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Samstag, 28. April 2012

Kurz und bündig

SUPERMAN

Richard Donners Film aus dem Jahr 1978 ist immer noch als der Startschuss ernstgemeinter und ernstzunehmender Superheldenverfilmungen im Gewand des Event-Blockbusters erkennbar. Doch mehr besitzt Donner auch den Mut, mit den Stilmitteln verschiedener Kinogenres zu spielen. Wenn er dem Mythos schon nicht zersetzend zu Leibe rücken möchte, so doch mit den Mitteln der Kinomagie. Abseits der damals und z.T. auch heute noch beeindruckenden Spezialeffekte, werden wir durch die Transzendenz des Musicals in die Gedanken - und Zwischenwelten eines Gottes geholt. Ein Lufttanz zwischen den Wolken wie Fred und Ginger, dank unmöglicher Kräfte in die Vorstellungskraft des Möglichen übertragen. Eine Erlöserfigur, eine männliche Potenz, ohne Sexualität, kontrastiert durch überholte Wertvorstellungen im Bann gehalten. Unermessliche Macht benötigt Demut und Entsagen können, sonst wird sie gefährlich.

DIE WILDEN SCHLÄGER VON ROCKERSTOWN

Eine weitere Variante im Rockeruniversum um den Versuch ein konventionelles Leben zu führen. Deutlich sind die Westernanleihen zu erkennen, wenn es nicht um Pferde- sondern um Motorraddiebstahl geht. Der unangepasste Loner, mit Cowboyhut, muss sich sein Eigentum von wilden Rockern zurückholen. Jetzt sind es nicht mehr Indianer, sondern degenerierte Weiße, die marodierend, plündernd und vergewaltigend durch die Lande ziehen. Ähnlich wie die Indianer haben sie einen Ehrenkodex. Eine abgelegte Squaw - hier eine durchgefickte Motorradschlampe im Minirock - wird unserem Loner auf die zerschlagene Visage geworfen. Soll er sich mit ihr amüsieren. Interessant in seinem konservativ-misogynen Ende, welches, anders als bei John Fords RINGO, keine Zukunft für den Rache fordernden Loner und die Hure sieht, sondern alles schön beim Alten und Gewohnten lässt.

SCHWULE MÜTTER OHNE NERVEN

Überkandidelte und hysterische Schwulenkomödie im Stile der Filme Almodovars, die ihre Spießigkeit und Verklemmtheit kaum verbergen kann.

SUPERMAN II - ALLEIN GEGEN ALLE

Hier muss sich der Allmächtige nun mit seiner dunklen Seite konfrontieren und das gleich dreimal. Drei Kryptonier, alle mit der gleichen Macht wie der Exilant ausgestattet, stehen für die drei Versuchungen. Die sexuelle Gier, verkörpert durch eine androgyne Schönheit, die reine Kraft, verkörpert durch einen tumben Klotz und die Intelligenzija, verkörpert durch den machthungrigen General Zod. Diesen drei Versuchungen muss Superman widerstehen und sogar die reine Liebe vergessen. Das Entsagungsprinzip des Individuums ist in diesem Film geradezu vorbildlich zu erkennen, damit es, in Relation zu seinen Fähigkeiten, als Held angesehen werden kann.

IM LAUF DER ZEIT

Eine freie Entwicklung aller Figuren, in all ihren Fehlbarkeiten erkennbar, ohne denunziert zu werden, als Spiegelbild einer aufgebrochenen und schon wieder am Ende stehenden Generation und Zeit. Geschickt verknüpft mit den Elementen amerikanischen Genrekinos. Der Loner hat Angst vor der Verantwortung und flüchtet sich in die Illusion der pop-kulturellen (Kino-)Mythen, schneidet Loops aus Vergewaltigung, Hard Core und Explosionsfantasie aneinander und verführt damit die Vorstadtschönheit, die abgestumpft in einem deutschen Dasein als alleinerziehende Mutter existiert. Der Selbstmörder lässt alles hinter sich und versucht aus einem wackeligen Selbstfindungstrip Rückschlüsse auf die Sinnhaftigkeit einer bürgerlichen Existenz zu ziehen. Marxistische Überlegungen der Ausbeutung? Ja, ...ja und nein. Selbst ausbeutend, aber entschleunigend. Mit der Zeit arbeitend und dadurch das Ehrliche erkennbar machend. Die Trägheit des sich treiben lassen als Monotonie, mit seinen Gedanken und Gefühlen allein sein zu müssen. Schwarz/Weiß gibt dieser Kinorealität einen Sinn. In Farbe wäre es eine nicht zu ertragende Tristesse.

STARSHIP TROOPERS II - HELD DER FÖDERATION

Mir auch beim zweiten Mal immer noch sehr gut gefallende DTV-Fortsetzung, welche den Feind in das Innere holt. Bodysnatcher infiltrieren den Menschen, zersetzen die Spezies genetisch und wollen so eine Extinktion abseits eines physikalischen Alter/Ego-Kampfes. Hierarchiestrukturen dienen als Leitfaden für die virale Infektion und das Militär als männlich strukturierte Organisation kann nur auf Destruktion basieren. Die flüchtende Mutter, einst selbst martialische Kämpferin, erkennt in ihrem Entsetzen die Fehlbarkeit des Systems, dem sie selbst diente und nun als Gebährmaschine weiter dienen wird.

EIN AUSGEKOCHTES SCHLITZOHR

Die Drosselung amerikanischer Autos auf 85mph beschert uns hier einen der wundervollsten Autoverfolgungsjagdfilme mit ihren Rollenklischees perfekt entsprechenden Darstellern. Denkwürdig Jackie Gleason als Karikatur eines Südstaatensheriffs. Faszinierend in seiner Durchschreitung des Landes auf einer ständig vorwärts gehenden Linie, dem Prinzip der Verfolgung als archaisches Ritual des Wettstreits und der (scheinbaren) Endlosigkeit. Der amerikanische Pionier kann nur in dieser ständigen Bewegung jenseits all seiner Widersprüchlichkeit existieren.

SUPERMAN III - DER STÄHLERNE BLITZ

Das von zwei Juden erschaffene post-zionistische Geschöpf mit der christlichen Einstellung steht diesmal einem anderen Mis-Fit gegenüber. Der in der amerikanischen Gesellschaft unterdrückte und zu Beginn aus dem System gekickte Afro-American entpuppt sich als Genie am Computer und kann damit sogar Superman gefährlich werden. Die blonde Dumpfmaus liest Kant im Vorbeigehen und übt Kritik an seiner Kategorialtheorie und auch Supi selbst muss sich mit seiner inneren Zerrissenheit konfrontieren. Ganz im Stile des Mannes aus Stahl muss der schizophrene Kampf einer multiplen Persönlichkeit Mann gegen Mann, Faust gegen Faust geführt werden.

DIE WILDEN ZEHN

Ted V. Mikels, der, wie ich lesen musste, nicht mehr mit seinem Harem auf einem Schloss in Kalifornien lebt, inszeniert hier einen seiner komplexesten, vielschichtigsten und konzeptioniertesten Filme. Sexuelle Fantasien einer schlagkräftigen Frauentruppe, die unter Tage arbeitet, aber aufgrund einer fehlgeschlagenen Sprengung die Schnauze voll hat vom ehrlichen Leben, werden hier nutzbar gemacht, ohne voyeuristisch-verklemmten Blick und mit viel formalem Gespür. Das Arbeiten mit der Freeze-Frame-Technik erinnert an frühe Arbeiten Richard Fleischers aus den 1940er Jahren, imitiert die Ikonizität des Comic und bündelt Plot-Points mit Einblendungen in bunter Schrift, deren Schrifttyp, sowie das Stilmittel selbst, reichhaltig von Tarantino und dessen Epigonen übernommen wurden. Ein Aufbruch dieser Struktur erfolgt im Anstaltsszenario und hier verliert sich Mikels dann etwas im homosexuellen S/M-Bereich. Seine Breitseite gegen Kirchenwahn, der an sexuellen Sadismus gekoppelt ist, sowie die Dominanz weiblich-herrischer Machtstrukturen, erscheint ehrlich gemeint, sowie auch die Rache der Insassinnen. Wie allerdings das Ende zu deuten ist, wenn die verbliebenen der "wilden Zehn" in die ultimative Patriarchartsstruktur eines Ölscheichharems geraten zu deuten ist, muss ich mir noch überlegen.

Montag, 23. April 2012

Filmstöckchen

Aufgrund meines Bretts vorm Kopf musste ich zweimal mit einem Filmstöckchen auf die Birne bekommen. Die beiden ehrenwerten Blogger Hitmanski und gabelingeber haben mich mit jeweils 5 Fragen getaggt, mit deren Beantwortung ich mich nun endlich befassen kann.

Zuerst aber die Regeln:

1. Verlinke die Person, die dich getaggt hat.
2. Beantworte die Fragen, die dir gestellt wurden.
3. Tagge anschließend 5 weitere Leute.
4. Gib den Personen Bescheid, die getaggt wurden.
5. Stelle anschließend 5 Fragen an die, die getaggt wurden.


Da Hitmanski mich zuerst beworfen hat, kommen auch seine Fragen als erste dran:


1) Kulturpessimisten hier entlang: Das Kino vor 60 Jahren war im Vergleich zu heute...?

Von Kulturpessimismus halte ich rein gar nichts. Das ist eine Gesellschaftschimäre, die durch den generation gap unterfüttert wird. Wahr ist aber, dass es ständige Fluktuationen innerhalb eines Gesellschaftssystems gibt, aus denen langsame Entwicklungen hervorgehen, deren Wert von Personen festgelegt wird, die retrospektiv entscheiden, ob das nun gut oder schlecht sei. Das kann man auch gut auf das klassische Kino anwenden. Das war nämlich perfekt und hatte alles und ganz im Sinne von Systemen, die in sich perfekt sind, war es Opfer der Stagnation. Im Moment befinden wir uns wieder an einem ähnlichen Punkt. Der Zukunft schaue ich also voller Spannung entgegen.


2) Ein Filmmusical, dass man gesehen haben sollte?

Da bin ich ganz einfallslos. SINGIN' IN THE RAIN. Da wird man nicht nur verzaubert und lernt etwas über die Filmgeschichte, sondern auch über das Medium Film an sich. Als hätte man sich von der Nouvelle Vague inspirieren lassen, um daraus einen filmischen Traum zu schaffen, nur dass dieser Film vorher gedreht wurde.


3) Der schönste Satz, den man über einen Film sagen kann?

Er konnte fertig gestellt werden.


4) In Hinblick auf meine filmische "Bildung" sollte ich mich als nächstes mit ... auseinandersetzen!

Afrika. Der schwarze Kontinent ist bei mir ein schwarzer Fleck


5) HBO und Co auf dem Vormarsch - Im Zweifelsfall: Film oder Serie?

Mir sind zwar einige der HBO-Sachen namentlich bekannt, aber ich habe noch nicht eine einzige Folge irgendeiner Serie gesehen. Das Ganze wird von den Interessierten aber auch maßlos überschätzt, denn flächendeckend ist dieses Phänomen in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Ob es mehr als ein Phänomen bleibt, wird die Zeit zeigen.
Ansonsten auf jeden Fall Film. Ich brauche die Rahmung eines Filmes, da ich es genieße innerhalb einer bestimmten Spielzeit, die i.d.R. in höchstens wenigen Stunden vorüber ist, zu beobachten, wie jede Einstellung, jeder Winkel, jeder Schnitt, jede Sekunde genau zusammenlaufen. Serien haben den Vorteil, dass sie mehr elaborieren können, aber das interessiert mich nicht.


Kommen wir nun zu den Fragen von gabelingeber:


1.) Welchen Stummfilm magst Du besonders gern und weshalb?

Da gibt es zu viele. Ich tue mich schwer mit solchen Fragen, da es in meinem Begriffsuniversum darauf keine Antwort gibt. Lange Zeit war es Chaplins LICHTER DER GROSSSTADT, der ja bekanntermaßen gar kein Stummfilm ist. In ihm wird einfach nur nicht gesprochen. Da ich ihn mehr als zehnmal gesehen habe, könnte ich höchstens ihn benennen. Diese perfekte Waage aus Komödie und Tragödie fasziniert mich immer wieder.


2.) In welchem Film hast Du zuletzt geweint und weshalb?

Ich weine oft bei Filmen. Zuletzt gestern bei PRETTY WOMAN. Als Richard Gere annimmt, Julia Roberts verstecke hinter ihrem Rücken Crack, aber es ist nur Zahnseide, um sich den Mund von den Erdbeerstückchen zu säubern, schossen mir spontan Tränen der Rührung ins Auge. Manchmal ist es aber auch nur die unglaubliche Schönheit eines Filmes bzw. das Zusammenlaufen aller Elemente. So musste ich auch einmal am Ende von ROBOCOP weinen, als die kybernetische Hauptfigur ihre Menschwerdung durch Aussprechen ihres Namens kenntlich macht und die wagnereske Musik von Basil Poledouris erklingt. Ein Film bei dem ich grundsätzlich immer weinen muss ist ROCKY.


3.) Welcher Film hat Dich zuletzt wirklich überrascht – und warum?

Ich kenne eigentlich keinen Film, der mich nicht überrascht. Selbst wenn er die Fähigkeit besitzen sollte mich nicht zu überraschen, bin ich aufgrund der großen Menge von Filmen, die mich überraschen, viel zu überrascht von seiner Nicht-Überraschung.


4.) Welche Bedingungen muss ein Film erfüllen, damit Du ihn Dir bestimmt nicht anschaust?

Er darf nicht existieren.


5.) Welche Literaturverfilmung erachtest Du als wirklich gelungen – und weshalb?

DER VERRÄTER von John Ford, basierend auf dem Roman "Der Denunziant" von Liam O'Flaherty. Ich kenne keinen besseren transkulturellen Brückenschlag in der Filmkunst.


Im Moment weiß ich noch nicht, ob und wann ich ein Stöckchen schmeiße, behalte mir aber vor, dass noch zu tun. :)

Freitag, 13. April 2012

Kurts Einträge

(HOME FROM THE HILL)
USA 1959
Regie: Vincente Minnelli

Seit BRIGADOON muss ich beobachten, dass Vincente Minnelli nicht mehr in der Lage ist Filme zu drehen, die den Kuss des Meisterwerks erhalten haben. Bei seinen "ernsten" Filmen ergab sich schon von Anfang an das Problem, dass er, ähnlich wie King Vidor, den Szenen viel freien Lauf lässt und ihm deswegen die Befähigung zum Konzisen abgeht. Das sorgt dafür, dass Minnellis Regieführung manchmal holprig erscheint. Verdichtungen kommen plötzlich aus dem Nichts und sind deshalb zu schnell als Mittel zum Zweck, als Manipulation und eben als Konstruktion erkennbar. Bei seinen Musicals und seinen Komödien sorgt diese "offene Form" im ersten Fall für transzendentale, traumwandlerische Momente, die alles wegsprengen lassen. Bei YOLANDA UND DER DIEB, DER PIRAT und natürlich EIN AMERIKANER IN PARIS verliert man jeglichen Bezug zu Raum und Zeit und wird von der Bildgewalt durchdrungen. Bei seinen Komödien wird der genaue Beobachter der höheren Gesellschaft offensichtlich, der mit treffsicherem, manchmal schon gallig-bitteren Humor die Umstände dekadenter Lebensstrukturen entlarvt. Doch bei seinen großen (Breitwand-)Melodramen ist Minnelli ein weniger guter Schütze. Waren DER UNBEKANNTE GELIEBTE und MADAME BOVARY UND IHRE LIEBHABER noch durch ihre rohe Art "entschuldbar" und deshalb besonders, erscheint doch schon bei STADT DER ILLUSIONEN manches etwas seicht und zu freundlich. DIE VERLORENEN konnte durch seine Verwicklungen in einem Anstaltsszenario punkten, doch ab VINCENT VAN GOGH - EIN LEBEN IN LEIDENSCHAFT (über den katastrophalen BRIGADOON hülle ich mal den Mantel des Schweigens) schlingert Minnelli unsicher umher, wirkt nicht mehr bei der Sache. Wie eine Wohltat zwischen sperrigen Filmen (ANDERS ALS DIE ANDEREN) oder kalt perfekten Werken (GIGI) erschien da die kleine, unauffällige Komödie WAS WEISS MAMA VON LIEBE? Doch bei VERDAMMT SIND SIE ALLE kommen großer Film und großes Scheitern zusammen. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Film nicht gänzlich überzeugen kann, wenn der Regisseur nicht auf der Höhe seiner Mitstreiter ist. Aber vielleicht war das viele Schneiden in der Kamera auch mehr eine Respektsbekundung gegenüber seinen Schauspielern?

Bei DAS ERBE DES BLUTES ist das nun alles etwas anders. Der Verdacht, dass Minnelli bei VERDAMMT SIND SIE ALLE den Schauspielern gegenüber Respekt zollte und deshalb auf Montage innerhalb von Dialogen weitgehend verzichtete scheint fast bestätigt zu werden, wenn bei den Szenen Robert Mitchums ebenfalls kaum geschnitten wird, bei den Szenen der beiden Newcomer George Hamilton und George Peppard jedoch permanent. Und genau dies verleiht DAS ERBE DES BLUTES jene Dynamik, die VERDAMMT SIND SIE ALLE über weite Strecken abgeht. Hatte VERDAMMT SIND SIE ALLE das bessere und ereignisreichere Drehbuch, verläuft DAS ERBE DES BLUTES weitgehend auf einem Stream, hangelt sich nicht nur an Episoden entlang. Darin dürfte wohl der Grund zu finden sein, warum DAS ERBE DES BLUTES, trotz dynamischerer Montage, i.d.R. als langatmiger empfunden wird, mich störte es jedoch ganz und gar nicht. Auch wenn Minnelli vor dem Problem steht ein Südstaatendrama verfilmen zu müssen, wie es sie in den 1950er Jahren im amerikanischen Kino nicht gerade wenige gab, so verbietet er sich überemotionale Ausbrüche. Ausbrüche, die es im Hinblick auf Drehbuch und Sujet zu genüge hätte geben können. Ausbrüche, die junge, frische Schauspieler wie George Hamilton haben wollen und brauchen, um sich zu beweisen. Minnelli "bringt den Film nach Hause" und das gelingt ihm hier wesentlich besser als bei der Sinatra-/Martin-/MacLaine-Klitsche, weil er sich nicht so sehr um den Ruf seiner Darsteller scheren musste bzw. mit Robert Mitchum einen Superstar der Zeit hatte, der auf so etwas geschissen hat.

Und der Film selbst. "Die Sünden der Väter" wäre ein geeigneter Alternativtitel. Die Darstellung inwiefern das Festhalten an veralteten Konventionen, die Heuchelei, das Wahren des Scheins zugunsten des Seins zur eigentlichen Katastrophe führen, wurde souverän, ja vielleicht sogar noch etwas mehr als das umgesetzt. Der Bastard darf am Ende die Existenz leben die der mit dem goldenen Löffel im Arsch Geborene nicht haben wollte und am Ende auch nicht mehr haben kann. Der uneheliche Bastard beweist, dass er einen neuen Zweig gründen kann. Der ehelich geborene Stammhalter wird bewusst und absichtlich zum Mörder, um sich zu befreien. Erst dann kann er in eine neue Existenz, die Minnelli in den Dämpfen der Sümpfe im Ungewissen lässt. Damit nun jeder frei sein kann, mussten nur die Väter sterben.


(DIE BIAN)
Hongkong 1978
Regie: Tsui Hark

Kleines Meisterwerk, das mich ganz schön weggeblasen hat. Kaum zu glauben, dass es sich hierbei um ein Debut handelt. Tsui Hark erweist sich im jungen Alter als Kenner der Elemente der Peking-Oper, die er nicht nur mit dem Wu-Xia verbindet, sondern gleichzeitig darum bemüht ist, die Gesinnung der chinesischen Kultur im Allgemeinen, sowie die Entwicklung des chinesischen Martial-Arts-Kinos im Besonderen zu desavouieren. Mit einem geradezu verzaubernden Blick für Genderstrukturen und die Gesinnung gängiger Kampfepen als reines Obsiegen des Egos und damit der Destruktion, zerpflückt er eben diese und schafft damit eine Dekonstruktion klassischer chinesischer Werte. Das Durchlaufen von Raum und Zeit wird mit faszinierenden Brechungen eben dieser erzielt. Es ist durch die schwebende Inszenierung schnell egal, wann, was, wie passiert ist. Die Entlehnung der Überästhetisierung des japanischen Kinos, bei gleichzeitiger Einstreuung amerikanischen Formalismus' schafft ein geradezu postmodern erscheinendes Werk, doch ist hiermit tatsächlich der Beginn des modernen Hongkong-Kinos zu finden. Ein Aufbrechen der eingefahrenen Strukturen und Zeichen einer Trendwende im chinesischen Kino. Für den ungeübten Betrachter vermutlich kaum zu verstehen und deshalb ein wichtiger Schlüssel zu einer anderen (Kino-)Kultur.
Nach der Betrachtung habe ich gelesen, dass der damals gefloppte und von der Kritik vernichtete Film inzwischen durch die Hongkong Film Academy in die Liste der 100 wichtigsten Filme der chinesischen Filmgeschichte aufgenommen wurde. Das ist in Anbetracht der Komplexität seiner Mittel und gleichzeitig einfach zu verstehenden Schönheit seiner Ästhetik mehr als nachzuvollziehen.


(L’UCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO)
Italien 1969
Regie: Dario Argento

Ähnlich wie bei Tsui Harks Regiedebut hat man auch bei Argento das Gefühl, er war sich nicht sicher, ob danach noch was kommen würde und deshalb packt man lieber alles in den ersten Film. Tatsächlich lässt sich dann auch bereits in DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE alles an Motiven finden, was Argento in seinen späteren Filmen weiter elaborieren sollte. Da ist der Misfit, der sich in einer ihm fremden Kultur aufhält (Amerika trifft auf Europa), da ist ein Mord, der gleichzeitig Sex ist und somit auch nach Argentos Logik die Sublimierung der Kunst zur Lösung des Geheimnisses beiträgt. Hier ist es, wie oft, ein Gemälde, welches die Fäden zusammenführt und dessen morbider Charme die investigative Hauptfigur fasziniert. Die Architektur der Stadt gleicht einem zu durchschreitenden Labyrinth und die Wahrheit offenbart sich erst, wenn unser Held hindurchgegangen ist. Die andere Wahrheit ist die aus Beobachtung und (filmischen) Hinweisen erhaltene, die Argento auch wahr lassen sein kann, aber die eigentliche Wahrheit liegt im Labyrinth dahinter. Im Grunde ist der Film eine wunderbare Bebilderung der Psychoanalyse (von der Argento ja offenkundig angetan war) und schafft es mit seiner Dopplung von Wahrheit sogar letztlich die Lacan'schen Überlegungen eines unbewussten Konstruktivismus zu streifen. Faszinierender, je mehr ich darüber nachdenke. Auch im Hinblick darauf, wie Argento zum Schluss im Dialog noch das Modell der projektiven Identifikation der Gegenübertragung einbaut. Gleichzeitig bestätigt es, dass Argento - ähnlich wie Hitchcock es mal von sich behauptet hat - immer denselben Film gedreht hat. Aber ausgereifter als beim "Kristallvogel" kann es schon noch werden.


(NINJA DRAGON)
Hongkong 1986
Regie: Godfrey Ho

Als Grundlage diente hier der 1982 entstandene Gangsterfilm DARK TRAP aus Taiwan. Taiwanesische Filme wurden innerhalb und außerhalb des South-Asian-Circle kaum vermarktet und so konnte Ho auf einen im Westen gänzlich unbekannten Film zurückgreifen, den er mit, zumindest zu Beginn, ungeheuerlichem Eigen-Material gegenschneidet. Herausgekommen ist dabei ein Gangster-Global-Player-Film um einen Ninja (Richard Harrison) der seinen Geschäftspartner rächt. Leider gibt sich Ho hier nicht so viel Mühe die unterschiedlichen Filme korrekt miteinander zu verbinden, so dass häufig Leerlauf entsteht und man sich schwerlich zurecht findet.


(DI YU WU MEN)
Hongkong 1979
Regie: Tsui Hark

Nachdem Tsui sich in seinem Debut dem Mystischen gewidmet hatte, wendete er sich mit seiner zweiten Arbeit einem sehr handfesten Thema zu. Krasser kann man wohl kaum eine Thematik in eine genau entgegengesetzte Richtung führen. Statt mordender Schmetterlinge und Spiritualität, haben wir es mit Menschenfressern zu tun, bei denen das Blut nur so spritzt. Beherrschte Tsui in seinem ersten Film meisterlich die Mechanismen des Mandarin Theaters, inklusive Dialogführung und Bildregie, wendet er sich in seinem zweiten Film dem kleinen Bruder, der Kantonburleske, zu. Was dabei herausgekommen ist, kann man nur als ein inszeniertes Irrenhaus bezeichnen. Auch hier wird der gängige westliche Zuschauer Schwierigkeiten haben, denn so wie Tsui in seinem ersten Film die Standards chinesischer Fabeln als wissend voraussetzt, so setzt er hier auf kantonesische Komik, die für westliche Augen oft mehr wie hysterischer Grimassenklamauk wirkt (ich persönlich finde sie einfach nur grandios). Wenn man so will, könnte man WIR KOMMEN UND WERDEN EUCH FRESSEN als eine Umdrehung von Romeros Aussage interpretieren. Hier ist es nicht der Kapitalismus, der den Menschen sich selbst auffressen lässt, sondern der Kommunismus, der den Bewohnern des kleinen Kannibalendorfes oktroyiert wird. Doch solch schwergängige Aussagen interessieren wenig, wenn man die Situation durch Lachen auflöst. Wie unser aufrechter Held einem Kannibalenangreifer die Schädeldecke öffnet und einem anderen Angreifer dabei das Gehirn ins Gesicht fliegt, dieser seinen Machetenangriff stoppt, um daran zu riechen und sich das Stück mit einem debilen Grinsen für den späteren Grillabend in die Tasche steckt, ist eine der liebevoll ehrlichsten Szenen, die ich in diesem Jahr gesehen habe.