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Mittwoch, 9. Februar 2011

Hitchcock-Reihe

Zurzeit haben wir diverse Reihen von Meisterregisseuren am Laufen und mit Alfred Hitchcock stehen wir noch ziemlich am Anfang. Heute steht sein dritter Thriller auf der Karte, der dramaturgisch allerdings als Whodunit konzipiert ist:


London bei Nacht, eine x-beliebige Straße. Ein Schrei, ein Klopfen und eine rasende Kamera an einer Häuserfont entlang: ein Mord! Die junge Schauspielerin Diana Baring sitzt apathisch vor der Leiche, der blutige Schürhaken neben ihr und der Raum füllt sich mit immer mehr Zeugen. Für die Polizei ist der Fall klar und vor Gericht weigert sich Diana konkrete Angaben zu dem geheimnisvollen Mann zu machen, der noch mit im Zimmer war. Sie räumt ein, dass sie durchaus den Mord an der ihr unsympathischen Schauspielkollegin begangen haben könnte, aber wenn, dann erinnere sie sich an nichts. Für die Geschworenen ist der Fall nach einiger Diskussion geklärt: schuldig! Nur Sir John Menier ist anderer Meinung, doch die Gruppe setzt ihm derart zu, dass er einlenkt. Diana erwartet nun die Todesstrafe und Sir John plagt das schlechte Gewissen, glaubt er doch an ihre Unschuld. Ist seine kurze Schwäche gegenüber den Geschworenen ein Menschenleben wert? Er ermittelt auf eigene Faust.

Katatonische Konfrontationen
 Wie in nahezu allen Hitchcock-Filmen lässt sich auch in diesem Frühwerk bereits alles finden, was seine Handschrift inszenatorisch, thematisch und motivisch ausmacht. Mit einigen schwindelerregenden Kamerafahrten rast er zu Beginn umher und schafft durch kurz geschnittene Einzelbilder sofort eine Vorstellung von (inhaltlichen) Räumen. Auch lässt er den Dialog eng aneinander sprechen, so dass man schon fast den Eindruck von Überlappungen bekommen könnte. Diese enge Aneinanderdrängung durch Schnitt und Ton sorgt dafür am Anfang regelrecht überrumpelt zu werden. Man hat noch gar nicht richtig begriffen was denn nun passiert sein soll, da befinden wir uns bereits im Gerichtssaal. Hitchcock schneidet dann zwischen Anklage, Verteidigung und Richterbank hin und her und montiert dazwischen die Geschworenen, die dem Ablauf wie einem Tennismatch folgen. Die anschließende Diskussion der Jury nimmt dann Lumets DIE 12 GESCHWORENEN vorweg, nur mit dem schlechteren Ausgang für die Angeklagte. Auch bei dieser Szene wird Hitchcocks Fähigkeit erkennbar, durch Naheinstellungen auf Gesichter und kurzes Gegenschneiden auf Reaktionen eine sofortige Vorstellungswelt sowohl in Bezug auf Handlung als auch innere Handlungsmotivation von Figuren zu generieren. Leider bricht das Ganze nach dem ersten Drittel ein, da die eigentliche Ermittlungstätigkeit von Sir John von Hitchcock mit weit weniger inszenatorischem Esprit versehen wird und er deutlich werden lässt, dass investigatives Zusteuern auf den unbekannten Täter ihn wenig interessiert.




Thematisch haben wir hier ebenfalls die bekannte Palette christlicher, systemischer und sexueller Motive. Die Verlagerung der Schuldfrage wird für den Zuschauer zum metaphysischen Erleben, wenn wir in die Gedankenwelt von Sir John geholt werden durch Vertonung seiner Gedanken (angeblich zum ersten Mal in einem Film). Plötzlich geht es nicht mehr um die Schuld Dianas, sondern um Schuld an sich. Die Koppelung von Details an die Komplexität der Realität gelingt Hitchcock in vielen Einzelszenen, wird aber zum handlungstragenden Element. Wir müssen uns klar machen, dass Sir John, weil er sich von den anderen hat mürbe machen lassen und aus einem Moment von Schwäche - Faulheit geradezu - nachgegeben hat, zum Zünglein an der Waage wurde und plötzlich, für sich wie dem Zuschauer, in einer direkten Kausalverbindung mit Dianas Tod zu stehen scheint. Systemisch wird hier mal wieder dem gesamten Apparat misstraut. Die Polizei ist nur an schneller Aufklärung interessiert und übersieht bzw. möchte die Kompliziertheit des Falles übersehen. Die Justiz salbadert mit großen Gesten. Interessant schließlich Hitchcocks Geschlechterswitchs. Männer sind Frauen, Frauen agieren in einer Männerdomäne (zumindest 1930),

SPOILER:

und die Homosexualität und gemischt-rassige Herkunft des wirklichen Mörders lässt ihn in einer tragischen und anrührenden Selbstmordszene zum Bauernopfer einer intoleranten Gesellschaft werden.

SPOILERENDE

Weibliche Juristen

Männliche Artisten

2 Kommentare:

  1. Jetzt folgt keine späte Revanche für deine Bemerkung zu meinem Lieblingsfilm von Hitch ("Marnie") in einem früheren Leben: Aber ich empfand "Murder!" etwa im Vergleich zu "Blackmail" (1929) und späteren Krimis der 30er eher als langweilig. Bin mir jedoch bis heute nicht sicher, ob es mit den z.T. improvisierten Dialogen zu tun hatte - oder ob mir die "Whodunits" des Meisters grundsätzlich nicht so liegen.

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  2. Ach ja, da hatte ich damals gerade mit dem Psychologie-Studium begonnen (hielt mich also für wissend) und war seit zwei Nächten ohne Schlaf. Da lief mir MARNIE im Nachtprogramm über den Weg und ich bin sehr hart mit ihm ins Gericht gegangen.

    Bezüglich Langeweile: Ja, das ging mir ähnlich. Im eigentlichen Ermittlungsteil inszeniert Hitchcock sehr zurücknehmend, dass es schon fast wie gefilmtes Theater wirkt. Erst am Ende im Zirkus dreht er wieder auf. Obwohl Hitch sich mit dem Endresultat nicht zufrieden gezeigt hat, u.a. wegen des mangelnden Rhythmus der improvisierten Dialoge, war er aber sehr begeistert beim Dreh, weil er zum ersten Mal sehr viel mit dem Ton ausprobiert hat.

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