BR DEUTSCHLAND 1970
Regie: Rolf Olsen
In den Filmen Rolf Olsens geht es formal wie inhaltlich um
das Aufeinandertreffen der Gegensätze. Bereits in seinen Frühwerken arbeitet er
mit dem Aufeinanderprallen der Geschlechter, wenn Männer in Frauenfummeln
Verwirrung stiften, lässt er die klassischen bürgerlichen Werte, die er oft als
bigott und verlogen entlarvt, auf moderne Erscheinungen treffen, die sich die
Sporen in der Gesellschaft als bleibend erst noch erkämpfen müssen. Er lässt es
einen Deutschen, der eben dieses Aufeinandertreffen in sich personifizierte, in
seinem Film DAS KANN DOCH UNSREN WILLI NICHT ERSCHÜTTERN erklären. Heinz
Erhardt (Dichter und Genie) landet mit seiner Familie in Italien - allein dieses Aufeinanderprallen zwischen den
Deutschen und ihren Gastarbeitern der ersten Stunde behandelt Olsen immer
wieder – nur sind die Deutschen diesmal im Gegenland und verfahren nach dem
Motto: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Deutschen die im Ausland sind.
Nachdem man den, wie im Film benannt, „ersten deutschen Gastarbeiter in Italien
zurücklässt“ versichert uns Erhardt noch coram publico, dass man „im Vertrauen“
eigentlich nur was zum Lachen zeigen wollte, denn mehr kann es nicht sein. Und
sollte das gelungen sein, dann „kann man ja auch wieder abhauen“.
Sehr deutlich
fand Rolf Olsen das Aufeinandertreffen dieser Gegensätze in der Bigotterie auf
St. Pauli. Diesem Thema widmete er sich in diversen Filmen und griff dabei
immer wieder auf den „normannischen Kleiderschrank“ zurück, jene
Menschmaschine, die nur so vor Kraft strotzte (nicht unbedingt vor
schauspielerischem Talent) die sogar Orson Welles in FÄHRE NACH HONGKONG ganz
klein wirken ließ. Daran konnte sich der bundesdeutsche Normalverbraucher
festhalten, wenn es durch dunkle Kaschemmen, über dreckige Straßen und an den
Zuhältern und Nutten vorbeiging.
In DER PFARRER VON ST. PAULI geht es aber
nicht nur um das Aufeinanderprallen der Gegensätze, auch wenn der Zuschauer
gleich zu Beginn des Filmes damit bombardiert wird. Erst sehen wir noch das
offene Meer, eine Datumsanzeige erklärt uns, dass es im Monat der Kapitulation
der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ist. Schnitt, wir sind in der Enge eines
U-Bootes. Der Maschinenraum steht bereits unter Wasser. Dutzende sind schon
gestorben. Ein Mann dreht durch und muss überwältigt werden. Die rote
Notbeleuchtung wird eingeschaltet. Das U-Boot sinkt. Allein hier wird bereits
eine Verdichtung deutlich gemacht, die, ähnlich den Figuren, die Luft zum Atmen
raubt. Das U-Boot sinkt, das Licht ist rot, die Männer starren stumpf vor sich
hin und sinken immer tiefer auf den Meeresboden. Draußen ein Wasserdruck, der
jeden menschlichen Körper binnen Sekunden zerquetschen würde. Einer fängt an,
das Vater-Unser zu beten und die anderen fallen mechanisch ein. Der Beginn des
Films führt uns ein Ende vor. Nur einer betet ein eigenes Gebet. Tritt direkt
mit Gott in Kontakt, nahezu kongenial. Ist bereit, dem Schöpfer des Universums,
wie er ihn nennt, einen Gefallen zu tun, wenn dieser die Jungs rettet. Gläubig
will er werden und beweisen will er dies, indem er Pfaffe wird. Kaum den Schwur
dies zu erfüllen gesprochen, schreit einer auf. Die Amis sind über ihnen, sie
haben sie bemerkt, sie holen sie hoch.
Nach dieser Kriegsepisode sind wir schlagartig
in der Gegenwart angekommen. Konrad Johannsen hat sein Versprechen wahr
gemacht. Als lebendes Totem stolziert er über die Reeperbahn und grüßt die
Schafe seiner Gemeinde. Egal, ob weiß oder schwarz. Kaum spielt sich die
Verdichtung der eigens für den Film komponierten Musik und einem zünftigen
Halleluja in der Kirche gesungen zu einem crescendo hoch, da folgt die dritte
Klatsche. Nach der Kriegsrealität eines früheren Deutschlands landen wir im
Jahr 1970 bei einem Mann, der den Glauben vertreten möchte und nach diesem eher
rationalen Zeitsprung lässt Olsen den Zeitsprung auch emotional erfahrbar
werden, wenn wir plötzlich ein ausgehagertes H-Girl oben ohne im Drogenrausch
tanzen sehen. Eine Hippie-Kommune ist in die Gemeinde gezogen und lässt es
ordentlich krachen. Auch wenn Pfarrer Johannsen diese Werte suspekt sind, so
begrüßt er auch diese Schäfchen. Im Folgenden verwickelt Olsen unseren Pfarrer
in eine Geschichte um einen getöteten Italiener, der für deutsche Gangster die
Schmutzarbeit erledigt hat. An der Spitze dieses Syndikats steht ein deutscher
Geschäftsmann angesehenster Kajüte. Doch all diese Dinge sind weniger als
Krimihandlung interessant, sondern mehr als entscheidender Prüfstein für den
katholischen Pfarrer Johannsen. Der Italiener hat ihm nämlich alles gebeichtet,
doch das Beichtgeheimnis verbietet ihm etwas auszuplaudern. Das stürzt ihn in
schwere Gewissenskonflikte. Er sucht Trost bei seinen Vorgesetzten, aber die speisen
ihn nur mit Binsenweisheiten ab. So gerät er mit einer entscheidenden
katholischen Tradition aneinander. Nach einer Intrige muss er auf eine
ostfriesische Insel und gerät an die Bigotterie der protestantischen
Inselbewohner, sowie mit einer weiteren katholischen Tradition aneinander: dem
Zölibat. Er verliebt sich in die deutlich jüngere Dagmar. In die ist aber ein
Fischer im Dorf verliebt.
Was soll ich sagen? Alles fügt sich zum Besten.
Pfarrer Johannsen erwirbt sich den Respekt der Dorfbewohner, weil er zwei ihrer
Fischer bei schwerem Seegang rettet, er bringt Dagmar und ihren Verehrer unter
die Haube, er füllt die Kirche seiner Diaspora mit ergebenen Schäfchen, er
kombiniert den Fall mal eben so zusammen und überführt den Oberverbrecher im
Alleingang und schließlich bringt er alle weißen und schwarzen Schäfchen unter
einem Kirchendach zusammen. Das Hamburger Original Heinz Reincke verweist coram
publico, ähnlich wie Heinz Erhardt, darauf, wie schön dass doch alles ist.
Selten hat ein deutscher Regisseur so unverhohlen John Ford auf seine Weise
zusammengeprügelt wie hier. Rolf Olsen beherrschte das moderne deutsche Genrekino nach
dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein anderer. Sein Geheimnis lag in der Montage
und den dissoziierenden Dialogen. Nur bedingt in seiner verkanteten Kadrage. Die
hat natürlich die entsprechende Unterstützung geliefert, die uns Deutschland
als den verzerrten Raum wahrnehmen ließ, der schon immer zwischen gelogener
Freiheit und gewünschter Kontrollsicherheit oszillierte. Die nächste Stufe erfüllte er mit BLUTIGER FREITAG und da danach der Raum in Deutschland innerhalb des Exploitationkinos nicht mehr zu erweitern war, ging er gen Asien, wo er sich dem Mondo-Genre zuwandte. Eine Konsequenz, die in ihrer bedingungslosen Logik zu bewundern ist.
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