Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 7. November 2012

Der Pfarrer von St. Pauli

BR DEUTSCHLAND 1970
Regie: Rolf Olsen
 
 
In den Filmen Rolf Olsens geht es formal wie inhaltlich um das Aufeinandertreffen der Gegensätze. Bereits in seinen Frühwerken arbeitet er mit dem Aufeinanderprallen der Geschlechter, wenn Männer in Frauenfummeln Verwirrung stiften, lässt er die klassischen bürgerlichen Werte, die er oft als bigott und verlogen entlarvt, auf moderne Erscheinungen treffen, die sich die Sporen in der Gesellschaft als bleibend erst noch erkämpfen müssen. Er lässt es einen Deutschen, der eben dieses Aufeinandertreffen in sich personifizierte, in seinem Film DAS KANN DOCH UNSREN WILLI NICHT ERSCHÜTTERN erklären. Heinz Erhardt (Dichter und Genie) landet mit seiner Familie in Italien -  allein dieses Aufeinanderprallen zwischen den Deutschen und ihren Gastarbeitern der ersten Stunde behandelt Olsen immer wieder – nur sind die Deutschen diesmal im Gegenland und verfahren nach dem Motto: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Deutschen die im Ausland sind. Nachdem man den, wie im Film benannt, „ersten deutschen Gastarbeiter in Italien zurücklässt“ versichert uns Erhardt noch coram publico, dass man „im Vertrauen“ eigentlich nur was zum Lachen zeigen wollte, denn mehr kann es nicht sein. Und sollte das gelungen sein, dann „kann man ja auch wieder abhauen“.
 
Sehr deutlich fand Rolf Olsen das Aufeinandertreffen dieser Gegensätze in der Bigotterie auf St. Pauli. Diesem Thema widmete er sich in diversen Filmen und griff dabei immer wieder auf den „normannischen Kleiderschrank“ zurück, jene Menschmaschine, die nur so vor Kraft strotzte (nicht unbedingt vor schauspielerischem Talent) die sogar Orson Welles in FÄHRE NACH HONGKONG ganz klein wirken ließ. Daran konnte sich der bundesdeutsche Normalverbraucher festhalten, wenn es durch dunkle Kaschemmen, über dreckige Straßen und an den Zuhältern und Nutten vorbeiging.
 
In DER PFARRER VON ST. PAULI geht es aber nicht nur um das Aufeinanderprallen der Gegensätze, auch wenn der Zuschauer gleich zu Beginn des Filmes damit bombardiert wird. Erst sehen wir noch das offene Meer, eine Datumsanzeige erklärt uns, dass es im Monat der Kapitulation der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ist. Schnitt, wir sind in der Enge eines U-Bootes. Der Maschinenraum steht bereits unter Wasser. Dutzende sind schon gestorben. Ein Mann dreht durch und muss überwältigt werden. Die rote Notbeleuchtung wird eingeschaltet. Das U-Boot sinkt. Allein hier wird bereits eine Verdichtung deutlich gemacht, die, ähnlich den Figuren, die Luft zum Atmen raubt. Das U-Boot sinkt, das Licht ist rot, die Männer starren stumpf vor sich hin und sinken immer tiefer auf den Meeresboden. Draußen ein Wasserdruck, der jeden menschlichen Körper binnen Sekunden zerquetschen würde. Einer fängt an, das Vater-Unser zu beten und die anderen fallen mechanisch ein. Der Beginn des Films führt uns ein Ende vor. Nur einer betet ein eigenes Gebet. Tritt direkt mit Gott in Kontakt, nahezu kongenial. Ist bereit, dem Schöpfer des Universums, wie er ihn nennt, einen Gefallen zu tun, wenn dieser die Jungs rettet. Gläubig will er werden und beweisen will er dies, indem er Pfaffe wird. Kaum den Schwur dies zu erfüllen gesprochen, schreit einer auf. Die Amis sind über ihnen, sie haben sie bemerkt, sie holen sie hoch.
 
Nach dieser Kriegsepisode sind wir schlagartig in der Gegenwart angekommen. Konrad Johannsen hat sein Versprechen wahr gemacht. Als lebendes Totem stolziert er über die Reeperbahn und grüßt die Schafe seiner Gemeinde. Egal, ob weiß oder schwarz. Kaum spielt sich die Verdichtung der eigens für den Film komponierten Musik und einem zünftigen Halleluja in der Kirche gesungen zu einem crescendo hoch, da folgt die dritte Klatsche. Nach der Kriegsrealität eines früheren Deutschlands landen wir im Jahr 1970 bei einem Mann, der den Glauben vertreten möchte und nach diesem eher rationalen Zeitsprung lässt Olsen den Zeitsprung auch emotional erfahrbar werden, wenn wir plötzlich ein ausgehagertes H-Girl oben ohne im Drogenrausch tanzen sehen. Eine Hippie-Kommune ist in die Gemeinde gezogen und lässt es ordentlich krachen. Auch wenn Pfarrer Johannsen diese Werte suspekt sind, so begrüßt er auch diese Schäfchen. Im Folgenden verwickelt Olsen unseren Pfarrer in eine Geschichte um einen getöteten Italiener, der für deutsche Gangster die Schmutzarbeit erledigt hat. An der Spitze dieses Syndikats steht ein deutscher Geschäftsmann angesehenster Kajüte. Doch all diese Dinge sind weniger als Krimihandlung interessant, sondern mehr als entscheidender Prüfstein für den katholischen Pfarrer Johannsen. Der Italiener hat ihm nämlich alles gebeichtet, doch das Beichtgeheimnis verbietet ihm etwas auszuplaudern. Das stürzt ihn in schwere Gewissenskonflikte. Er sucht Trost bei seinen Vorgesetzten, aber die speisen ihn nur mit Binsenweisheiten ab. So gerät er mit einer entscheidenden katholischen Tradition aneinander. Nach einer Intrige muss er auf eine ostfriesische Insel und gerät an die Bigotterie der protestantischen Inselbewohner, sowie mit einer weiteren katholischen Tradition aneinander: dem Zölibat. Er verliebt sich in die deutlich jüngere Dagmar. In die ist aber ein Fischer im Dorf verliebt.
 
Was soll ich sagen? Alles fügt sich zum Besten. Pfarrer Johannsen erwirbt sich den Respekt der Dorfbewohner, weil er zwei ihrer Fischer bei schwerem Seegang rettet, er bringt Dagmar und ihren Verehrer unter die Haube, er füllt die Kirche seiner Diaspora mit ergebenen Schäfchen, er kombiniert den Fall mal eben so zusammen und überführt den Oberverbrecher im Alleingang und schließlich bringt er alle weißen und schwarzen Schäfchen unter einem Kirchendach zusammen. Das Hamburger Original Heinz Reincke verweist coram publico, ähnlich wie Heinz Erhardt, darauf, wie schön dass doch alles ist.
 
Selten hat ein deutscher Regisseur so unverhohlen John Ford auf seine Weise zusammengeprügelt wie hier. Rolf Olsen beherrschte das moderne deutsche Genrekino nach dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein anderer. Sein Geheimnis lag in der Montage und den dissoziierenden Dialogen. Nur bedingt in seiner verkanteten Kadrage. Die hat natürlich die entsprechende Unterstützung geliefert, die uns Deutschland als den verzerrten Raum wahrnehmen ließ, der schon immer zwischen gelogener Freiheit und gewünschter Kontrollsicherheit oszillierte. Die nächste Stufe erfüllte er mit BLUTIGER FREITAG und da danach der Raum in Deutschland innerhalb des Exploitationkinos nicht mehr zu erweitern war, ging er gen Asien, wo er sich dem Mondo-Genre zuwandte. Eine Konsequenz, die in ihrer bedingungslosen Logik zu bewundern ist.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen