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Donnerstag, 22. November 2012

Emmanuelle

(EMMANUELLE)
FRANKREICH 1973
Regie: Just Jaeckin


Schon zu Beginn versucht Just Jaeckin den Blick, den Eindruck, zu lenken, doch findet hier noch eine Entgegensetzung zwischen Gezeigtem und wie es gezeigt wird statt. Der Weichzeichnerfilter wird den Zuschauer in keiner Einstellung verlassen, aber zu Beginn sehen wir eine Frau im Morgenmantel, ganz gewöhnlich, mit kurzem Haar und sich rote Socken überziehend, mit denen sie in die Küche schlurft. Die romantisierende Wirkung des Weichzeichners wird erst im weiteren Verlauf des Films eine Einheit mit dem Gezeigten eingehen, doch erst mal sehen wir etwas sehr Alltägliches. Die Frau bereitet sich ein Frühstück zu, für Frankreich fast spartanisch, geht zurück ins Wohnzimmer und betrachtet ein paar S/W-Fotografien, die sie nackt in erotischen Posen ablichten. Es steckt nicht nur Narzissmus in dieser Einstellung, sondern auch der Wunsch über sich hinauszuwachsen. Der Wunsch mehr zu erfahren. EMMANUELLE ist schon allein deshalb eine Sensation, damals wie heute, da er sich als vielleicht erstes Werk des Kinos begreift, das die sexuelle Sinnsuche einer Frau thematisiert, ohne rein metaphorisch oder moralisch, höchstens verklärend zu wirken. Und auch diese Verklärung kann nur als Rettungsakt der Form gewertet werden. EMMANUELLE ist nicht der Film über eine Frau, welche Selbstbestimmung sucht, aber auch nicht der Film über eine Frau, die blind Männerfantasien erfüllt. Beides steckt selbstverständlich in ihr und dem Film, aber nichts davon wird ausgereift entwickelt. Darf es auch nicht, denn es geht nicht um eine didaktische Anleitung in Sachen sexueller Selbstbestimmung (die Aufklärungsfilme der zweiten Hälfte der 1960er gaben da schon genug Anlass zu lachen), sondern um ein in all seiner Fehlerhaftigkeit gezeichnetes Rauscherlebnis sexueller Trieberfüllung.

Emmanuelle ist die gerade erst 21 gewordene Frau eines Diplomaten und fährt ihm nach zu seiner neuen Wirkungsstätte in Bangkok. Die anderen Frauen der höheren Gesellschaft vertreiben sich dort die Langeweile mit sexuellen Eskapaden homo- und heterosexueller Natur. Es wird schnell deutlich gemacht, dass die Welt von Männern regiert wird und Frauen aufs Abstellgleis geschoben werden, wo sie zusehen müssen, sich die Zeit bis zu ihrem Ableben einigermaßen lustvoll zu vertreiben. In vielen Belangen wird der Umbruch der Zeiten deutlich. Es ist nicht mehr nur so, dass es für die Frauen selbstverständlich ist, dass ihre Männer sich die Zeit mit, zumeist jüngeren, anderen Frauen vertreiben, den Frauen ist es inzwischen gestattet selbiges zu tun: mit (jüngeren) Frauen, (jüngeren) Männern, mehreren auf einmal, egal. Doch Emmanuelle will mehr. Sie hat es schon genossen sich im Flugzeug während eines kurzen Fluges zuerst von einem Mann und später von einem anderen "nehmen" zu lassen. Sie will die totale Ekstase, die totale Erfüllung, um über die Erotik zur Frau zu werden. Hierfür wählt sie sich verschiedene Meister, in deren Obhut sie sich begibt. Die minderjährige Marie-Ange, die in allem so viel weiter ist als Emmanuelle, die herbe Bee, die als Archäologin arbeitet, ganze Männerhorden für ihre Arbeit befehligt, verheiratet ist und für die es selbstverständlich ist weibliche Gespielinnen zu haben und Mario, einen alten Connaisseur, der sämtliche sexuellen Begierden und ihre Möglichkeit zur Erfüllung kennt. In den ersten beiden findet Emmanuelle einen neuen Typ Frau. Ein minderjähriges, frühreifes Mädchen, welches zu Paul Newmans Konterfei vor Emmanuelle masturbiert und genau weiß, dass Emmanuelle zu Mario muss, damit sie sich selbst befreien kann. Bee, die völlig autarke Frau, zu einer Zeit, als die Feminismusbewegung gerade erst erreicht hat, dass eine Frau arbeiten darf, ohne dass ihr Ehemann Einspruch erheben kann. Die eine ist ihre Lehrerin, die andere ihre Geliebte. Doch Liebe kann sie so nicht finden. Um die geht es auch nicht. Es geht um die klare Trennung von Liebe und der Erfüllung aller sexuellen Wünsche.

Die Ambivalenz des Filmes wird zugespitzt, weil Emmanuelle diese Erfüllung durch den alten Lustgreis Mario findet. Dieser ist an Emmanuelle jedoch gar nicht interessiert. Er raucht Opium mit ihr und stiftet dann zwei Thailänder zu einer Vergewaltigung Emmanuelles an, welche diese zuerst versucht abzuwehren und sich ihr dann hingibt. An anderer Stelle gibt er einem betrunkenen Matrosen Geld, um Emmanuelle zu fingern. Dann lässt er zwei Thai-Boxer sich blutig schlagen und der Gewinner darf Emmanuelle vor versammelter Mannschaft von hinten nehmen. Just Jaeckin lässt durch die philosophierenden Dialoge Marios die Frage entstehen, ob es Bee überhaupt gegeben hat, ob Emmanuelle nicht schon immer in einer Traumwelt der Lust gelebt hat und so verschmelzen auch in den letzten Einstellungen Traum, (Wunsch-)Vorstellung und Realität. Emmanuelle und Mario haben Sex mit einer dritten, anonymen Person, einem Mann. Mario agiert seine Impotenz und homosexuelle Neigung über diesen aus, Emmanuelle erkennt das Prinzip des ewig weiblich Fordernden, welches der Mann erbringen muss, um sexuell bestehen zu können. Durch die letzte Einstellung will Jackin uns deutlich machen, dass Emmanuelle zur Frau geworden ist, einer selbstbestimmten.

Tja, seit mehr als 20 Jahren habe ich den nicht mehr gesehen und war doch überrascht, wie überrascht ich war. Die auf kunstvoll geschminkte Hülle kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Thematik des Filmes kein Stück von ihrer Aktualität verloren hat. Einer Aktualität, die wohl nie verloren gehen kann, da Frauen kulturgeschichtlich noch nie eine Freiheit in ihrer Sexualität erleben durften. Dabei spielt es letztendlich keine Rolle, ob es an Männern lag, die ebendiese aus Angst unterdrückt haben, oder Frauen, die diese unterdrücken, weil sie selber Angst davor haben. Ob der Weg in EMMANUELLE ein gangbarer ist? Unwichtig, er geht einen Weg und das ist wichtig.

Mittwoch, 14. November 2012

Ninja - Champion on Fire


(NINJA OPERATION VI - CHAMPION ON FIRE aka NINJA AVENGERS)
Hongkong 1986
Regie: Godfrey Ho
 

 
Das Zusammenschneiden unterschiedlicher Filme, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, um daraus dann einen neuen Film zu machen, bringt es mit sich, dass man beim Zusammenschneiden auch Überschneidungspunkte schaffen muss. In den meisten Cut-and-Paste-Filmen löst Godfrey Ho dies über die mediale Ebene des Telefons. Raum und Zeit unterschiedlicher Filme, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und die auch völlig unterschiedliche Schauspieler aufweisen, die sich logischerweise weder im Film und zumeist auch nicht in der Realität je begegnet sind, werden auf diese Weise verbunden. Dafür ist aber wenigstens das Prinzip eines gemeinsamen epochalen Zeitraumes notwendig. Sollten die Filme zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten spielen, der eine im ausgehenden 20. Jahrhundert, der andere Mitte des 19. Jahrhunderts, dann wird es schwierig. Godfrey Ho verbindet seine beiden Filme auf die denkbar einfachste Weise. Er suggeriert dem Zuschauer einfach, dass die Hauptfigur aus dem von ihm selbst gedrehten Film (wieder einmal Richard Harrison) und die Hauptfigur aus dem wieder verwendeten Film (in diesem Fall Patrick Kelly) sich auf einem Waldweg treffen. Das Ganze wird dann als Schuss/Gegenschuss vermeintlich inszeniert, tatsächlich eher montiert. Bei dem Grundfilm handelt es sich um einen taiwanesischen Genrebastard (FURY IN STORM, 1974, R: Hsu Chin Liang; leider kein IMDb-Eintrag vorhanden). Eine Kreuzung aus Eastern und Western, genauer einem Martial-Arts-Film, der im China des 19. Jahrhunderts spielt und in dem es ein weiteres Mal um die Bedrohung durch die Japaner geht und einem Italo-Western. Dieses Genre vertritt ein katholischer Priester, eher Mönch, der immer mit einem gigantischen Kreuz im Passionsgang umherwandert und sich der japanischen Verbrecherbande angeschlossen hat. Als er von dieser hintergangen wird, schmeißt er sich mit einem aufrechten Kung-Fu-Kämpfer (Chang Yi) zusammen und beide räumen auf.
 
Der andere Teil, also der Teil des Films, den Godfrey Ho mit Richard Harrison, Stuart Smith und den üblichen Verdächtigen gedreht hat, wird hier so vernachlässigt wie selten. Das ist schon daran erkennbar, dass die Ninja-Szenen so austauschbar in ihrer Kampfchoreographie und den wenigen Dialogen erscheinen, dass sie auch problemlos für einen anderen Film gedacht hätten sein können (und wahrscheinlich auch sind, da ich aber erst 32 Ninja-Cut-and-Paste-Filme aus der Schmiede der IFD und Filmark gesehen habe, vermag ich nicht zu sagen, ob und wann dieses Material schon an anderer Stelle verwendet wurde). Ein gewisser Ringo (Stuart Smith) wurde hier aus dem Knast entlassen und schwört dem Mönch Antonio aus dem Grundfilm blutige Rache. Der soll ihn nämlich durch Verrat dort hingebracht haben. Gordon (Richard Harrison) wird mal eben zu Antonios Bruder gemacht und muss verhindern, dass diesem etwas geschieht. Die beiden Filmteile in NINJA - CHAMPION ON FIRE wirken wesentlich unverbundener als sonst. Ho hatte entweder erkannt, dass aus dem Material mit Harrison nicht mehr herauszuholen war, oder es war von Anfang an geplant hier möglichst wenig Selbstgedrehtes zu verwenden und lieber den Originalfilm durchlaufen zu lassen.
 
So folgt man eher der Geschichte aus dem Grundfilm und erhält schöne Einblicke, wie im taiwanesischen Mainstream-Kino der 1970er westliche Trends aufgegriffen wurden und wie man so über uns gedacht hat. Im Grunde handelt es sich um eine Art Umkehrung der Nationalitäten bei Beibehaltung der üblichen Figurenkonstellationen. Es ist nicht, wie in früheren als politisch heute nicht mehr korrekt eingestuften Darstellungen (seltsamerweise heutzutage aber häufiger anzutreffen als je zuvor, aber jetzt glaubt man ja alles mitzureflektieren), der schlitzäugige Chinese/Japaner/Koreaner-Egal-sehen-ja-eh-alle-gleich-aus-Typ, der als comic relief taugt, sondern eben der depperte Gweilo, der mit den Insignien seines christlichen Glaubens, die hier immer wieder der Lächerlichkeit preisgegeben werden, durch den Film stolpert, tölpelhaft in die Kamera blickt, für Asiaten ekelhaft anzuschauende Körperbehaarung hat, Frauen wie ein Tier anfällt und auch sonst von seinem gutmütig-mitleidig lächelnden chinesischen Freund öfters mal zur Ruhe gerufen werden muss. Auch ist der Gweilo eher ein zu domestizierender Wilder und in seinem großen Holzkreuz befindet sich genau das Utensil, dass uns aus diversen Italowestern bekannt ist. Das Kreuz der Missionierung bringt den Tod, deutlicher geht's kaum. Im Konkreten geht es wieder einmal um ein chinesisches Nationalheiligtum, das von den bösen Japanern entwendet wurde. Der tapfere Kung-Fu-Kämpfer ist an dessen Rückeroberung interessiert, um die Ehre des chinesischen Volkes wieder herzustellen, der Gweilo sinnt auf Rache für den Verrat seiner früheren Gang und will die Kohle abgreifen, die natürlich auch irgendwie im Spiel ist. Dazwischen wird viel gerülpst, vergewaltigt und geschmatzt beim Essen. Seltener war der Ninja-Plot so fern wie hier.
 
FURY IN STORM ist bei Weitem nicht so ausgereift wie seine international bekannteren Vorbilder IN MEINER WUT WIEG' ICH VIER ZENTNER oder DER MANN MIT DER KUGELPEITSCHE. Das mag zum einen daran liegen, dass FURY IN STORM nicht im Westen, sondern im Osten spielt und der Westernrecke sich eher als Hans Wurst durch die Easternkulisse schlägt, zum anderen wohl daran, dass taiwanesische Filme den South Asian Film Circle seltener verlassen haben, als ihre großen Brüder aus Hongkong.
 
Diese Cut-and-Paste-Produktion gehört, was das Cut-and-Paste angeht, sicherlich zu den schwächeren Filmen, bietet aber in der deutschen Synchro gut aufgelegte Sprecher und transportiert so ein wenig den Schwung des verstümmelten Originalfilms. Sowohl eine Wirtshausschlägerei, als auch das Finale wussten zu begeistern. Dissoziierende Momente gab es eher selten, was natürlich schade ist, wenn man die übliche Ausgeflipptheit der Ho-Ninja-Flicks sucht.
 

 
P.S. Im Internet trifft man immer wieder auf die Behauptung, die Namen Joseph Lai, Betty Chang und Tomas Tang seien Fakes und tatsächlich stünde Godfrey Ho hinter allem. Hier verlinke ich mal zu einem Interview mit IFD-Chef Joseph Lai von Mike Leeder geführt und hier zu einem Interview mit Richard Harrison, wo die Existenz von Joseph Lai ebenfalls bestätigt wird.
 
P.P.S. An dieser Stelle wird behauptet, ich hätte etwas gegen Italowestern. Dem muss ich scharf widersprechen. In Italowestern könnte ich mich reinlegen. Die haben mich auf die Droge Film gebracht. :)

Freitag, 9. November 2012

Der Fan


BR Deutschland 1981
Regie: Eckhart Schmidt

Mit dem Dekadenwechsel der 70er auf die 80er Jahre war in Deutschland (sowie überhaupt in vielen westlichen Industrienationen) ein Wunsch nach Veränderung verbunden. Gesellschaftlich wie auch in der Populärkultur. Im Kino war dies besonders durch eine neue (bedingt neu, da eigentlich nur eine Farb- und Neonvariante des film noir) "Verästhetisierung" der gerade erst erzwungenen Realität erkennbar. Eckhart Schmidt, früherer Filmkritiker der SZ, wollte sowohl dem deutschen Kino der Greise, als auch dem "Neuen Deutschen Film", der einst angetreten war gegen eben dieses Greisenkino, aber inzwischen völlig institutionalisiert war, den Kampf ansagen. Passend zur NDW in der Pop-Musik sollte es zur "Neuen Welle" im Kino kommen. Eine Welle, welche die innere Abgestumpftheit durch den Konsumapparat, die zunehmende Unlust zu politischer Revolution, die Abgestorbenheit jeglicher Gefühle beinhalten sollte. Ein neues Lebensgefühl also, welches von Destruktion, einer vor die Hunde gehenden Gesellschaft und dem ständigen Erwarten der Apokalypse geprägt war.

In DER FAN, seinem ersten Feature-Film seit 12 Jahren, beschäftigt sich Eckhart Schmidt nun mit sich selbst bedingenden Regressionswünschen. Eine Ankoppelung an die Gesellschaft ist nicht mehr gewünscht. Die orale Phase soll ungehindert ausgelebt werden. Fast schon überzogen - so sah es zumindest die Kritik damals - ist der Film vollgestopft mit seinen gewollt psychoanalytischen Bedeutungsebenen, inszenatorisch ordentlich dick aufgetragen im Stile von Schmidts Lieblingsregisseur Douglas Sirk.

Die 16-jährige Simone ist eine fan-atische Anhängerin von "R", einem neuen Popstar, der gerade die Charts erobert. Er singt vom Augenblick, vom Moment, den er genießen will und damit ist er kein Lügner. Simone schwänzt die Schule, wartet jeden Tag vergeblich auf einen Brief von "R", schreibt ihm regelmäßig Fan-Briefe, dreht sich in ihren vertonten Gedanken permanent um ihn. Schließlich reißt sie von zu Hause aus und macht sich auf den Weg nach München, wo "R" ein neues Video aufnimmt. Sie entgeht lüsternen Spießbürgern, die sie abficken wollen, pennt im Park und wird schließlich von "R" wahrgenommen als er Autogramme gibt. Wie gesagt, "R" ist kein Lügner. Für ihn, einem in deutschen Kultobjekten erstarrten Roboter, zählt wirklich nur der Augenblick. Nachdem er Simone entjungfert hat, wirft er sie weg.

---- Spoiler ----

Dies lässt Simone sich nicht gefallen. Das von außen völlig apathische Mädchen zeigt seine einzige erkennbare natürliche Emotion als sie begreift, was "R" mit ihr tut: Sie schreit! Dann nimmt sie eine Statue und tötet "R". Danach zersägt sie ihn in seine Einzelteile, kocht und isst ihn und zermahlt die Knochen zu Mehl, welches sie in einem Ritual an dem Punkt verstreut, wo sie und "R" sich zum ersten Mal begegnet sind. Dann geht sie nach Hause und ist glücklich, "R" endlich ganz für und in sich zu haben. Sie wurde in dieser Nacht geschwängert, sie freut sich auf das Kind, sie wird ihn gebären.

---- Spoiler ----

Schwierig über den Film zu sprechen, wenn man das Ende nicht verraten darf. Es geht um die totale Verschlingung. Das erste sexuelle Bedürfnis, welches ein Mensch kennt, wenn er geboren wurde. Er will verschlingen, kannibalistisch, sich selbst, andere. Da in diesem Abschnitt noch keine Trennung zwischen Innen und Außen gemacht wird, da der Mensch sich solipsistisch als universelle Existenz begreift, führt dies in seiner Erfüllung zur vollständigen Destruktion bei gleichzeitiger Erfüllung aller Wünsche. Ein logischerweise nicht zu erfüllendes Unterfangen, weshalb die Zerstörung des in sich aufzunehmenden Objekts nicht Befriedigung auf Dauer sein kann. Jedoch gilt ein derartiges Konzept i.d.R. für Männer, da es keine weiblichen Serienkiller aus sexuell fetischisierten Motiven gibt. Das ist deshalb faszinierend, da Männer, unfähig zu gebären, ihren Fetisch immer wieder neu ersetzen müssen, deshalb weiter töten. Aber was macht Simone? Sie hat einen Ersatz, den zu Töten in eine Dissoziation führen würde: ihr eigenes Kind. Die Faszination dieser Überlegung ergibt sich aus dem Konflikt zwischen Mutterinstinkt und Libido. Würde Simone dem Eros der oralen Befriedigung ungehindert nachgeben, würde sie ihr eigenes Kind essen müssen. Vorher müsste sie sich aber von ihm schwängern lassen, damit sie das regressive Perpetuum Mobile weiter am Laufen erhalten kann. Sollte es ein Mädchen werden, könnte sie nur ihre Obsession "weiterschenken".

Inszenatorisch ist hier vieles doch recht steif. Schmidt meint es zu gut mit den Sirk-Elementen und der psychoanalytischen Überfrachtung, doch sind dies m.E. kritische Krümmelkackerelemente, da wir heute mehr denn je solche Filme brauchen. Vor allem, weil hier ein schöner Brückenschlag erkennbar ist auf der intellektuellen Schiene des "Neuen Deutschen Films", sowie dem in Deutschland zu dieser Zeit toten Genrekino aufzubauen. Fernab von Bernd-Eichinger-Schrott wurde hier ein Weg eingeschlagen, der, schon aufgrund der inszenatorischen Unzulänglichkeiten, einen Punkt "0" darstellt. Eckhart Schmidt, die "Stunde Null" im deutschen Kino? Wohl nicht, aber ein gelungener Einstand. Dazu das Titellied von Rheingold:

Mittwoch, 7. November 2012

Der Pfarrer von St. Pauli

BR DEUTSCHLAND 1970
Regie: Rolf Olsen
 
 
In den Filmen Rolf Olsens geht es formal wie inhaltlich um das Aufeinandertreffen der Gegensätze. Bereits in seinen Frühwerken arbeitet er mit dem Aufeinanderprallen der Geschlechter, wenn Männer in Frauenfummeln Verwirrung stiften, lässt er die klassischen bürgerlichen Werte, die er oft als bigott und verlogen entlarvt, auf moderne Erscheinungen treffen, die sich die Sporen in der Gesellschaft als bleibend erst noch erkämpfen müssen. Er lässt es einen Deutschen, der eben dieses Aufeinandertreffen in sich personifizierte, in seinem Film DAS KANN DOCH UNSREN WILLI NICHT ERSCHÜTTERN erklären. Heinz Erhardt (Dichter und Genie) landet mit seiner Familie in Italien -  allein dieses Aufeinanderprallen zwischen den Deutschen und ihren Gastarbeitern der ersten Stunde behandelt Olsen immer wieder – nur sind die Deutschen diesmal im Gegenland und verfahren nach dem Motto: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Deutschen die im Ausland sind. Nachdem man den, wie im Film benannt, „ersten deutschen Gastarbeiter in Italien zurücklässt“ versichert uns Erhardt noch coram publico, dass man „im Vertrauen“ eigentlich nur was zum Lachen zeigen wollte, denn mehr kann es nicht sein. Und sollte das gelungen sein, dann „kann man ja auch wieder abhauen“.
 
Sehr deutlich fand Rolf Olsen das Aufeinandertreffen dieser Gegensätze in der Bigotterie auf St. Pauli. Diesem Thema widmete er sich in diversen Filmen und griff dabei immer wieder auf den „normannischen Kleiderschrank“ zurück, jene Menschmaschine, die nur so vor Kraft strotzte (nicht unbedingt vor schauspielerischem Talent) die sogar Orson Welles in FÄHRE NACH HONGKONG ganz klein wirken ließ. Daran konnte sich der bundesdeutsche Normalverbraucher festhalten, wenn es durch dunkle Kaschemmen, über dreckige Straßen und an den Zuhältern und Nutten vorbeiging.
 
In DER PFARRER VON ST. PAULI geht es aber nicht nur um das Aufeinanderprallen der Gegensätze, auch wenn der Zuschauer gleich zu Beginn des Filmes damit bombardiert wird. Erst sehen wir noch das offene Meer, eine Datumsanzeige erklärt uns, dass es im Monat der Kapitulation der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ist. Schnitt, wir sind in der Enge eines U-Bootes. Der Maschinenraum steht bereits unter Wasser. Dutzende sind schon gestorben. Ein Mann dreht durch und muss überwältigt werden. Die rote Notbeleuchtung wird eingeschaltet. Das U-Boot sinkt. Allein hier wird bereits eine Verdichtung deutlich gemacht, die, ähnlich den Figuren, die Luft zum Atmen raubt. Das U-Boot sinkt, das Licht ist rot, die Männer starren stumpf vor sich hin und sinken immer tiefer auf den Meeresboden. Draußen ein Wasserdruck, der jeden menschlichen Körper binnen Sekunden zerquetschen würde. Einer fängt an, das Vater-Unser zu beten und die anderen fallen mechanisch ein. Der Beginn des Films führt uns ein Ende vor. Nur einer betet ein eigenes Gebet. Tritt direkt mit Gott in Kontakt, nahezu kongenial. Ist bereit, dem Schöpfer des Universums, wie er ihn nennt, einen Gefallen zu tun, wenn dieser die Jungs rettet. Gläubig will er werden und beweisen will er dies, indem er Pfaffe wird. Kaum den Schwur dies zu erfüllen gesprochen, schreit einer auf. Die Amis sind über ihnen, sie haben sie bemerkt, sie holen sie hoch.
 
Nach dieser Kriegsepisode sind wir schlagartig in der Gegenwart angekommen. Konrad Johannsen hat sein Versprechen wahr gemacht. Als lebendes Totem stolziert er über die Reeperbahn und grüßt die Schafe seiner Gemeinde. Egal, ob weiß oder schwarz. Kaum spielt sich die Verdichtung der eigens für den Film komponierten Musik und einem zünftigen Halleluja in der Kirche gesungen zu einem crescendo hoch, da folgt die dritte Klatsche. Nach der Kriegsrealität eines früheren Deutschlands landen wir im Jahr 1970 bei einem Mann, der den Glauben vertreten möchte und nach diesem eher rationalen Zeitsprung lässt Olsen den Zeitsprung auch emotional erfahrbar werden, wenn wir plötzlich ein ausgehagertes H-Girl oben ohne im Drogenrausch tanzen sehen. Eine Hippie-Kommune ist in die Gemeinde gezogen und lässt es ordentlich krachen. Auch wenn Pfarrer Johannsen diese Werte suspekt sind, so begrüßt er auch diese Schäfchen. Im Folgenden verwickelt Olsen unseren Pfarrer in eine Geschichte um einen getöteten Italiener, der für deutsche Gangster die Schmutzarbeit erledigt hat. An der Spitze dieses Syndikats steht ein deutscher Geschäftsmann angesehenster Kajüte. Doch all diese Dinge sind weniger als Krimihandlung interessant, sondern mehr als entscheidender Prüfstein für den katholischen Pfarrer Johannsen. Der Italiener hat ihm nämlich alles gebeichtet, doch das Beichtgeheimnis verbietet ihm etwas auszuplaudern. Das stürzt ihn in schwere Gewissenskonflikte. Er sucht Trost bei seinen Vorgesetzten, aber die speisen ihn nur mit Binsenweisheiten ab. So gerät er mit einer entscheidenden katholischen Tradition aneinander. Nach einer Intrige muss er auf eine ostfriesische Insel und gerät an die Bigotterie der protestantischen Inselbewohner, sowie mit einer weiteren katholischen Tradition aneinander: dem Zölibat. Er verliebt sich in die deutlich jüngere Dagmar. In die ist aber ein Fischer im Dorf verliebt.
 
Was soll ich sagen? Alles fügt sich zum Besten. Pfarrer Johannsen erwirbt sich den Respekt der Dorfbewohner, weil er zwei ihrer Fischer bei schwerem Seegang rettet, er bringt Dagmar und ihren Verehrer unter die Haube, er füllt die Kirche seiner Diaspora mit ergebenen Schäfchen, er kombiniert den Fall mal eben so zusammen und überführt den Oberverbrecher im Alleingang und schließlich bringt er alle weißen und schwarzen Schäfchen unter einem Kirchendach zusammen. Das Hamburger Original Heinz Reincke verweist coram publico, ähnlich wie Heinz Erhardt, darauf, wie schön dass doch alles ist.
 
Selten hat ein deutscher Regisseur so unverhohlen John Ford auf seine Weise zusammengeprügelt wie hier. Rolf Olsen beherrschte das moderne deutsche Genrekino nach dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein anderer. Sein Geheimnis lag in der Montage und den dissoziierenden Dialogen. Nur bedingt in seiner verkanteten Kadrage. Die hat natürlich die entsprechende Unterstützung geliefert, die uns Deutschland als den verzerrten Raum wahrnehmen ließ, der schon immer zwischen gelogener Freiheit und gewünschter Kontrollsicherheit oszillierte. Die nächste Stufe erfüllte er mit BLUTIGER FREITAG und da danach der Raum in Deutschland innerhalb des Exploitationkinos nicht mehr zu erweitern war, ging er gen Asien, wo er sich dem Mondo-Genre zuwandte. Eine Konsequenz, die in ihrer bedingungslosen Logik zu bewundern ist.


Sonntag, 4. November 2012

Lieber Bruno,

Du wolltest doch warten. Das hattest Du mir fest versprochen. Wir hatten doch vereinbart, dass wir uns erst noch mal im realen Leben begegnen und uns umarmen, bevor Du in die Endwelt gehst. Wir wollten uns wenigstens einmal berührt haben, um uns zu versichern, dass der Andere wirklich existiert. Und jetzt hast Du Dich doch schon aus dem Staub gemacht, um zu selbigem zu werden. Das ist nicht fair. Jetzt lässt Du uns hier zurück und wir können Dich mental nicht sterben lassen. Jetzt hast Du es geschafft ein über den Dingen stehendes Prinzip zu werden. Unauslöschlich bist Du jetzt ein Bestandteil jedes Blogs, in dem Du Dich je verewigt hast. Fast so, als wenn Du jetzt ein Gott wärst, aber vielleicht doch eher ein Geist. Ja, ein Geist, ich denke, das wäre Dir lieber gewesen. Dein Kichern über uns, die in der Gegenwelt mit ihrem Blödsinn beschäftigt sind, käme dadurch besser zur Geltung. Du bist eher der Kicherer gewesen, keine Gottheit, die lauthals lacht. Den Anilingus hast Du so gemocht und hast ihn Dir nach Deiner Erkrankung verkniffen. 20 Jahre kein Sex, Film war Dein einziges Kompensationsmittel. Du gehörtest zu jenen Schwulen, die sich Ende der 80er, Anfang der 90er angesteckt haben. Die den Umbruch genau miterlebt haben. Ein lebendes Zeitdokument, ein Stück Geschichte und das schon zu Lebzeiten. Du hast Geschichte erlebt und Du hast sie selbst geprägt. Bedauerlich, dass wir uns nicht früher kennen gelernt haben, vielleicht wären wir ein Paar geworden? Bedauerlich, dass Deine geliebte Splatter-Mutti nun allein zurück bleibt. Aber Du hattest schon lange Deine Reisevorbereitungen geplant gehabt. Ich poste Dir zu Ehren vier Lieder. Zwei, die eine Verbindung zwischen uns bedeuten, da wir über sie sprachen und sie via Internet gemeinsam hörten und zwei neue, die ich Dir eigentlich noch schicken wollte. Du weißt ja, wie sehr ich auf den 80er-Kitsch stehe...








Requiescat in pace