"Würden Sie gerne mal verschwinden?"
Capt. Edelson
Capt. Edelson
Eins bleibt sich bei allen Filmen Friedkins gleich: Man ist ihnen ausgeliefert. Immer klarer wird es, dass diesem Regisseur mit herkömmlichen Methoden der Rezeption nicht beizukommen ist. Ihn tatsächlich mit den gängigen Maßstäben des Erzählkinos messen zu wollen, erscheint absurd, wenn man einmal verstanden hat wie rational dieser Formalist arbeitet. Kaum verwunderlich, dass jeder, der denkt er bekomme einen herkömmlichen Genrefilm zu sehen, entweder enttäuscht ist, weil der Film nicht gängige Konventionen erfüllt oder einfach gar nicht erkennt wie er vorgeführt wird, weil Friedkin ähnlich subtil arbeitet wie die sublimen Bildelemente die er immer wieder sporadisch in seine Filme einstreut. Bei William Friedkin treffen ein von der französischen Nouvelle Vague inspirierter Erzählstil und eine Hawkssche Formalökonomie der Kamera aufeinander. Jedoch entfesselt Friedkin die Stilmittel – freilich immer kontrolliert – auf eine Weise, welche die Form vor den Inhalt setzt und ihm damit etwas gelingt, woran nahezu alle Regisseure scheitern: Er erzählt die Geschichte durch die formalen Mittel. Hierin ist wohl auch der Grund zu finden, warum Friedkins Filme das Höchstmaß an formaler Brillanz darstellen. Besseres wird sich mit filmgenuinen wie auch additiven Mitteln kaum kreieren lassen. Somit hat dieses Abverlangen vom Zuschauer etwas Forderndes, Überrumpelndes etwas Grenzüberschreitendes. Er besitzt die Chuzpe, einfach in uns Eindringen zu wollen, ohne dass wir dies zunächst bemerken. Dies gelingt ihm durch das Verwenden von Genrekonventionen, die sich mit zunehmendem Voranschreiten als etwas Anderes, etwas Unheilvolles darstellen. Nur dafür da, um uns in die Irre zu führen, in Sicherheit zu wiegen und dann den Verlauf, die Handlung und die Figuren so aufzubrechen, dass wir den narrativen Boden unter den Füßen verlieren und nichts mehr haben, woran wir uns festhalten können. Doch wer genau hinsieht muss erkennen: Die formale Gestaltung ist schon immer von Anfang an verwirrend, geht irgendwie am Geschehen und genau dadurch den kafkaesken, halben Schritt an der Wahrnehmung vorbei. Wenn wir uns also, wenn sich die erzählte Geschichte in eine unheilvolle Richtung entwickelt hat, beruhigt aufs formale Genregerüst fallen lassen wollen, fallen wir ins Nichts.
Steve Burns (die Etymologie des Namens allein ist schon zauberhaft) wird von Capt. Edelson, der alle Sorgen der Welt gesehen haben mag, gebeten unterzutauchen, abzutauchen, zu verschwinden. Dafür muss er nur bereit sein Sperma zu schlucken und sich fesseln zu lassen, damit er einem Killer als Lockvogel dienen kann, der seinerseits durch die Nächte cruised, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick in einer hedonistischen Sub-Sub-Szene, welche die Symbole einer sexualisierten Männlichkeit wieder in ein archaisches Konzept überführt, in dem physische Gewalt Dreh- und Angelpunkt der Befriedigung ist und welches den Inbegriff des biblischen Sodoms im ursprünglichen Sinne darstellt. Denn so wie für Jehova die Sodomie ein schreckliches Übel war, da eine patriarchalische Gesellschaft durch sie eine Freude an der sexuellen Körperlichkeit entdeckte, welche die Frau unnötig machte und so die Gefahr der Reproduktion seiner Schöpfung bedrohte, so benötigen diese Wesen der Nacht keine Weiblichkeit und falls doch, so erledigen sie dies durch grotesk übersteigerte Symbole wie Schminke, hautenge, glänzende Kleidung, hochhackige Schuhe und Perücken gleich selbst. Es ist eine Hölle der Freuden und Steve Burns, der in ungläubiges Gelächter ausbricht als Capt. Edelson ihn fragt, ob er sich mit diesem Undercover-Einsatz das goldene Abzeichen verdienen möchte, befindet sich zu Beginn noch in der Maske eines heterosexuellen Mannes, welche er für seine Persönlichkeit hält.
"Es steckt eine Menge in mir, was Du nicht weißt.", sagt Burns seiner Freundin, als sie nach dem Geschlechtsakt im Bett liegen und er weiß es scheinbar auch nicht. Roboterhaft verhält er sich, wie sich ein jeder heterosexueller Mann verhalten würde, der in die Schwulenszene kommt. Er steigt in einer Wohnung ab, die in einem "Schwulenviertel" liegt und entfernt aus dem dreckigen Appartement zuerst die Magazine, welche nackte Männer ablichten. Dann beginnt auch er zu cruisen, aber er gibt sich vorsichtig, umschleicht wie ein Zaungast die Clubs und versucht eine Art Schutzwall zwischen sich und dem dionysischen Treiben aufzubauen. Köpfe mit offenen Mündern werden auf Schwänze gedrückt, Auspeitschungen werden vorgenommen und Anal-Fisting findet neben der Tanzfläche statt, während Burns sich an der Theke festhält und versucht einen Polizisten zu spielen. CRUISING wird zum period piece, wenn hier on location eine Clubszene gezeigt wird, die es so schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gibt. Dahingerafft durch AIDS, Ronald Reagan und Neo-Konservatismus. Dass sich solche Szenarien einmal jede Nacht, Club an Club gereiht, mitten in New York abgespielt haben, erscheint heute so weit weg wie die Kreidezeit. Der Authentizitäts-Fanatiker Friedkin wollte auch hier die absolute Erfahrbarkeit für den Zuschauer und die vierte Wand durchbrechen. Damit dieses Vorhaben gelingt drischt auf den Zuschauer ein wüster Soundtrack ein, der den Dekadenumbruch auf den Punkt bringt. Eine apokalyptische Endzeitstimmung trifft auf perspektivlosen Pessimismus. Auch hier wieder das Fremde, das jedoch internalisiert ist und deswegen im Äußeren aufgesucht wird, weil es aus dem Inneren heraus muss. So schwarz die Räume sind, durch die Steve Burns wandelt, so schemenhaft sind die Gesichter, die Identitäten der Personen. Ein Penis erscheint als Identifikationsmerkmal brauchbarer als ein Gesicht, oder ein Name. Der Killer, den Burns jagt, sieht aus wie ein jeder in der Szene und es könnte auch ein jeder sein. Friedkins Kniff, den Darsteller des Killers ständig zu wechseln, ist nur eins von vielen Details. Die Dopplung der Identitäten und schließlich die Vereinigung aller infrage kommenden Verdächtigen, inklusive Burns, spiegelt sich von der Sonnenbrille des Killers wider – wenn wir in der Spiegelung eines Brillenglases für wenige Sekunden die Mordtat sehen –, in den trägen Schwenks durch die Dark-Rooms, den angerissenen Schnitten in denen wir einzelne Gesichter sehen, die uns anblicken und die Frage aufwerfen, wer wir sind.
Aber CRUISING ist nicht nur ein Film über den Verlust der eigenen Identität und die Austauschbarkeit des Individuums, sondern auch ein Film über die väterliche Allgewalt und die Kastrationsangst. Der ödipale Konflikt wird verlagert mit dem Glauben durch die sexuelle Fixierung auf das reine Körperteil und das Ausblenden des Menschen als Gesamteinheit, die Macht über sich und sein Geschlecht erlangt zu haben. Das Austreiben solch narzisstischer Irrläufer durch väterliche Restriktion bringt – auch hier wieder Friedkins ständige Verdrehungen der Kausalitäten und Dichotomien – das genaue Gegenteil hervor. Die homophobe Erziehung bringt den homophilen Killer hervor. Im Moment der Erregung durch seinesgleichen muss er das ihn erregende Subjekt vernichten. Das abgenutzte Symbol des penetrierenden Messers erhält hier tatsächlich ein tragendes Grundgerüst. Die zwanghafte Tat des Mordens ist die mentale Repräsentation des Vaters, der den dem Killer beigebrachten Schmerz noch über seinen Tod hinaus weiterexistieren lässt und dieser ihn in kleinen Dosen mit seinem Messer an die Opfer verteilen muss. Im Gegensatz zu Hitchcocks PSYCHO wendet sich Friedkin hiermit der wesentlich ambivalenteren Vater/Sohn-Beziehung zu. Die Autorität des Vaters findet ihre Institutionalisierung in der Polizei. Den Kontakt zu seinem Vater hat Steve Burns abgebrochen. Bei einer Erinnerung seiner Freundin, dass sein Vater angerufen hat, zeigt er sich teilnahmslos. Gedanklich ist er immer wieder in den Clubs und träumt vielleicht schon vom ersten Opfer, dass er mit seinem Messer beglücken kann. Um dies zu erreichen beginnt er sogar im letzten Drittel tatsächlich nach dem Killer zu suchen und treibt ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, um sich an seine Stelle zu positionieren. All dies geschieht so unaufgeregt, dass man es kaum bemerkt. Die Konklusion am Ende fügt in der vorletzten Einstellung eine neue, erweiternde Komponente hinzu. Das Weibliche mischt sich ein und übernimmt die Symbole der anderen Welt. Burns muss sich in der letzten Einstellung im Spiegel mit sich selbst konfrontieren und hört bereits die schweren Schritte seiner Geliebten. Das Andere ist nun auch in den eigenen vier Wänden und nicht mehr in dunklen Kellerräumen. Eine Umkehr wird nie mehr möglich sein.