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Sonntag, 28. September 2014

HINTER HAREMSMAUERN

HINTER HAREMSMAUERN

Dieser Film entstand eigentlich vor IN JEDEM HAFEN EINE BRAUT, doch wurde er ca. ein halbes Jahr nach diesem veröffentlicht. Durch diesen Film verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Hawks und Sol Wurtzel zunehmend. Ungewöhnlicherweise entwickelt Hawks sein Thema über Frau und Mann nicht auf der für ihn typischen Weise über die gegenseitige Durchdringung, sondern im Stile Fords über den unüberbrückbaren Aufeinanderprall der zur Katastrophe führt und nur durch den Tod transzendiert werden kann. Für Hawks-Aficionados aufgrund des ungewöhnlichen und formal trotzdem absolut sicheren Vorgehens mehr als einen Blick wert. Vor allem die Innenansichten seiner Protagonisten durch symbolische Überblendungen zu verdeutlichen war faszinierend.

Fazil ist der Prinz eines arabischen Stammes und ein strenger Muslim. Bei einer Fleischbeschau, wo er seine zukünftige Frau auswählen soll, stellt er sie von der Nutzbarkeit her unter Kamele und Maulesel

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Fabienne ist Französin, lebt in Paris, ist selbstbewusst und wickelt Männer um den kleinen Finger

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In Venedig begegnen sich beide zufällig. Ein vorbeifahrender Gondoliere erkennt seine Chance sein Klischee zu erfüllen und schmettert für beide ein Lied

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In einer halsbrecherischen Montage-Sequenz zeigt Hawks, wie der sexuelle Rausch alle kulturellen Hindernisse zu überwinden scheint. Vom Kuss unter Wasser, auf das Rad eines Autos mit dem sie wie die Irren durch den dichten Stadtverkehr heizen, zu einem Schnellboot, mit dem sie durch den Hafen rasen und Unfälle provozieren

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Nach glücklichen Flitterwochen kommt es zum Knall. Fazil ist zwar bereit im langweiligen Europa zu bleiben, doch Fabienne soll sich gefälligst nach den Regeln des Islam verhalten. Fabienne macht ihm deutlich, dass er das vergessen kann. Fazil, bereit Fabienne freizugeben und einen Verstoß gegen seinen Glauben vorzunehmen, lässt die Ehe annullieren und geht zurück nach Hause

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Fabienne kann Fazil nicht vergessen. Fazil kann Fabienne nicht vergessen. Fabienne ist bereit in das arabische Land zu reisen, um bei Fazil zu bleiben, als seine Frau. Als sie mit ihrer Freundin ankommt, sehen sie auf dem Dorfplatz, wie ein Ehemann seine Frau auspeitscht, weil sie ihr Gesicht einem anderen zeigte

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Fabienne durchschreitet Fazils Harem, den er sich angeschafft hat, um Fabienne zu vergessen. Er verzichtet auf seine Frauen, weil Fabienne bei ihm bleibt. Beide wissen nicht, worauf sie sich eingelassen haben. Was es bedeutet, wenn die wahre Liebe kulturelle Unterschiede nicht aufheben kann, wird Hawks auf drastische Weise verdeutlichen

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Freitag, 26. September 2014

IN JEDEM HAFEN EINE BRAUT

IN JEDEM HAFEN EINE BRAUT

Da die Komödie THE CRADLE SNATCHERS nur als Fragment erhalten ist, überspringe ich sie und mache weiter mit dem Buddy-Film IN JEDEM HAFEN EINE BRAUT, der auch unter dem Titel BLAUE JUNGEN - BLONDE MÄDCHEN lief. In diesem Film befinden sich weitere typische Hawks-Themen in ihren Anfängen. Spike ist ein Seefahrer und grast gerne die Frauen in jeweiligen Häfen ab. Wo er war notiert er in ein kleines schwarzes Buch, damit er die Damen z.T. noch Jahre später aufsuchen kann. Doch seit einiger Zeit gibt's da ein Problem. Irgendein Typ, dessen Markenzeichen das Herz und der Anker sind, ist immer schon etwas früher da und beschenkt seine Frauen mit einem Kettchen, wo genanntes Markenzeichen als Anhänger dran ist. Spike will nicht die abgelegten Weiber dieses Typen und im Hafen von San Pedro treffen er und Bill, auch Salami genannt, aufeinander. Nachdem sie sich zu Freunden geprügelt haben, verprügeln sie die halbe Armee und prügeln sich durch sämtliche Häfen nun gemeinsam als Team. Nichts soll sie trennen, bis..., ja bis da wieder eine Frau kommt.

Hawks Film ist eine Ode an die Männerfreundschaft, die von ihm mit kaum noch als kaschiert zu bezeichnenden sexuellen Konnotationen aufgeladen scheint. Wenn Spike und Bill sich am Ende in den Armen halten und das Schlussbild haben, wartet man jeden Moment auf den Kuss. Vor allem John Fords Kompagnon, der ehemalige Schwergewichtsboxer und Mega-Untier Victor McLaglen, zeigt eine derart weiche Seite, dass man ihn schon als Model für Make-Up verwenden könnte. Wieder etwas besser als bei BEZAHLTE LIEBE beherrscht Hawks den Wechsel aus Halb-Totale und Close-Up. Seine Montage ist so genau rhythmisiert, dass der Film einem förmlich entgegenspringt. Hawks Stil ist für all diejenigen, die Probleme mit Stummfilmen haben, mehr als empfehlenswert.

Spike ist in Amsterdam und freut sich schon darauf Eroberungen zu machen

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Doch Bill hat jeder Frau schon sein Zeichen eingebrannt

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Endlich begegnen sich beide. Bill war schon wieder schneller und macht Spike nur eine lange Nase

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Nachdem man sich zu Freunden geprügelt hat, verprügelt man die Ordnungsmacht

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Aus dem Knast entlassen, ist man von nun an ein unzertrennliches Paar

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Manchmal hat Bill "Aua" an seinem Mittelfinger und Spike weiß schon, wie man das richtet

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Marie ist sexuelle Power pur.

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Sie zeigt sich nicht nur gerne körperbetont... (man sieht sogar ihre Brustwarzen und der Sprung wurde vollständig in Zeitlupe aufgelöst)

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... sie hat Spike auch soweit abgerichtet, dass er mit Freuden ihre High Heels putzt

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Doch Spike und Bill kann nichts trennen. In der letzten Einstellung schwören sie sich ewig zusammenzubleiben

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Dienstag, 23. September 2014

BEZAHLTE LIEBE

BEZAHLTE LIEBE

Nach dem Drama THE ROAD TO GLORY (1925), welches emotional recht niederschmetternd sein soll und ein Flop war, soll Howard Hawks erkannt haben, dass ihm die melodramatischen Töne nicht so liegen und schuf mit seinem Folgefilm FIG LEAVES (1925) eine kurzweilige Komödie über Geschlechterklischees. Sol Wurtzel hatte ihn zur FOX rüber geholt, mit dem Versprechen, dass Hawks, der nun schon in nahezu allen Bereichen des Films wenigstens einmal tätig war und sich bereits Mitte der 1920er zu einem Spezialisten für das Überarbeiten von Drehbüchern entwickelt hatte, eigenständig Regie führen dürfe. Somit wurden nun auch Resultate erwartet. FIG LEAVES war kommerziell erfolgreich und sicherte Hawks einen Fortbestand seines Vertrages. 1926 entstand schließlich die Verwechslungskomödie BEZAHLTE LIEBE. Hierfür wurde abermals auf George O'Brien zurückgegriffen, der in den 20ern einer der größten Stars der FOX war und auch diverse Filme mit John Ford gedreht hatte.

Die Story um ein kleines europäisches Königsreich, welches durch amerikanische Gelder saniert werden soll, war schon zur Entstehungszeit nicht mehr sonderlich frisch. Hawks peppte die Geschichte mit der Prämisse auf, dass der Vertreter der Geldgeber fordert, dass der noch unverheiratete Kronprinz sich mal möglichst schnell anfangen soll für Frauen zu interessieren, da ein junger, kräftiger Bursche adliger Abstammung, der mit Frauen nichts im Sinn hat verdächtig erscheint. Der König und der Ami machen sich auf in die verrufenste Gegend von Paris, wo man, wie der amerikanische Investor verspricht, "Frauen findet, bei denen noch der mumifizierte Pharao wieder aus der Pyramide springt". In einem Nachtlokal, wo jeden Abend eine gefakete Messerstecherei zwischen einem sich streitenden Liebespaar stattfindet, um unwissende Touristen zu unterhalten und zu erschrecken, werden sie schließlich fündig.

Bereits hier entwickelt Hawks, wie er es später perfektionieren sollte, permanent Meta-Ebenen, welche die eigentliche Erzählung bilden und macht fast schon selbstreferentiell deutlich, dass wir eine erfundene Geschichte zu sehen bekommen. Das wird am Ende vollständig gedeckelt, wenn Dolores aufgrund vieler Missverständnisse aus dem Königshaus geflohen ist und der Prinz sie in eben jener Spelunke aufsucht. Als sich zwischen ihnen ein wahrhaftiger Liebesschwur ergibt, wo eigentlich wieder die Messerstecherei stattfinden sollte und das Touristen-Publikum vom intradiegetischen Erlebnis ganz ergriffen ist, verweist ein französischer Gast darauf, dass das doch nur eine Inszenierung ist, die sie hier wahrscheinlich jeden Abend abziehen. Stilistisch war Murnau zu diesem Zeitpunkt angesagt wie kein anderer Regisseur. NOSFERATU - EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1921) und DER LETZTE MANN (1924), sowie auch bereits der noch nicht ganz fertig gestellte SONNENAUFGANG - DAS LIEDER ZWEIER MENSCHEN (1927), der bei der FOX entstand und dem diverse Regisseure beiwohnten, weil sie von Meister Murnau lernen sollten, nimmt Einfluss auf Hawks. Allerdings das einzige Mal. Auch wenn Hawks hier viel mit der Lichtsetzung des Expressionismus und der "entfesselten Kamera" arbeitet, so war dies nicht so ganz seins.

König und amerikanischer Investor werden zu Saufkumpanen. So hecken sie auch ihren schwachsinnigen Plan aus

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In der Pariser Spelunke waren alle schon kurz vorm Einschlafen, doch als der Bus mit Touristen kommt, wird Leben in die Bude gebracht. Der Herr, der hier wie wahnsinnig mit dem Messer rumfuchtelt und droht jeden abzustechen, hat vorher einen Pullover gestrickt.

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Man möchte kuriose Gestalten darbieten

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Dolores ist die erste Hawks-Frau. Sie ist sexuell aggressiv. Sie raucht, in den 1920ern ein Tabu für Frauen, was ihre Unabhängigkeit verdeutlicht. Durch den Plan der Greise wird sie zur Nobel-Hure

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Da sie mit dem Auto liegen bleibt, bittet sie in einem abgelegenen Haus um Hilfe. Sie stürzt unwissentlich dem Kronprinz in die Arme. Beide verlieben sich tatsächlich, doch keiner soll vom anderen wissen wer er ist

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Der Cousin des Kronprinzen verfolgt eigene Ziele und zerstört die Liebe der beiden. Er hat herausgefunden, dass Dolores nur eine engagierte Hure ist und beobachtet sie, ohne dass sie es weiß, wie sie sich auszieht. Das langsame "Ausziehen" und essen der Banane ist dabei wie ein sexueller Akt inszeniert

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Eine der vielen Verkehrungen. Ein Diener glaubt seine Frau neben sich, doch tatsächlich ist es sein König, dem er jetzt einen innigen Kuss geben möchte

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Der Kronprinz in der Spelunke muss Dolores um Verzeihung bitten

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Montag, 22. September 2014

RINGO

RINGO

Tonfilm Nr. 26: RINGO, oder auch HÖLLENFAHRT NACH SANTA FE, wie der erste deutsche Verleihtitel von STAGECOACH lautete, gehört zu den vermutlich 10 wichtigsten Filmen der Filmgeschichte. Wichtig, wenn man vom Aspekt der Richtungsweisung oder sogar Richtungsänderung ausgeht. Warum, dass verstehen viele Menschen wie das für richtungsweisende Filme und nicht ausschließlich einflussreiche Filme gilt heutzutage oft nicht mehr.

Eine Liste der für das Kino und die Filmgeschichte richtungsweisenden Filme könnte ungefähr so aussehen:

DIE GEBURT EINER NATION, 1914 (David Wark Griffith)

INTOLERANZ – DIE TRAGÖDIE DER MENSCHHEIT, 1915 / 1916 (David Wark Griffith)

NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS, 1921 (Friedrich Wilhelm Murnau)

PANZERKREUZER POTEMKIN, 1925 (Sergei Michailowitsch Eisenstein)

SONNENAUFGANG – DAS LIED ZWEIER MENSCHEN, 1927 (Friedrich Wilhelm Murnau)

SCHNEEWITTCHEN UND DIE 7 ZWERGE, 1934 - 1937 (William Cottrell, David Hand, Wilfred Jackson, Larry Morey, Perce Pearce, Ben Sharpsteen)

RINGO, 1938 (John Ford)

FAHRRADDIEBE, 1948 (Vittorio de Sica)

RASHOMON – DAS LUSTWÄLDCHEN, 1950 (Akira Kurosawa)

DER SCHWARZE FALKE, 1955 (John Ford)

AUSSER ATEM, 1959 (Jean-Luc Godard)

PSYCHO, 1959 / 1960 (Alfred Hitchcock)

KRIEG DER STERNE, 1976 / 1977 (George Lucas)

Diese Filme haben nicht nur einen Einfluss auf Regisseure oder andere Filmschaffende genommen, sie haben das Kino an sich verändert im Moment ihres Erscheinens. Sie haben Veränderungen bewirkt, die nicht nur zu Kopisten aufgerufen haben oder neuen Trends, sondern Prinzipien des Kinos an sich geformt haben, an denen sich bis heute abgearbeitet wird.

Die Meriten von John Fords RINGO sind grob in drei Bereiche zu unterteilen:
  • RINGO ist der erste Film der Filmgeschichte, dessen inhaltliches Konstrukt voll und ganz auf der Filmgeschichte aufbaut und der trotzdem eine mythologische Größe besitzt. Er basiert auf Prinzipien, die sich durch knapp 40 Jahre Kinogeschichte im Vorfeld im Genre des Westerns entwickelt haben. Es liegt ihm kein bedeutendes historisches Ereignis, keine bedeutende oder überhaupt irgendwie wahrgenommene literarische Vorlage, kein politisches Ereignis, geschweige denn ein Krieg, ein gesellschaftliches Ereignis, eine historische Begebenheit, die romantisiert wurde, eine real existierende Figur, das Prinzip eines Star-Films, oder ein für die Menschheit in irgendeiner Weise relevantes Problem vor. Er entwickelt seine Geschichte einzig aus Standards, die sich durch den Film entwickelt haben.
  • RINGO ist der erste Film, der sich aus dem Film heraus entwickelter Stereotype bedient, um sie allesamt aufzubrechen und ihnen eine Komplexität zu verleihen, die sie als Menschen erfahrbar macht. Dies geschieht durch ein vollkommenes Zusammenwirken formaler Elemente, so dass sogar die unsympathischste Figur – der kapitalistische Banker, der mit den Lohngeldern türmt – einen Shot erhält, der seine innerpsychischen Beweggründe erklärt. Letztlich gibt es also gar keine Stereotype - sie dienen nur einem Wiedererkennungswert - sondern immer nur dahinter stehende Menschen, die für ihr Verhalten komplexe Motivationen haben und die uns durch den Film in all ihren Facetten gezeigt werden.
  • RINGO ist der erste Film, der deutlich macht, dass Film und Kino sich immer nur in vorgetäuschten Räumen befinden können, die bei aller Suggestion von Historizität diese allenfalls nutzen, um ihre Geschichten an etwas zu verankern, das Menschen ein Gefühl von "Ich war dabei" vermittelt und gleichzeitig einen identifikatorischen Wiedererkennungswert, der sowohl für die Menschen und ihre Schwächen, sowie für die Ereignisse gilt, die sie erleben und die sich zu einem filmischen Abenteuer entwickeln kann. Der besondere Clou, der RINGO über einen Film wie MENSCHEN IM HOTEL (1932) erhebt, ist der von André Bazin benannte Inbegriff des Filmischen, dass all diese Menschen sich durch die Postkutsche in der Bewegung befinden, also ihr Schicksal ganz in der ständigen Bewegung gipfelt, die schließlich in der maßstabsgebendsten Actionszene der Filmgeschichte gipfelt, wenn Ford in einzelnen Shots ganze Universen erzählt, während die Fortbewegung der Action den Stillstand eliminiert.
Nebenbei arbeitet der als B-Film produzierte Film, Ford wollte wie bei DER VERRÄTER alle Entscheidungen in der eigenen Hand behalten, alle Topoi der Menschheitsgeschichte ab.

Der legendäre Einführungs-Shot von Ringo. In Fords Film gelingt das Wunder, dass keine Figur wichtiger ist als die andere. Nur durch den Zoom bzw. die Fahrt macht Ford deutlich, dass Ringo uns wichtiger sein könnte. Viel wurde über die Unschärfe diskutiert, die sich in den 2 Sekunden ergibt, wenn wir uns auf Ringo zubewegen und sein entschlossenes Gesicht sich innerhalb der Unschärfe in ein ängstliches verwandelt. Der vermeintliche Held, der brüllt, dass die Kutsche anhalten solle, ist sich selbst über sein Tun nicht im Klaren (eine der meist zitiertesten Szenen der Filmgeschichte).


Zwei Ausgestoßene. Der einzige Arzt des Städtchens ist ein Säufer und hasst die moralische Borniertheit der Liga für anständiges Benehmen. Die treiben gerade eine Hure aus der Stadt. Der von Philosophie erfüllte, aber saufende Arzt und die Hure, die ihr Dasein selbst nicht mag, aber den Frauen der Liga lieber trotzt, gehen stolz aus der Stadt.


Peacock ist ein Mann aus dem Osten. Er bedient sich geradezu grotesker Formen des Anstandes, so dass ihn aufgrund seiner Sprache jeder für einen Geistlichen hält. Tatsächlich ist er jedoch ein Reisender in Schnaps und wird den saufenden Doc Boone nicht mehr los.


Gatewood ist der Bankier der Stadt. die Lohngelder sind gerade eingetroffen und er hat sie zu verwahren. Er ist verheiratet mit der Leiterin der Liga des Anstandes und obwohl Ford ihn als Rassisten und Dieb zeichnet, schenkt er ihm bzw. dem Zuschauer durch einen kurzen Shot Verständnis, warum er mit den Lohngeldern türmt. Er versucht seinerseits aus gefestigten Verhältnissen auszubrechen und macht es auf die einzige Weise, die ihm Sicherheit gibt.


Dallas, die vertriebene Hure, ist inzwischen in der Postkutsche. Hier haben wir eines der schönsten Beispiele für Fords Blickkino und seine daraus resultierenden sozialen Kommunikationen. Dallas sieht Lucy Mallory, eine Dame der angesehenen Gesellschaft. Ford inszeniert es so, als würde sie Lucy anblicken, doch die Montage arbeitet dem implizit entgegen.


Lucy blickt zwar, wie Ford uns suggeriert, auf sie doch tatsächlich lässt er sie in den Achsenwinkeln aneinander vorbeischauen. Dallas blickt nach unten rechts, Lucy nach oben links. Sie sehen sich laut Inszenierung in der Kadrage, aber laut Montage blicken sie in der Kadrage vorbei. Dies symbolisiert ihren sozialen Status und ihr Gefälle. Szenen dieser formalen Komplexität gibt es im Film einige Hundert.


Hatfield ist eine Figur, welche ganze historische Dimensionen und kinomythologische Ebenen mitbringt. Er scheint die zwielichtige Gestalt des "Gamblers" zu sein, der arme Viehtreiber ausnimmt und ein typisches Beispiel für den haltlosen Gesetzlosen ist. Tatsächlich steckt hinter ihm die wichtigste Dimension der psychischen Zerrüttung eines Teils der USA und sein Unvermögen mit der Reconstruction-Ära klar zu kommen (seine Figur war Vorlage für Lee van Cleefs Figur in FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR).


Die Dame der feinen Gesellschaft, Lucy, erwartet ein uneheliches Kind. Dies hatte sie vor allen geheim gehalten. Hatfield treibt den ihm unsympathischen Doc Boone dazu an, einmal nüchtern zu sein, um die komplizierte Geburt zu gewährleisten. Es gibt in RINGO keine konventionellen Figurenzuweisungen, die dramaturgischen Prinzipien folgen. Ganz wie im wirklichen Leben müssen sich die Figuren immer wieder zueinander positionieren.


Die Hure Dallas, die weiß, dass sie in einer patriarchalen Gesellschaft höchstens einen Bastard großziehen darf, schützt das Baby mit ihrem Leben.


Ringo und Dallas begehen ihren letzten Marsch. Ringo will seinen Bruder rächen, Dallas muss wieder anschaffen gehen. Sie sind die Außenseiter, die sich in der Nussschale, die durchs Universum treibt, hier die Postkutsche, die durch das zerklüftete Land rast, gefunden haben und wissen, dass solche wie sie keine Zukunft haben.


Der Marshall hat Ringo reingelegt. Er lässt ihn sich auf den Kutschbock setzen und Ringo, immerhin ein gesuchter Mörder, glaubt er müsse nun ins Gefängnis. Der Marshall bittet Dallas auch noch auf den Kutschbock, angeblich um ein kurzes Stück mitzufahren. Danach wird der Marshall einen Stein auf das Pferd werfen. Es galoppiert davon. Ringo schaut sich noch verwundert um. Der Marshall hat Ringo die Selbstjustiz durchgehen lassen, schließlich hat Ringo einen beträchtlichen Teil zur Rettung der Postkutsche beigetragen. Dallas hätte nur ihr tristes Huren-Dasein erwartet. In einem Anflug von Überschwang der Emotionen schenkt er ihnen eine Zukunft. Ob es gut gehen wird, dass diese zwei Außenseiter ein Leben beginnen können, abseits ihrer Determinationen, lässt der Film, in Anbetracht des ambivalenten Schlussbildes, sich selbst fragend offen (Cameron zitiert diese Einstellung in DER TERMINATOR).

Samstag, 20. September 2014

SCHLOSS VOGELÖD

SCHLOSS VOGELÖD

Murnau nutzt das Gerüst eines angelsächsisch inspirierten Whodunit, um eine psychoanalytische Durchdringung auf Basis hermeneutisch-konstruktivistischer Ausrichtung abzubilden. Die Welt wird durch die inneren Zustände der Figuren nicht nur geprägt, sondern ist eine mit ihr reziprok verbundene, fast schon verschlungene Einheit, so wie die Umgebung die inneren Zustände der Figuren bildet und formt. Was als "nervöser Mann" in der Figurenzuordnung eingeführt wird und namenlos bleibt, arbeitet extrinsisch mit der Abwehr des herzhaften Alleskönners und wird intrinsisch in seinen Träumen von schlimmsten Deformationen heimgesucht, welche ihn in die Dunkelheit jenseits des Fensters ziehen. Ein Küchenjunge kann seine ES-Strukturen träumerisch ausleben, in dem die Personifizierung des Allvaters persönlich ihm den Wanst vollstopft und er als Belohnung für die Völlerei mit jedem Sahnelöffel seinen Vorgesetzen züchtigen darf. Das rationale Element, vertreten durch die im angelsächsischen Raum typische Abduktion, wird ausgehöhlt durch Täuschung und Nutzung religiöser Wahnstrukturen. Nur die Lüge und das Irrationale können hier aufklären. Autoritäten wie ein Richter, der meint Klarheit schaffen zu können, werden dezent der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Charade führt zum Ziel. Der Versuch die de-sexualisierte Erleuchtung zu finden, wird der sexuellen Raserei gegenüber gestellt. Lust bringt Tod und Schuld, weil "das Reine" unfähig ist zu verstehen. Die Rückblenden sind mit viel Umgebungslicht versehen, so dass sie wie eine Dokumentation wirken. Die Realität ist mit so viel künstlichem Licht und Viragierung versehen, dass sie nur unwirklich erscheint.

Eine der bekanntesten Einstellungen des Films wo Rückblende auf Tatsächliches und die Traumsymbolik das Verhältnis von Geschlecht und Figuren widerspiegeln. Die Halle als gescheiterter Ort der Begegnung, die Tür als Symbol der Grenze. Beides steht für den Beginn neuer Beziehungsmuster, deren Grundlage hier der Tod ist.

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Donnerstag, 18. September 2014

FIG LEAVES

FIG LEAVES

Da ich den ersten Film von Howard Hawks, das Blindendrama THE ROAD TO GLORY, nicht auftreiben konnte, muss es der zweite ebenfalls aus dem Jahr 1925 machen. Eine zu Beginn irrwitzige Komödie, welche das Geschlechterverhältnis aufs Korn nimmt und damit der Screwballcomedy einige Jahre vorweg greift. Der Grundton ist arg chauvinistisch, da unsere weibliche Hauptfigur ihren Ehemann mit ihrem Wunsch nach schicken Klamotten in den Wahnsinn treibt und diesen sogar damit konfrontiert, dass sie arbeiten gehen will, um sich diese zu kaufen. Das kommt natürlich nicht infrage, würde es unseren tapferen Ehemann doch damit konfrontieren, dass er unzureichend ist. Doch ein latent homosexueller Mode-Designer scheint Abhilfe zu schaffen. Hawks verbindet wie im Film angegeben 869 oder vielleicht auch 879 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, indem er darwinistische Evolutionsgeschichte und Bibel mit den Ereignissen des Jahres 1925 parallelisiert, ständig mit Überblendungen und der Montage arbeitet und in einem ständigen Erzählfluss Metaphern verwendet. Mit wie viel Sicherheit er diesen Film inszeniert, ist mehr als beeindruckend. Es wirkt, als habe er nie etwas anderes gemacht.

Auch im Paradies schnarcht Adam seinen Kasten Holz weg

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Dobbin ist der Haussaurier

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Eva ist entsetzt, hat sie doch kaum etwas Brauchbares zum Anziehen

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Die Tageszeitung wird als Steinplatte ins Haus geworfen

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Der 8:15 Uhr kommt pünktlich

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Die Schlange schnattert Eva so einiges ein

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In der Gegenwart ist Adam Klempner und muss sich von seinem Partner zeigen lassen, wie man mit Frauen umgeht, die Forderungen stellen

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Mode-Designer André hat eine seiner vielen Visionen

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Eine Blond-Schwarz-Färbung gab es schon vor 90 Jahren. Die Szenen der Modeschau wurden im Original-Print sogar in Technicolor gedreht

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Parallelisierung der Zeiten

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Durch einen Kuss kann man sich einigen, dass man sich nicht einigen kann

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Howard Hawks: The Winchester

Howard Winchester Hawks. Der zweite Vorname dieses Mannes beinhaltet auch ein Stück seines Regiestils. Howard Hawks kann zusammen mit John Ford und Alfred Hitchcock zu den drei bedeutendsten Regisseuren des (amerikanischen) Kinos gezählt werden. Anders als diese hat er sich jedoch immer auf die Montage verlassen (können). Ford entwickelte den "long shot", das Schneiden in der Kamera, um auf diese Weise zu verhindern, dass man seine Inszenierung hinterher störte. Nur wenn er wusste, dass allein er den Film schneidet, verließ er sich auf die Montage. Hitchcock ging sogar noch weiter, da er mit der Kamera schnitt und seinen Film so zu einem nur für ihn zu entwirrenden Puzzle machte. Doch Hawks war derjenige, der sich von Anfang an auf die Montage verließ. Der Grund, warum die Beteiligten des chahier du cinema in Hawks den größten aller Hollywood-Regisseure sahen, lässt sich vor allem dadurch erklären, dass er als einziger alle Stadien des Filme machens durchlaufen hatte. Er hatte sie nicht nur, wie Ford und Hitchcock, kennen gelernt; er hatte sie selbst ausgeführt. Darum wurde er von den Franzosen, die sich selbst ehrfürchtig "Hawksianer" nannten, als der ultimative Regisseur angesehen. Und so ist Hawks der Regisseur, der wie kaum ein anderer filmische Formen entwickelte und seine Filme rhythmisierte, dass sie heute so zeitlos erscheinen, wie die keines anderen Regisseurs der klassischen Ära. Während Ford den gravitätischen Mythos mitschleppt und Hitchcock aus dem Kader der genau komponierten Einzel-Shot-Einstellungen nicht ausbrechen kann, ist Hawks pure Geschwindigkeit, purer Sound, purer Film. Er ist vielleicht nicht wie Ford pures Kino, oder wie Hitchcock pure Form(-vielfalt), aber er ist purer Film.