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Sonntag, 5. Juni 2011

Ford-Reihe: Mythenpoesie

Ikonisierung des Blicks
Dichtung und Wahrheit, in John Fords zweitem Tonfilm-Western treffen sie so eklatant aufeinander wie in keinem seiner anderen Western. Als wolle er dies von der ersten Einstellung an sichtbar machen, wird derart krass mit einer Hell-/Dunkel-Beleuchtung und manch verkanteter Einstellung gearbeitet, dass schon gleich zu Beginn der Eindruck entsteht, ein episches Gemälde über eine der vielen Geschichten des Wilden Westens habe sich in Bewegung gesetzt.

Der Mensch wird selbst Monument

Die historische Geschichte der Schießerei am O.K. Corral behandelt auch schon in ihrem Grundkonzept das Aufeinandertreffen einer überalteten Zeit, die weichen muss für die neue, die den Fortschritt mitbringt, bzw. wurde nicht zuletzt durch Earps Biographie und Fords Film dazu gemacht. Die Brüder Wyatt, Virgil, Morgan und James Earp möchten eine Rinderherde nach Kalifornien treiben, um sich dann zur Ruhe zu setzen. In der Nähe der Stadt Tombstone wollen sie rasten und treffen gleich zu Beginn auf den alten Clanton und einen seiner Söhne. Sie möchten den Earps die Herde unter Wert abkaufen, was diese ablehnen. Wyatt, Virgil und Morgan reiten daraufhin nach Tombstone und lassen das Nesthäkchen James zur Bewachung der Rinder zurück. Tombstone ist ein wüstes Pflaster und Wyatt sorgt recht schnell für Ordnung, als ein betrunkener Indianer im Saloon wütet. Wyatt Earp kommt zu dem Schluss, dass Tombstone wirklich eine verkommene Stadt sein muss, wenn man hier Indianern ungehindert Alkohol zu trinken gibt (wieder mal eine von Fords unbemerkten Spitzen gegen die Methoden des "Weißen Mannes"), lehnt aber das ihm eifrig angetragene Amt des Marshalls ab. Als die Earps bei ihrer Herde eintreffen, sind die Viecher gestohlen und James ist tot. Jetzt wird Wyatt klar, dass er doch etwas unternehmen muss. Er nimmt das Amt des Marshalls an, doch muss er sich erst mit einem Mann auseinandersetzen, der der Herrscher in Tombstone im Hintergrund ist: Doc Holliday.
Homoerotische Annäherung durch Blicke und Gesten. Man beachte die Hände

Mit FAUSTRECHT DER PRÄRIE hat John Ford nicht nur ein perfektes Verbindungsstück zwischen dem aufkeimenden seriösen Western, den er 1939 mit RINGO selbst geschaffen bzw. reaktiviert hatte, und den so genannten Edel-Western geschaffen, sondern auch eine weitere formale Veränderung oder gar Steigerung hin zu einem perfekt symmetrischen Stil entwickelt, der sowohl inhaltlich als auch formal um die permanente Ausgleichung bemüht ist. Inwiefern Ford der Shakespeare des amerikanischen Kinos ist, lässt sich bei seiner Nutzung des Dualismusprinzips erkennen. Bei Ford ist die Kamera nie Manipulation, nie einfache Suggestion, wie bei Hitchcock und sie lädt auch nicht zur Identifikation ein. Ford ist der Beobachter, der Protokollant und gleichzeitig der Erzähler, der Schöpfer, dessen führende Hand immer spürbar ist. Schon hier lässt sich also der Dualismus ausmachen und so geht es vom großen künstlerischen Rahmen, über die Ausleuchtung, die Mise-en-scène, bis hin zum kleinsten Element eines Jackenknopfes, der, so geht es aus den Aufzeichnungen die Fords akribische Planung im Vorfeld eines Filmes bestätigen hervor (während er am Set selbst das Prinzip des scheinbaren "Aus-der-Hand-gefilmten" vorgab), seinen genauen Platz im Bildkader hatte, um die Transgression einer jeden Einstellung zu vervollständigen. Der Dualismus wird von Ford dann anhand des permanenten Gegenüberstellens von Licht und Schatten, Hell und Dunkel in das sich bewegende Bild eingearbeitet. Egal, ob so subtil, dass Earps verdunkelnder Bart zu den hellen Wolken kontrastiert wird, oder Earp, nachdem er das Amt des Marshalls bekommen hat, ab da für das Positiv steht, rasiert, adrett und etwas linkisch bemüht (Henry Fonda at its best) gesellschaftlich kultivierte Verhaltensweisen zu imitieren und Doc Holliday, mit dem sich Earp anfreundet, das Negativ ist, schwarze Kleidung trägt, seine Szenen häufig bei Nacht spielen und er von Krankheit gekennzeichnet ist. Der geradezu medientheoretische Umgang mit dem Genre wird hier erreicht, wenn Ford die Insignien solcher aus den 2-Reeler-Western bekannten Kontrastierungen verwendet, um Figuren zu intrusionieren, ohne eine Figurenaufbrechung anzustreben, da seine Figuren nie Typen, nie Genreskills, nie Abziehbilder sind, eine Brechung somit nicht nötig ist. Einen vorzüglichen und hoch amüsanten Kulminationspunkt gibt es diesbezüglich, wenn Wyatt Earp plötzlich Liebeskummer hat, da Clementine Carter, die ehemalige Verlobte Doc Hollidays, eigentlich wegen diesem aus dem Osten angereist ist und Earp unsicher ist, wie er sich ihr gegenüber verhalten soll. Er befragt daraufhin den Wirt des Tombstone-Saloons, der, mit einer so komplexen Frage nach der Liebe betraut, verunsichert schaut und angibt, er wäre solange er sich erinnern kann immer nur ein Wirt gewesen. Die Komik dieser Situation, wenn Klischeefiguren über sich selbst hinaus denken müssen, zeigt inwiefern im Ford-Universum auch noch die kleinste Figur angestrengt wird den Horizont erklimmen zu wollen.

Und so kommt es auch nicht zu dem Aufeinandertreffen der Geschlechter im Stile polternder "Hosen-Frauen" wie Hawks sie uns mit Vorliebe präsentiert, sondern die sexuelle Verschmelzung des Geschlechterdualismuses wird von Ford auch wieder ins mirkroskopische gesteigert, wenn Wyatt Earp Clementine schließlich zum Sonntagsspaziergang führt, stolpernd, eine Imitation des Gentlemans, von dem er sich vorstellt wie er zu sein hat und die kultivierte Clementine aus Boston mit einem permanenten Schmunzeln mehr ihn zum Kirchgang führt, jede seiner ungeschickten Bewegungen ausgleichend. Die Kirche, die nicht mal steht, weil Tombstone erst zu sich finden muss. Archaik wird überwunden durch religiöses Beisammensein. Nicht im kulturell religiösen Sinne, sondern schon im genetischen, im evolutionärem. Das Zusammensein, das Zusammenwirken von Menschen, ist, so oder so, ein feierlicher Moment, bei dem das Gefühl des Höheren entsteht. Egal, ob gemeinsam am Lagerfeuer, in einem spirituell-ideologisch aufgeladenen Gebäude, oder im Ecstasy-Rausch auf einem Rave. Und so ist es dann auch ein Säufer, der grölig die Andacht krakelt, darauf verweisend, das er kein Geistlicher ist, aber das sei wohl nicht so wichtig, wenn die Bürger von Tombstone beginnen wollen zusammenzuarbeiten. Ford, der katholische Ire, der ewige Kommunenjunkie, der die USA im Großen und Tombstone im Kleinen als die ständige Nussschale sieht, in der alle Ethnien zusammenkommen. Brillant gelöst durch immer wiederkehrende Einstellungen von Ureinwohnern, die immer dann, wenn im Vordergrund Dialog gefilmt wird, im Hintergrund als Einheit stehen, fast verwachsen mit der Landschaft. Sie sind das im Hintergrund existierende Totem, zurückgedrängt, aber nie wirklich weg.

Travestie eines Kirchgangs

Earp und Wirt überfordert. Clementine in der Unschärfe

Ureinwohner in der Tiefe des Bildes
Das Freundschaftsverhältnis zwischen Wyatt Earp und Doc Holliday wird von Ford schon zu Beginn mit einem Bruch versehen. Nahezu schweigend werden sie Freunde, erkennen die Seelenverwandtschaft, doch wenn sie dann gemeinsam einen Trinken, bricht Ford mehrmals die Achse, zeigt schon formal durch die tiefliegende Affektdesorientierung des Achsensprungs, dass das Verhältnis der Männer, obwohl sich sofort sympathisch, im tiefsten Inneren einen Riss hat. Als Clementine Carter kommt, zeigt sich auch warum. Sie kennt Holliday noch aus Boston, wo er ein anerkannter Arzt war und eines Tages plötzlich in den Westen verschwand. Der gebildete und gesellschaftlich auch in höchsten Kreisen anerkannte Holliday zog es vor das wilde Land aufzusuchen. In Tombstone schließlich hurt er rum, trinkt und gibt sich einer Travestie als Herrscher hin. Als das örtliche Theater Shakespeare aufführen will, aber der Hauptdarsteller im Suff die Zeilen vergisst, springt Holliday ein, bringt für einen kurzen Moment östliche Hochkultur in den westlichen Saloon und beeindruckt Earp damit zutiefst. Den tatsächlich einzig positiven Ausgang eines Westerns zeigt uns Ford in RINGO. Der Gunfighter und die Hure dürfen, gedeckt von einem gutmütigen Marshall, entkommen. Ringo hat etwas Land und möchte eine Farm betreiben. Ford schenkt ihnen und dem Zuschauer noch die Hoffnung, dass dies funktionieren könnte. In FAUSTRECHT DER PRÄRIE ist vieles indifferenter. Auch wenn der Dualismus durch die S/W-Gestaltung und die Aufsplittung Earp/Holliday noch als solcher erkennbar ist, so sind hier doch schon diverse Kehrseiten von Fords selbstgeschaffenen Mythen zu entdecken. Earp wird noch einmal als Figur gezeichnet, die es schaffen kann ihren Platz in der "Neuen Welt" einzunehmen, die es durch die Hilfestellung einer Frau (von Ford immer als eigentlich regulierende Instanz der Zivilisation dargestellt) schaffen kann aufgenommen zu werden, trotz seiner Rohheit und potenziellen Gefährlichkeit. Doch schon hier wird das Schicksal Ethan Edwards aus DER SCHWARZE FALKE Doc Holliday zu teil. Er hatte es eigentlich geschafft, er war ganz oben, doch sein Hang zum Exzess, sein Wunsch aus der Zivilisation auszubrechen, führte ihn zurück in den archaischen Westen. Dort kommt er mit der mexikanische Hure Chihuaha zusammen und entscheidet sich im Verlauf des Films, als Clementine ihn aufsucht, tatsächlich auch nicht für eine Rückkehr in die Zivilisation, sondern er möchte mit Chihuaha zusammenleben. Und so wird auch hier wieder Dualismus zusammengeführt. Der ungebildete, aber bemühte Cowboy-Trampel Earp wird von Clementine akzeptiert, der einstmals angesehene Arzt Holliday möchte lieber mit einer Hure leben, als ein Leben in besseren Kreisen zu führen. Fords Bitterkeit, dass eine "Auf-den-Kopfstellung" solcher Verhältnisse in puritanischen Kreisen nicht möglich ist, wird daran deutlich, dass er Chihuaha und Holliday sterben lässt. Der existenzialistische Übergang in die Auflösung des Todes scheint der einzige Weg für beide zu sein. Doch auch das Verhältniss zwischen Earp und Clementine ist unsicher. Ford gibt seinem Helden noch einmal die Möglichkeit in der Zivilisation seinen Platz zu finden, sie nicht nur zu sichern, sondern auch in ihr leben zu dürfen. Clementine wird in Tombstone bleiben. Die Clantons sind tot, Earp hat seine Aufgabe erfüllt, doch die Arbeit liegt nun bei ihr. Sie will in Tombstone eine Schule gründen, möchte den Bürgern, die zumeist Analphabeten sind, das Lesen und Schreiben beibringen. Earp spricht davon, dass er vielleicht wieder kommt, um eine Farm zu führen, aber zwischen beiden ist die Ungewissheit.

Holliday und Clementine können nicht mehr zusammenkommen
Earp und Clementine haben mehr Chancen, auch wenn der Zaun der Zivilisation zwischen sie drängt
Es gäbe noch so viel zu schreiben, wie z.B. Fords Kapitalismuskritik durch die Clantons. Eine nur aus Männern bestehende Familie von Viehbaronen, schwer reich, den amerikanischen Geschäftsweg gegangen und nun degeneriert und verwahrlost. Hier lassen sich schon viele Elemente für Hawks späteren RED RIVER finden und immer wieder Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE. In vielen Western Fords wird die Degeneration des amerikanischen Pioniers und Siedlers gezeigt, als ständige eingebaute Kehrseite seiner eigenen Werte und Wünsche. Ein Amerika, gestört und kulturlos, ohne feste Wurzeln, aber das ist Stoff für einen anderen Text.

2 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank für diesen sehr anregenden, fundierten und interessanten Text! Er bewirkt das Beste, was ein solcher Text bewirken kann: Er weckt grosse Lust, das Erlebnis "Clementine" mal endlich wieder aufzufrischen!
    Ich freue mich sch von Dir!

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  2. Und ich freue mich so etwas zu lesen. Wenn mein Text so etwas bewirkt, dann hat er seine Aufgabe mehr als erfüllt. :)

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