BR Deutschland 1981
Regie: Eckhart Schmidt
Mit dem Dekadenwechsel der 70er auf die 80er Jahre war in Deutschland (sowie
überhaupt in vielen westlichen Industrienationen) ein Wunsch nach Veränderung
verbunden. Gesellschaftlich wie auch in der Populärkultur. Im Kino war dies
besonders durch eine neue (bedingt neu, da eigentlich nur eine Farb- und
Neonvariante des film noir) "Verästhetisierung" der gerade erst
erzwungenen Realität erkennbar. Eckhart Schmidt, früherer Filmkritiker der SZ,
wollte sowohl dem deutschen Kino der Greise, als auch dem "Neuen Deutschen
Film", der einst angetreten war gegen eben dieses Greisenkino, aber
inzwischen völlig institutionalisiert war, den Kampf ansagen. Passend zur NDW
in der Pop-Musik sollte es zur "Neuen Welle" im Kino kommen. Eine
Welle, welche die innere Abgestumpftheit durch den Konsumapparat, die
zunehmende Unlust zu politischer Revolution, die Abgestorbenheit jeglicher
Gefühle beinhalten sollte. Ein neues Lebensgefühl also, welches von
Destruktion, einer vor die Hunde gehenden Gesellschaft und dem ständigen Erwarten
der Apokalypse geprägt war.
In DER FAN, seinem ersten Feature-Film seit 12 Jahren, beschäftigt sich
Eckhart Schmidt nun mit sich selbst bedingenden Regressionswünschen. Eine
Ankoppelung an die Gesellschaft ist nicht mehr gewünscht. Die orale Phase soll
ungehindert ausgelebt werden. Fast schon überzogen - so sah es zumindest die
Kritik damals - ist der Film vollgestopft mit seinen gewollt psychoanalytischen
Bedeutungsebenen, inszenatorisch ordentlich dick aufgetragen im Stile von
Schmidts Lieblingsregisseur Douglas Sirk.
Die 16-jährige Simone ist eine fan-atische Anhängerin von "R",
einem neuen Popstar, der gerade die Charts erobert. Er singt vom Augenblick,
vom Moment, den er genießen will und damit ist er kein Lügner. Simone schwänzt
die Schule, wartet jeden Tag vergeblich auf einen Brief von "R",
schreibt ihm regelmäßig Fan-Briefe, dreht sich in ihren vertonten Gedanken
permanent um ihn. Schließlich reißt sie von zu Hause aus und macht sich auf den
Weg nach München, wo "R" ein neues Video aufnimmt. Sie entgeht
lüsternen Spießbürgern, die sie abficken wollen, pennt im Park und wird
schließlich von "R" wahrgenommen als er Autogramme gibt. Wie gesagt,
"R" ist kein Lügner. Für ihn, einem in deutschen Kultobjekten
erstarrten Roboter, zählt wirklich nur der Augenblick. Nachdem er Simone
entjungfert hat, wirft er sie weg.
---- Spoiler ----
Dies lässt Simone sich nicht gefallen. Das von außen völlig apathische
Mädchen zeigt seine einzige erkennbare natürliche Emotion als sie begreift, was
"R" mit ihr tut: Sie schreit! Dann nimmt sie eine Statue und tötet
"R". Danach zersägt sie ihn in seine Einzelteile, kocht und isst ihn
und zermahlt die Knochen zu Mehl, welches sie in einem Ritual an dem Punkt
verstreut, wo sie und "R" sich zum ersten Mal begegnet sind. Dann geht
sie nach Hause und ist glücklich, "R" endlich ganz für und in sich zu
haben. Sie wurde in dieser Nacht geschwängert, sie freut sich auf das Kind, sie
wird ihn gebären.
---- Spoiler ----
Schwierig über den Film zu sprechen, wenn man das Ende nicht verraten darf.
Es geht um die totale Verschlingung. Das erste sexuelle Bedürfnis, welches ein Mensch
kennt, wenn er geboren wurde. Er will verschlingen, kannibalistisch, sich
selbst, andere. Da in diesem Abschnitt noch keine Trennung zwischen Innen und
Außen gemacht wird, da der Mensch sich solipsistisch als universelle Existenz
begreift, führt dies in seiner Erfüllung zur vollständigen Destruktion bei
gleichzeitiger Erfüllung aller Wünsche. Ein logischerweise nicht zu erfüllendes
Unterfangen, weshalb die Zerstörung des in sich aufzunehmenden Objekts nicht
Befriedigung auf Dauer sein kann. Jedoch gilt ein derartiges Konzept i.d.R. für
Männer, da es keine weiblichen Serienkiller aus sexuell fetischisierten Motiven
gibt. Das ist deshalb faszinierend, da Männer, unfähig zu gebären, ihren Fetisch
immer wieder neu ersetzen müssen, deshalb weiter töten. Aber was macht Simone?
Sie hat einen Ersatz, den zu Töten in eine Dissoziation führen würde: ihr
eigenes Kind. Die Faszination dieser Überlegung ergibt sich aus dem Konflikt
zwischen Mutterinstinkt und Libido. Würde Simone dem Eros der oralen
Befriedigung ungehindert nachgeben, würde sie ihr eigenes Kind essen müssen.
Vorher müsste sie sich aber von ihm schwängern lassen, damit sie das regressive
Perpetuum Mobile weiter am Laufen erhalten kann. Sollte es ein Mädchen werden, könnte sie nur ihre Obsession "weiterschenken".
Inszenatorisch ist hier vieles doch recht steif. Schmidt meint es zu gut mit
den Sirk-Elementen und der psychoanalytischen Überfrachtung, doch sind dies
m.E. kritische Krümmelkackerelemente, da wir heute mehr denn je solche Filme brauchen. Vor
allem, weil hier ein schöner Brückenschlag erkennbar ist auf der
intellektuellen Schiene des "Neuen Deutschen Films", sowie dem in
Deutschland zu dieser Zeit toten Genrekino aufzubauen. Fernab von
Bernd-Eichinger-Schrott wurde hier ein Weg eingeschlagen, der, schon aufgrund
der inszenatorischen Unzulänglichkeiten, einen Punkt "0" darstellt.
Eckhart Schmidt, die "Stunde Null" im deutschen Kino? Wohl nicht, aber ein
gelungener Einstand. Dazu das Titellied von Rheingold:
Beim vorletzten Absatz hatte ich die merkwürdige Assoziation einer Kleinschen Flasche, bei der ja auch Innen und Außen nicht zu unterscheiden sind.
AntwortenLöschenAber eigentlich wollte ich nur mitteilen, dass es mich freut, dass Du hier wieder etwas schreibst. Dein letzter Kommentar klang ja etwas resigniert.
Hallo Manfred,
AntwortenLöschenja, das ist wirklich ein passendes Bild. Vor allem, weil die weibliche Hauptfigur sich am Ende auch optisch dem von ihr Angebeteten anpasst.
Ansonsten überkam es mich spontan mal wieder was zu schreiben. Mal sehen wie lange das anhält. Hauptsache Du bleibst am Ball. :)
Auch ich finde es sehr schön hier gerade einen regen Textausstoß vorzufinden!
AntwortenLöschenUnd danke für die Einbettung des Rheingold-Videos. Als ich vor einigen Jahren den FIlm zum ersten Mal sah, wollte ich mir unbedingt eine Rheingold-LP zulegen. Leider bis heute nicht geschehen - ein schmerzendes Versäumnis.
Ich liebe DER FAN, und vor allem Schmidts "naive" direkte Inszenierungsweise in diesem Film. Es ist alles ganz simpel angelegt, aber hinter der Oberfläche lauert überall der Abgrund. Auch mein liebster liebster "Fan"-Film. Und wie du so schön schreibst: Für mich ist das definitv eine Art Stunde Null im deutschen Kino. Im gleichen Jahr entstanen ja auch die beiden ähnlich gelagerten Meisterwerke DAS ZWEITE GESICHT von Dominik Graf und BRANDMALE von George Moorse. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn Filmemacher in Deutschland heute mit dem gleichen talent die Gegenwart abbilden wollen würden.
PS: Ich glaube, das was ich als einfach, klar und direkt wahrnahm, könnte die Überladenheit sein, die andere im Film sahen.