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Mittwoch, 25. Mai 2011

Geschlechteridentität


Nachdem ihr Vater und ihr Bruder bei einem grausamen Bootsunfall ums Leben gekommen sind, wächst die kleine Angela bei ihrer schusseligen Tante und ihrem gleichaltrigem Cousin Ricky auf. Angela, damals kaum 6 Jahre alt, ist inzwischen 14, sehr schüchtern und hat eine Aversion gegenüber Wasser entwickelt. In Kooperation mit der Schule sollen die Kinder im Sommer in ein Ferienlager geschickt werden, einem Lager, dem nicht unähnlich, in dem Angelas Vater und Bruder ums Leben kamen. Dort angekommen ist Angela dann diversen Hänseleien der anderen Mädchen ausgesetzt, da sie sich an der Gruppe nicht beteiligt und der frühreifen Meg, die schon die 16-/17-Jährigen für sich zum Tanzen bringt, ein Dorn im Auge ist. Als dem Koch des Camps, der beim Einmarsch der Mädchen noch stolz sein Motto verkündet "Je enger desto besser", ein 100-Liter-Eimer kochender Suppe über den Körper kippt, glauben alle noch an einen tragischen Unfall, doch der nächste Tote lässt nicht auf sich warten.
Der Film ist ein ganz wundervolles Kleinod in dem ansonsten eher mediokren Sumpf der Slasherfilme, die zu diesem Zeitpunkt (noch) entstanden. Er bricht, als wäre es gar nichts, die kolportierte Mär vom reaktionären Killer, der sexuellem und anderweitig deviantem Verhalten ein Ende bereiten möchte*, auf und stopft den Film voll mit Kodierungen und Doppelkodierungen über Genderfragen, sexuelle Entwicklung in der Kindheit und Pubertät und den gewalttätigen Backlash, der sich als Frustration über die Dissoziation mit der Umwelt und ihrer Unfähigkeit zur reflexiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Sexualität ergibt. Die Vielschichtigkeit des Films besticht durch Aspekte, wie sie sich auch heutzutage im Verhalten von Teenagern noch, oder vielleicht erst recht, zuhauf finden lassen. Verbale Kraftmeierei, ungefilterte Aggression mit permanenten Morddrohungen und adoleszenter Rücksichtslosigkeit. Dass die Darsteller der Kinder und Jugendlichen hier dann, wie man es sonst selten sieht, auch das Alter ihrer Figuren haben, steigert noch den Effekt in die Parallelwelt von Teenagern eingeführt zu werden. So sind dies und die Sexualdiskurse des Films auch die bestechendsten Merkmale. Inszenatorisch dümpelt Hiltziks Film nämlich im üblichen Slasher-Segment umher von Point-of-View-Kamera und dramaturgischen Leerstellen, wobei manche Mordtaten einen gewissen Einfallsreichtum erkennen lassen, werden sie doch, so viel darf verraten werden, von einem Kind ausgeführt. Die Schlusspointe ist dann nicht nur eine solche, sondern verleiht allem Gesehenen die zweite Ebene und erfüllt damit über Gebühr die Funktion eines Plot Twists, der, anders als es in den meisten der sogenannten Mind-Fuck-Movies gemacht wird, uns nicht nur mit der Ätschi-Bätschi-Mentalität klar macht, dass wir 2 Stunden lang verarscht wurden.


* Dass diese Metaebene allen Machern eines Slashers mit so großer Selbstverständlichkeit zugeschrieben wird und vom eigentlichen Film heute nicht mehr zu trennen ist, ist sowieso ein medientheoretisches Kuriosum.

7 Kommentare:

  1. Zustimmung zur Sternchenanmerkung.

    Ansonsten große Begriffe ("Diskurs") für einen doch eher kleinen Film, der es Dank seines fassungslos machenden, hysterischen transgender-Finals zu einem gewissen Ruhm gebracht hat. Das hemmungslose Auskosten bewährter Ängste vor allem, das anders, einzigartig (!) oder nicht noirmativ ist, macht den Film für mich zum typischen Exempel leichtfertiger Schürung oder zumindest Bestätigung von Ressentiments innerhalb des Slashers, aber er fasziniert mich gleichermaßen wie er mich (ideologisch) abstößt. Bin bei Slasherfilmen aber dickhäutig wie nichts.

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  2. Ich sehe das anders. Dass der Film hemmungslos Ängste auskosten würde beinhaltet ja den Glauben zu wissen, wovor das Publikum Angst hat und das es dann mit diesen Ängsten nicht umgehen könne. Da steckt zu sehr die Überlegung drin das Publikum vor sich selbst schützen zu müssen, weil der böse Film mit ihm macht was er will und die Leute dir Manipulation nicht durchschauen. Die Nutzung einer "Auf-den-Kopf-Stellung" der Geschlechtererwartungshaltung sehe ich eher als ein dichotomes Spiel der Überlegungen und Empfindungen, die sich nun mal soziologisch verändern, wenn ein Junge wie ein Mädchen aufgezogen wird. Man ist am Ende doch von Angela nicht zwangsläufig abgestoßen, im Gegenteil: Man erkennt wie schrecklich es ist in ein normatives System gepresst zu werden. Für mich ist der Film ein Schrei nach geschlechtlich freiheitlicher Entwicklung. Dass sie entgegengesetzt zu ihrem Geschlecht aufgezogen wird, ist doch ein Beleg dafür, dass eine Normierung Unheil bringt. Wie spielerisch Angela und ihr Bruder schon im Kindesalter mit den Geschlechtern umgegangen sind, wird doch an der homosexuellen Beziehung des Vaters deutlich, die nicht bloßgestellt wird, die Kinder ihren Vater und seinen Geliebten beim innigen Sex beobachten und anschließend lachend mit den Identitäten spielen. Erst als Angelas überkandidelte Tante Angela in eine Klischeevorstellung von Geschlechterzugehörigkeit presst, gehen die Probleme los. Als der pädophile Koch Angela vergewaltigen will, werden sie ausgelöst. Die ständig fluchenden und ordinären anderen Jugendlichen. Die schön an den Prinzipien der Norm festhaltende "bitch" Meg, die mit ihrem gehässigen Verhalten Angelas Beziehung zu einem Jungen kaputt macht, mit dem sie sich sogar vorher geküsst hat. Ich bitte Dich, wo wird denn da die Gesellschaft als gut in ihrem Normierungswillen dargestellt. Die sind an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten. Angelas Verhalten ist der überfällige Aufschrei. Ihr/Sein archaisches Schlussbild mit der Axt, nackt, voller Blut, der Hermaphrodit, welcher der Gesellschaft zeigt, wie weit sie das Individuum durch Intoleranz treiben kann.

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  3. Ja, das mag alles richtig sein, habe den Film seit 10 Jahren nicht mehr gesehen. Damals dachte ich jedenfalls, Transsexuelle seien Mörder. Was ja auch nicht abwegig ist, da Angela ja zum Transvestismus genötigt wurde. Daran würde ich aber höchstens eine Kritik an falscher bürgerlicher Erziehung festmachen, keine an einem etwaigen Normierungswillen (seit wann ist es normativ, einen Jungen als Mädchen aufzuziehen?). Die Erklärung, Angelas Mordtaten resultierten aus einer sexuellen Unterdrückung heraus, versteht sich von selbst (Genrekonsens), so und anders werden ja auch Machwerke wie CRUISING revidiert.

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  4. Die Normierung besteht darin, dass Angelas Tante ihr vorschreibt welchem Geschlecht sie sich zugehörig zu fühlen hat, obwohl es in diesem Fall sogar biologisch entgegengesetzt ist. Sie bzw. er soll sich bitte wie ein Mädchen verhalten bzw. so, wie man es von Mädchen erwartet. Die falsche Bürgerlichkeit dahinter ist ja der kulturelle und soziologische, also oberflächlichere Aspekt am menschlichen Zusammenleben. Der tiefer dahinter liegende ist der logische, dass eine Normierung auch dann eine Normierung ist, wenn sie gegen moralische Werte eines gesellschaftlichen Systems verstößt o.ä. Zwangsvorstellungen.

    Die Erklärung, dass Angelas Mordtaten aus sexueller Unterdrückung heraus entstehen, sehe ich nicht aus der Sicht des Genrekonsens, sondern werkimmanent. Klar spielt das im Genre eine Rolle, aber ich sehe das nicht top-down, Ich knall meine ideologische Sicht drauf, sondern bottom-up, Ich analysiere jedes Einzelsegment des besprochenen Werkes. Ansonsten wäre dass die nivellierende Gleichmacherei Werke auf strukturelle Aspekte zu reduzieren, um seiner eigenen Komplexitätsreduktion Vorschub zu leisten. Außerdem steht jeder Mord in Verbindung mit unterdrückter Sexualität. Hätten wir eine sexuell aufgeklärtere Gesellschaft, gäbe es auch weniger Gewaltverbrechen. Auf eine so altbackene Vorstellung, dass der Transsexuelle ein Mörder ist, weil er transsexuell ist, kommt man doch nur, wenn man selbst noch in solchen Klischees denkt bzw. annimmt, dass die Gesellschaft dass glaubt.

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  5. Schon klar, aber als 15jähriger denkt man das eben. Das Zielpublikum von Slashern sind Teenager, nicht aufgeklärte Intellektualmonster wie Du. :D

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  6. Wenn schon, dann intellektueller Prolet.;)

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