenwart abbilden wollen würden.

    PS: Ich glaube, das was ich als einfach, klar und direkt wahrnahm, könnte die Überladenheit sein, die andere im Film sahen.

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