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Mittwoch, 13. April 2011

Aktion deutscher Film

Auch ich werde mich einreihen in die Legion der Deutsch-Film-Gucker, die unter der Ägide des Intergalaktischen Affenmanns steht, der aus dem Weltenraume zu uns gestoßen ist. Wieder einmal muss ein Auswärtiger kommen, um uns Deutsche zu einer Gemeinschaftsaktion zu motivieren. Doch diesmal steht, dank dem Affenmann, alles unter einem besseren Stern. Die Auswahl ist mir, wie wohl auch allen anderen, äußerst schwer gefallen. Wie soll man den deutschen Film zu fassen bekommen? Nicht, dass es mit anderen Filmnationen leichter wäre, aber das Faszinosum des deutschen Films ist wohl sein Absturz vom maßstabsgebenden Lichte in die Halbschatten der Geschichte. Und hiermit sind auch eben jene Halbschatten gemeint, die seit dem Sündenfall an allem Deutschen haften. Und so gibt es eben doch ein Thema bzw. einen Zustand, der sich im deutschen Kino (und dem teutschen Geiste) seit Anbeginn wiederfinden lässt: die Schizophrenie. Ungeachtet dessen, dass es ein Deutscher und ein Schweizer gewesen sind, die diesen Geisteszustand als erste im Sinne der modernen Psychopathologie definierten, ist ihre Komplexität die immer währende Geburtsstätte einer Nation ohne Identität. Seien es die einfachen Militärschwänke der 1910er Jahre, in denen bereits die Verzweiflung erkennbar ist, in der man versuchte der allgegenwärtigen väterlichen Autorität des Staates und des Militärs, dem Kaiser halt, ein irgendwie geartetes Mindestmaß an Auflehnung, anarchistisch-subversiver Unterwanderung gar (?), entgegenzuhalten. Die expressionistischen Werke Wegeners, Murnaus oder Langs, die Geister in Zerrissenheit zeigten. Der Berg- und Heimatfilm, die filmische Epoche des Nationalsozialismus, sowie der Heimatfilm der Nachkriegszeit. Die Genrefilme der Nachkriegszeit, die oftmals unter Vorspiegelung anderer Handlungsorte (sei es London für Edgar Wallace oder New York für Jerry Cotton) herhalten mussten, da man sich seiner eigenen schämte (?). Die Sensation durch deutsche Lande produziert, aber bitte nicht hier spielend? Ein Nachbau Afrikas in der örtlichen Kieskuhle Brandenburgs für den Nazi-Kracher QUAX IN AFRIKA (1945) mit sächselnden Schwarzen, die aus dem Umland "zusammengetrieben" wurden, da es im Dritten Reich jede Menge afrikanisch-stämmiger Menschen gab, um die man sich halt noch nicht gekümmert hatte und die zwecks besserem Unterhaltungswertes dem aus dem glänzenden und leuchtendenden Trümmerreich fliehenden deutschen Zuschauer im abgedunkelten Raume eine entspannende Abenteuerwelt suggerieren sollten, mit Menschen, die nicht auf der Karte der auserwählten Rasse standen.

Die Aufarbeitung eben dieser Zeit durch die Teilnehmer muss in den Filmen der 40er und 50er Jahre schon den schizophrenen Widerspruch in sich tragen. Der Versuch der Schuldigen die Schuld an die weiterzugeben, die schuldig sind, weil sie Schuld auf sich geladen haben, obwohl alle im gleichen Schuldturm wohn(t)en. Der Versuch durch Verdrängung die Widersprüchlichkeit des Deutschen in Humor oder Naturkulisse aufzulösen. Und dann kamen die 60er, wo nun verklemmter deutscher Humor - der seinen Karl Valentin nicht gelernt hatte, wo allenfalls Heinz Erhardt für die Masse und Wolfgang Neuss (zuerst für die Masse, dann für den Interessierten) herausstachen - auf die ersten sexuellen und politischen Befreiungsversuche der Post-Adenauer-Ära traf, wo Manifeste unterzeichnet wurden, um in erstarrtem Deutschtum auf das Undeutsche im Deutschen zu verweisen, wo man alle Hüllen fallen ließ, damit die Moral etwas zu tun bekomme. Diese Schizophrenie des deutschen Kinos wurde in aller Deutlichkeit wohl nur in den 60er und 70er Jahren behandelt und lässt sich auch hier wieder soziodemographisch festmachen, wenn das deutsche Kino in dieser Zeit so viel künstlerische Aufmerksamkeit erhielt wie seit Jahrzehnten nicht mehr und die meistgesehensten deutschen Filme im Inland aus der Lederhose grüßten. Und dann die 80er und die Reaktivierung der Genrefilme. Der Versuch einen auf Ami zu machen und die Spiegel- und Oberflächenästhetik auch im deutschen Film ansässig zu machen. Schließlich kam sie ja auch zu einem nicht unerheblichen Teil von deutschen Künstlern anderer Kunstformen. Wieder einmal der Versuch, die eigene Herkunft zu vertuschen bei gleichzeitigem Versuch es national wie international funktionieren lassen zu wollen? Als Deutsches ausgeben, ohne dass es (zu) deutsch wirkt? Was gibt es nun seit den 90ern? Eigentlich keine wirkliche Veränderung, sondern allenfalls Konglomerate. Der Klamauk lebt, dank Bully Herbig, durchgehend weiter und war nie weg. Helge Schneider steht, wie auch Schlingensief, in der direkten Tradition eines Action-Theaters der 60er. Verwechslungskomödien im Theo-Lingen-Segment werden jetzt einfach um einen Quotenschwulen angereichert. Einzig eine Person aus einem zugewanderten Kulturkreis verspricht das Schizophrene unserer Kultur mal wieder direkter ans Licht zu holen. Ansonsten läuft's im Moment ja prima damit im besten Sinne Adornos unsere nicht-gewollte und nicht-gemochte Vergangenheit zu vermarkten und damit machen wir Deutschen mal wieder das, was wir am besten können: Uns selbst bescheißen.

Die Liste hat nichts, aber auch gar nichts mit einer Wertung zu tun. Es hätte auch völlig andere Filme treffen können. Ich habe einige Tage über sie gebrütet und mich dann schließlich zu einem völlig subjektiven System entschlossen. Die 30er und 40er Jahre habe ich bewusst rausgenommen. Leider sind die 50er etwas zu kurz gekommen. Die 1990er und 2000er erscheinen mir bisher noch zu innovationsarm.

1. DER GOLEM - WIE ER IN DIE WELT KAM
Deutschland 1920
Regie: Paul Wegener / Carl Boese

Als wir noch das Glück und den Mut hatten, uns vom jüdischen Kulturkreis bereichern zu lassen.

2. METROPOLIS
Deutschland 1925/26
Regie: Fritz Lang

Als wir noch Genremaßstäbe definierten.
(es hätte viele Lang-Filme geben können, aber ich habe mich für diesen entschieden)

3. ASPHALT
Deutschland 1929
Regie: Joe May

Als wir noch U und E verbinden konnten.

4. UND EWIG SINGEN DIE WÄLDER
Österreich 1959
Regie: Paul May

Als noch Kitsch und Kunst mit Wucht daherkamen.

5. BÜBCHEN
Deutschland 1967
Regie: Roland Klick

Als wir uns vor uns selbst erschreckten I
(hier hätte jeder Film von Roland Klick stehen können, aber ich habe mich für diesen entschieden)

6. WARUM LÄUFT HERR R. AMOK?
Deutschland 1969
Regie: Rainer Werner Fassbinder / Michael Fengler

Als wir uns vor uns selbst erschreckten II
(es hätte auch jeder andere Fassbinder sein können)

7. SCHULMÄDCHEN-REPORT - WAS ELTERN NICHT FÜR MÖGLICH HALTEN
Deutschland 1970
Regie: Ernst Hofbauer

Als wir uns vor uns selbst erschreckten III:
Als wir uns auf deutsche Art im Dreck wälzten

8. MOSQUITO - DER SCHÄNDER
Schweiz 1976
Regie: Marijn David Vajda

Als es noch Filme ohne Kategorie gab.

9. KAMINSKY
Deutschland 1984
Regie: Michael Lähn

Als wir "Neuer Deutscher Film" und Genre kombinierten.

10. ZONING
Deutschland 1985
Regie: Ulrich Krenkler

Als wir Experimental- und Genrefilm kombinierten.

Mittwoch, 6. April 2011

Märtyrer


VS.


Es ist irgendwie komisch. Ich habe die beiden oben genannten Filme in kurzer Folge gesehen. Beide haben eine ähnliche Handlung, beide sind mehr oder weniger vom Shane-Mythos beeinflusst, der seinerseits die Zerrissenheit von Saulus/Paulus in sich trägt und damit auf einen wesentlich älteren und größeren Mythos bzw. schon religiöse Dimensionen verweist. Vergleichen wir aber eine wesentlich kleinere Zeitspanne, also das knappe Vierteljahrhundert, welches zwischen beiden Filmen liegt, ist es um so erstaunlicher wie unterschiedlich beide Filme ihre ähnliche Geschichte angehen. Da haben wir einmal einen professionellen Killer (Malone) der CIA, der zu viel gemordet und zu viele Tote gesehen hat, der eine bewegte Vergangenheit hat, keine Familie und nun ziellos umher driftet. Da wird er plötzlich im Herzen Amerikas in einen Konflikt hineingezogen, der von einem ultrarechten Großindustriellen heraufbeschworen wird, der riesige Mengen Land kauft und vorhat, eine Art ethnische Säuberung in seiner Heimat durchzuführen. Malone besinnt sich seiner Fähigkeiten und schlägt sich auf die Seite der Unterdrückten. In MACHETE haben wir einen professionellen Killer (Machete) der Bundesagent ist, der zu viel gemordet und zu viele Tote gesehen hat, der eine bewegte Vergangenheit hat, keine Familie (mehr) und nun (scheinbar) ziellos umher driftet. Da wird er plötzlich in Texas, einer der Staaten im Herzen Amerikas, in einen Konflikt hineingezogen, der von einem ultrarechten Senator heraufbeschworen wird, der eine Art ethnische Säuberung in seinem Staat durchführen möchte. Machete besinnt sich seiner Fähigkeiten und schlägt sich auf die Seite der Unterdrückten.

Soweit in sehr groben Zügen die Handlung. Die Betrachtung der Filme hat mich zu der Frage geführt, was eigentlich an der heutigen Zeit nicht stimmt. Da haben wir in beiden Filmen das Thema des Rassismus, der Bauern- bzw. Wählerstimmenfängerei durch populistische Phrasen und die Schwierigkeit etwas gegen den versteckten Alltagsrassismus zu unternehmen. Da ist die Ausbeutung von Menschen, die versuchen sich etwas aufzubauen und sich doch nie werden hoch arbeiten können. Die ewig nur Spielball weit mächtigerer Interessen sind und recht skrupellos aus dem Weg geräumt werden, sollten sie Widerstand leisten. Ein leider Gottes sehr wahres Thema, auch wenn wir, insbesondere in Deutschland, sehr gut in der Lage sind so etwas zu ignorieren bzw. als Filmklischee abzutun. Warum ist es nun so, dass dieses Thema in MALONE mit einer Art feierlichem Ernst und einer schon als reflexiv zu bezeichnenden Einstellung zur reaktionären Figur zelebriert wird, während es in MACHETE allenfalls noch als Aufhänger für eine Nummernrevue herhält und folgerichtig alle Figuren zu einer Lachnummer verkommen? Glaubt ein Robert Rodriguez tatsächlich, wir hätten den Rassismus in unserer bzw. man hätte ihn in der amerikanischen Gesellschaft so weit überwunden, dass man alle Klischees zum Thema nur maßlos überdehnen muss und schon hat man die Unsinnigkeit des Rassismus dargestellt. Lachen wir nicht eigentlich, sofern man lacht, nicht eher über die Angst, die wir haben bzw. die Angst vor der Möglichkeit, dass die in MACHETE nur ins Lächerliche gezogenen Ereignisse doch irgendetwas mit der Realität zu tun haben könnten? DeNiro muss in seiner Rolle als rechter Politiker wie eine Cartoonfigur erscheinen und er macht es gut. Die Red-Necks müssen einfach nur Pappnasen sein, die Hispanos sind alles coole Ärsche, mit Chic und jeder Menge Dirty-Sanchez-Humor und Machete ist Jesus. Vielleicht ist darin einer der Gründe zu finden, warum Machete sich nicht bewegen braucht (abgesehen vom ca. 100-jährigen Danny Trejo), keine Mimik zeigen muss und auch ansonsten die Energie eines Scheintoten ausstrahlt. Ikonen brauchen sich nämlich nicht mehr bewegen. Sie werden allenfalls noch auf einem kleinen Rollbrett stehend zu den Ereignissen gefahren, um dort ein, zwei angedeutete Bewegungen durchzuführen. Den Rest erledigen andere Bedienstete am Computer. Malone hat es da nicht so leicht. Er muss noch selbst zupacken, seine Geliebte rächen. Überhaupt seine Geliebte. Was für eine starke Frauenfigur, die knochentrocken einen Mord begehen kann und trotzdem weibliche Güte in der Lage ist auszustrahlen (Lauren Hutton eben). Bei Rodriguez gibt es zumindest ein paar Teeniefotzen, die sich als selbstbewusste Frauen geben, mit 21 ihre 50-jährige Berufserfahrung vorweisen können und auch ansonsten Derivate unserer Leistungsgesellschaft sind, alle kurz vor dem anorektischen Schock. Doch das eigentliche Verbrechen, das MACHETE begeht, ist eigentlich gar nicht so sehr, dass er ein ernstes Thema zum Kinderklamauk aufbereitet, sondern dass er langweilt. Nicht ein Tabubruch, nicht eine plastische Härte... nichts. Jeder Film der zitierten Zeit hat mehr Herz als dieses Bauklotzmonstrum einer Kommerzmaschinerie, deren Beteiligte sich permanent als Fans der damaligen Kinozeit ausgeben, aber irgendwie so überhaupt nicht verstanden zu haben scheinen, was das besondere Prinzip der B- und C-Filme der 1970er war. Wenn MALONE am Ende seinem Schicksal begegnet, wird er damit konfrontiert, dass ihn vom rechtsextremen Bösewicht nichts mehr unterscheidet. Er ist ein Killer, der, selbst wenn er mal etwas Gutes tut, immer eine leere, identitätslose Hülle bleiben wird. Bei Machete soll uns eingeredet werden, dass es cool ist, diese Hülle zu sein. Nun ja, jeder wie er kann.

Da Bilder mehr sagen als tausend Worte hier ein Vergleich der beiden in ihrem selbstgeschaffenen Inferno. Während der eine ausgebrannt, leer und am Ende ist, frage ich mich, warum der andere nicht einfach mit seinem Schwanz alle niederstreckt. In was für einer langweiligen Zeit leben wir, in der man Angst hat bei aller Poserei um den Exzess und vorgetäuschten Tabubruch, bei aller Erstarrung in der Behauptung aus Versehen tatsächlich mal etwas zu sagen.



Montag, 4. April 2011

When we were kings!


Das Jahr 1985 stellt in meinem Leben einen wichtigen Wendepunkt dar. Es mag daran liegen, dass meine Hirnstruktur sich  damals soweit verändert hat, dass ich nun mehr zum formal-operatorischen Denken neigte, Zusammenhänge besser erarbeiten konnte und mir klar wurde, dass die einzige Sorge, die es gab, die vollständige thermonukleare Vernichtung des Planeten war. Wenn ich mir die augenblickliche Nachrichtenlage über Fukushima, Revolution in der arabischen Welt und Elfenbeinküste so ansehe, fühle ich mich doch sehr an damals erinnert, nur hießen die Krisenherde da noch Tschernobyl, Iran-Irak-Krieg, Afghanistan, Latein-Amerika-Revolution und Söldnerkriege auf dem afrikanischen Kontinent. Wie Snake Plissken in FLUCHT AUS L.A. so schön sagt: "Je mehr sich die Dinge ändern, umso sicherer, dass alles bleibt wie es ist."

Obwohl die politische Lage in ihrer Stabilität damals kaum sicherer war als heute, neigen viele im Sinne des hindsight bias dazu es so einzuschätzen. Liegt eine Begünstigung dieses typischen Verzerrungseffektes vielleicht daran, dass man die Welt damals etwas grober einteilen konnte, die Binärkodierung Ost/West eine Vereinfachung im Denken ermöglichte. Ronald Reagan hatte die Welt mit seinem Ausruf, dass die Sowjetunion das "Reich des Bösen" sei, in zwei Lager geteilt, ähnlich den B-Western, in denen er mitgewirkt hatte. So befanden wir uns in den 1980ern in einer permanenten Showdown-Politik, in der es nie zu selbigem hätte kommen dürfen, da er das Ende von allem bedeutet hätte. Inwiefern diese Vorgehensweise überlegt war, oder einfach nur durch Glück funktioniert hat, würde hier zu analysieren nicht nur dieses Blog sprengen. Ein guter Freund Ronald Reagans, Sylvester Stallone, machte sich diese Situation für seinen vierten Rocky zu Nutze. Die Überführung der Konfrontation der Systeme in einen Boxkampf ist ebenso simpel wie brillant. Eine der sehr wichtigen Erkenntnisse auf dem Weg zur Zivilisation war für den Menschen, dass er im Falle eines Krieges zweier Clans nicht mit allen Mitgliedern antreten musste, sondern es auch auf das Aufeinandertreffen einiger oder sogar nur eines Einzigen beschränken konnte. So stellte jeder seinen besten Krieger und die Dimensionen mathematischer und philosophischer Überlegungen über das Aufeinandertreffen von Dichotomien konnten plötzlich physikalische Wirklichkeit werden. Grundlage für solche Vorhaben war auch schon vor 100.000 Jahren die Politik oder anders ausgedrückt: Unterschiedliche Ansichten verschiedener sozialer Gruppierungen über die weitere Vorgehensweise ihrer Vereinigung, tatsächlich aber des Menschen überhaupt. Dass zur Zeit des Kalten Krieges ein minimal falscher Schritt nun nicht mehr das Ende einiger Ressourcen, sondern das Ende der Quelle aller Ressourcen überhaupt, der Existenz des Universums in der Vorstellungskraft des Individuums bedeutet hätte, verdeutlicht die Zuspitzung von Ereignissen, die unser Affenhirn nun lösen musste.

Der ultimative Konflikt
Rocky Balboa hat es nun endgültig geschafft. Nachdem er beweisen konnte, dass auch im - zumindest für einen Boxer - Alter noch so einiges in ihm steckt und er und sein früherer Erzrivale, Apollo Creed, nun gute Freunde geworden sind, lebt er ein Leben wie es herzerfrischend materialistischer kaum sein könnte. Wir sind vollständig im Jahrzehnt aus Plastik, Sterilität und glänzenden Oberflächen angekommen. Das geht sogar so weit, dass man als Butler und Freund für Paulie einen selbstdenkenden Roboter eingestellt hat, der sein Geschlecht, respektive seine Stimme, genau so ausrichtet, wie es gerade gewünscht wird. Statt in einer versifften Einzimmerwohnung leben die Balboas nun in einer palastartigen Villa mit Fuhrpark, Gärten, mehreren Autos und jeder Menge Dienstboten. Man hat sich eingerichtet und das Leben könnte gar nicht besser sein. Stallone - auch wieder als Regisseur in diesem Film - muss bei so viel Künstlichkeit und Dekadenz wenigstens eine Szene einbauen, in der Rocky und Adrian einen Moment der Zweisamkeit haben, in der das Geschenk der Tiffany-Uhr aber nicht fehlen darf. Die Kontrastierung ist entsprechend hart. Eine Überblendung und wir sehen, untermalt mit einem Bass vom Synthesizer, der den Boden zum vibrieren bringt, das Ponem von Ivan Drago. Die Russen sind da!

Dieser Hausfreund ist keine sexuelle Bedrohung mehr
Die Szenen der russischen Delegation sind dann auch so ausgeleuchtet wie man es von Vertretern aus dem "Reich des Bösen" erwarten kann. Eine permanente Dunkelheit scheint alle Beteiligten zu umgeben, einzig aufgehellt durch Computerdisplays, biometrische Geräte und kleinen Männern in strahlend weißen Kitteln, die hektisch durcheinanderlaufen und jede Bewegung ihres an Kabeln angeschlossenen (Roboter-)Kriegers notieren. Hier steht mit Ivan Drago also nun die ultimative Herausforderung. Und natürlich muss es in einem derartigen Drama auch einen Patroklos geben, nur dass er hier Apollo heißt. Creed, der glaubt sich mit diesem Kampf unsterblich machen zu können, stirbt in Rockys Armen. Ivan Drago hat ihn vernichtet. So wird das Ganze auch zu einer Geschichte um falschen Männerstolz, denn nicht nur, dass Creed eigentlich zu alt für solch einen Kampf ist, er schlägt auch alle Warnungen in den Wind und ringt Rocky das Versprechen ab, den Kampf nicht durch vorzeitige Aufgabe zu beenden. So lastet auf diesem die Verantwortung für Apollos Tod, von Stallone noch in kurzen Gegenschnitten verdeutlicht, wenn Rocky das Handtuch ansetzt und Apollo, dem finalen Todesschlag nahe, immer noch "Nein" stöhnt.

Für die Amerikaner ist alles eine Party


Mythologischer Pathos in Las Vegas
Schließlich macht man sich auf in die Sowjetunion, um am 25.12., dem ersten Weihnachtsabend, die Auseinandersetzung zwischen Ost und West stattfinden zu lassen. Es wird die Schlacht im Sport, die es in der wirklichen Welt nie geben durfte. Politik nach den einfachen Regeln eines Spiels und innerhalb der Überschaubarkeit eines Ringes.

Die Konfrontation. In Moskau herrscht mehr Ernst
Wenn man sich ROCKY IV auf der formalen Ebene ansieht, dann fällt auf, wie sehr man in den 1990ern in puncto Videoclipinszenierung wieder zurückgerudert ist. Was hier in einer Komprimierung von 92 Minuten geboten wird, ist der tatsächliche Versuch mit den Mitteln der Montage, der Musik und der Verdichtung eines 3-Minuten-Clips einen vollständigen Film zu erzählen. Dies führt nicht nur zu einem enormen Tempo, sondern lässt auch die Verdichtung der politischen Ereignisse der Zeit spüren. Aufgrund all seiner Naivität, seinen Klischees und seiner Grundehrlichkeit, verwende ich mal einen dieser Begriffe, die der Kategorisierungswut einer seit 50 Jahren planlos umherirrenden Kulturwissenschaft entspringen: Der Film ist "Camp". Und darin ist er ein Meisterwerk!

Rocky schaut, anders als sein Konkurrent, auf seinem Ikonenbild nacht rechts. In die Zukunft
Es war die Zeit, als wir Kinder noch glaubten, dass Spiritualität und Körpermasse sich vereinigen lassen. Es war unser Traum der Vereinigung von Ost und West. Es war die Zeit, in der wir so ungeniert wie seit der Antike nicht mehr homoerotischen Wunschvorstellungen frönten, über die infantile Zelebrierung von Männlichkeit: Muskeln, Schweiß und Alpha-Kampf. Stallone hat wie kaum ein anderer Star des Männerkinos begriffen, dass die Welt eigentlich von Frauen getragen wird und Männer gerne spielen. Egal, ob Politik, Philosophie oder Krieg. Egal, ob im Guten oder im Schlechten. Egal, ob grausam oder scherzhaft. Um das zu begreifen, braucht nur jeder Mann seine Adrian, doch dieses Ideal ist für Frauen nicht minder schwer zu erreichen wie ein perfekter Muskelkörper. So müssen Männer von Frauen lernen, was wir von ihnen wünschen: verzeihen können. Rocky verzeiht Drago, dass er seinen Freund getötet hat und Adrian verzeiht Rocky, dass er kämpfen muss. Schöner wurde Dualismus selten zusammengeprügelt.

Adrian aus der Untersicht gefilmt. Weisheit, Mahnung und Güte in Person