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Dienstag, 26. Juli 2011

Schmalspurfaschismus



Die Crux bzgl. der Tiefendimension faschistischer Kunst ist ihre Seelenlosigkeit. In ihren besten Momenten gelingt es ihr ein Abbild des Gezeigten auf den Prinzipien von Oberfläche, Symmetrie, stark kontrastierendem S/W oder prätentiöser Farbgebung, Objekterhöhung ohne dreidimensionalen Fluchtpunkteffekt zu erzielen und erfüllt damit formale Prinzipien mechanisierender Kunst. Ähnliches schießt einem bei Zack Snyders Film schnell in den Kopf, sowohl auf der visuellen Ebene als auch auf der Ebene eines geradezu sklavischen Abpausens einer kultisch verehrten Comicvorlage aus den 1980er Jahren. Hier wird mit Zirkel und Geodreieck versucht nachzubilden, was die einzelnen Panels eines Comicalbums hergeben und so wie Prinzipien des Futurismus, des Kubismus und des Faschismus fester und wichtiger Bestandteil der zweidimensionalen Comickunst sind, wird versucht eben dieser Effekt auch auf die Kinoleinwand zu bringen.

Umso beherzter scheint Snyder zu versuchen die für das Kino so wichtige dritte Dimension, Figurendramaturgie, -konstellation und -psychologie, in seine sich bewegenden Panels hineinzuzimmern und bewegt sich damit auf einem Terrain, welches er bisher noch in keinem seiner Filme beherrschte. Anders als im Comic kann Snyder die Bilder nicht einfach nur für sich sprechen lassen. Der Vorteil des Comics gegenüber dem Kino ist, dass die Präsenz, die Ausdruckskraft der einzelnen Bilder einen größeren Raum für Projektionsflächen bietet. Die Leerstände zwischen den Bildern bzw. ihre mangelnde Bewegung lässt die Bewegung im Kopf entstehen und ist damit parallel an Wunsch- und Fantasievorstellungen gekoppelt. Film ist da nun wesentlich konkreter, muss die Figuren fortwährend Dinge in ihren Szene sagen lassen, hat weniger Leerstellen und ist beim Rezipieren dichter an der Verarbeitung von Realität als Zeichnungen auf dem Papier. So sind es letztlich nur die Interpretationen die Snyder sich zwischen den einzelnen Panels macht, die er mit einfließen lässt, nicht aber eine wirkliche Eigeninterpretation des Stoffes. Ganz unfreiwillig wurde damit mit WATCHMEN - DIE WÄCHTER ein Film gedreht, der so typisch für heutiges, effektgestütztes Weltkino ist. In all seinen Bestrebungen mit den Mitteln modernster Tricktechnologie einen mindblast zu entfachen, geht ihm jegliche visionäre Kraft für Film ab, erschöpft er sich im Rezitieren bekannter Ideen und plündert Innovationen, die vor mehr als 25 Jahren entwickelt wurden und ihrerseits auf Kunstkonzepten von vor mehr als 100 Jahren basieren. Warum trauen sich Regisseure von heute nicht die noch nicht ausgeschöpften Ideen gänzlich neu oder zumindest in ihrem Sinne zu interpretieren? Warum bringt Snyder das Comic so originalgetreu wie möglich auf die Kinoleinwand und baut seine eigenen kleinen Veränderungen, seien es nun inhaltliche oder rein interpretativ figurale, so ein, dass er glaubt, der Grundaussage nicht zu schaden und doch noch die Masse ansprechen zu können? Die Antwort darauf liegt auf der Hand. Es ist das übliche Einerlei der Geldmaschine Hollywood, bei der ich mich langsam frage, wann sie ihren zweiten Revitalisierungsprozess durchläuft.

Als die Skills der 1910er und 20er Jahre in den 60ern nicht mehr funktionierten, gab es eine Frischzellenkur, die uns THE FRENCH CONNECTION, DER PATE, DER EXORZIST, DER WEISSE HAI und KRIEG DER STERNE beschert hat. Alle großangelegten Mainstream-, Blockbuster- oder Eventmovies laufen bis zum heutigen Tage nach den inszenatorischen Prinzipien dieser Filme ab. Wir brauchen neue Richard Rushs, Monte Hellmans, Coppolas etc. die dieser Industrie in den Arsch ficken. Doch leider kann eine Befruchtung dabei nicht mehr herumkommen. Passend zum AIDS-Zeitalter kommen auch die "radikalsten" Erneuerer heutzutage nur mit übergestülptem Kondom daher. Niemand will noch wirklich mit etwas in Berührung kommen. Insofern passen auch solche Oberflächenspektakel wie WATCHMEN bestens in eine Zeit, die nur mit Eindrücken zugepflastert werden will, die eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Gesehenen nicht mehr zulässt, bei gleichzeitiger Vortäuschung, hinter den Bildern würde sich mehr als nur ihr rein Gezeigtes befinden. Ein schöner Selbstbetrug für eine Gesellschaft, die in der Ironiesierungswut der letzten 20 Jahre gefangen ist und sich damit grundsätzlich alles vom Leibe hält. Doch trotz der dramaturgischen Unebenheiten des Snyder-Werkes bin ich froh, dass es wieder etwas zum Polarisieren gibt und die Weichspülscheiße der ausgehenden 1990er der Vergangenheit angehört. Lieber schlechte Filmkunst als gar keine.

8 Kommentare:

  1. Auch der Faschismus ist ja, in seiner nach Makellosigkeit strebenden Oberflächlichkeit, sehr distanziert von einer greifbaren Realität und verweist auf die Distanz zwischen dem Ideal und dem unzulänglichen „echten“ Mensch. Die Stilisierung der Bilder, Figuren, Architektur etc. drückt ein Gefühl der Erhabenheit bei gleichzeitiger Einfachheit der Motive aus.

    Ebenso bei Snyders Film : jede Menge Kintopp, eine beeindruckende Fassade, große Bilder, eine lange Laufzeit, perfekte Oberflächen, kühle Kontaktscheue. Keine Zwischentöne des Unsauberen, des tief Emotionalen, der organischen Entwicklung.

    Schön auch Deine Metapher des AIDS-Zeitalters und durch Gummimembranen voneinander getrennten Menschen, die sich nur in der Illusion befinden, die Dinge direkt wahrzunehmen, dabei erleben sie bestenfalls eine Ahnung dessen, wie es ein könnte, und dieser Reibungspunkt genügt Ihnen, verschafft eine sichernde Distanz. Dazu passt die Sexszene zwischen zwei der Hauptfiguren, über der Stadt im Raumgleiter schwebend, nach einer ziemlich unmotivierten Aktionsequenz, die den Zuschauer kurzzeitig an die dahindümpelnde Handlung anbinden soll. Die beiden Figuren gleiten entlang ihrer makellosen Körper ohne jedes fleischliche ineinander Vergreifen, erstarrt im Style, leidenschaftslos und blutleer, wie Androiden, die Computerleibe machen.

    Ich frage mich dann auch, inwiefern diese anwidernde faschistoide Darstellung, in der am Ende die letzte Figur; die die Wahrheit sagen wollte, getötet wird, da die Menschheit mit der Lüge besser leben kann und das fremde Wesen als gemeinsamer Feind verstoßen wird, überhaupt in dieser Form von einer Mehrheit erkannt wird. Hinterfragt und reflektiert ein Publikum, das nicht von einem Coppola, Friedkin oder Altmann erzogen wurde diese in x-ter Ebene aufbereiteten Bilder der Fiktion, Kopien aus den Kinobildern selbst? Abbilder, die von der Realität und einer offenen Auseinandersetzung so weit entfernt sind wie die Gebäude der Nationalsozialisten von gemütlichen Wohnlandschaften.

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  2. Wow, da wirfst Du einige sehr komplexe Diskurse auf. Ich würde die Grundsätzlichkeit der faschistischen Ästhetik von WATCHMEN auch gar nicht angreifen wollen, sehe sie sogar als unabdingbar im Hinblick auf die Vorlage an. Vielmehr ist es der mangelnde Mut des Regisseurs wirklich damit zu arbeiten, der mich anficht. Es ist sehr traurig, wie weit die Filmkunst in biedersten Konservatismus zurückgefallen ist, Erfüllungsgehilfe und Medienumsetzer aus einer anderen Kunstform in die Filmkunst zu sein. Seien es Comics, mythologische Vorbilder oder Harry Potter. Alles soll bitteschön haargenau umgesetzt sein und Dank der modernen Tricktechnologie ist dies auch heutzutage möglich. Mit den Stilmitteln des Films etwas zu inszenieren geht dabei völlig verloren, da sich die Kamera nur der Ausleuchtung der Effektszenen unterzuordnen hat. James Whales filmische Eigeninterpretation des FRANKENSTEIN ist heute berühmter als die literarische Vorlage. Diesen Mut bringt heute keiner mehr auf. Man beugt sich einer krakelenden Menge, die nach Genauigkeit giert.

    Dein letzter Absatz ist aus medien-, film-, und soziohistorischer Perspektive äußerst interessant. Darüber muss ich nachdenken.

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  3. Mut ist auch schwierig umzusetzen wenn er so teuer ist. Bei den Multimillionen-Dollar-Produktionen in Hollywood gehen die Macher natürlich ein Risiko ein, sollte der Film nicht die erforderlichen Zuschauermengen in die Kinosäle ziehen. Und wo der Regisseur vielleicht aufgrund seines künstlerischen Anspruches gerne auch mal etwas gewagter vorgehen würde (wobei in diesen Zeiten nahezu alles gewagt scheint, was irgendwie eigene Wege zu gehen versucht), schieben die Produzenten rechtzeitig den Riegel vor. Denn, wie schon festgestellt, befinden wir uns nicht mehr in den Zeiten des New Hollywood.

    Woher kommen die neuen Impulse? Du hast schon erwartungsvoll geäußert, daß doch auch Hollywood bald wieder eine neue Frischzellenkur durchlaufen muss. Animation und 3D-Technik werden in einigen Jahren vielleicht doch eher als Trends verbucht, wohingegen die Computereffekte, die sich ja inzwischen auf alle Bereiche ausdehnen, jetzt schon ein fester Bestandteil des Filmemachens sind. Ich finde es auch bedauerlich, daß die Inszenierung selbst dabei in den Hintergrund rückt und die Effekte die Geschichte erzählen. Hier könnte allerdings für die Zukunft ein neuer Fundus an Möglichkeiten liegen, wenn die technische und künstlerische Ebene mit handwerklicher Könnerschaft vereint wird. Dafür braucht es natürlich wieder ein paar Mutige und Visionäre ;-)

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  4. Achso, noch ein Nachtrag zu diesem mimetischen Kino: Auf lange Zeit gesehen wird damit auch die Verschiebung hin zu den bildgebenden Medien unterstützt, da man das Buch nicht mehr zu lesen braucht, wenn der Film ein exakte Nachbildung liefert. Dies bedeutet einen Verlust der Quellen und Originale, auf die nur noch aus den Referenzen referiert wird. Paßt auch gut zu den Entwicklungen einer durch das Internet geprägten Gesellschaft, die Zusammenfassungen auf Wikipedia liest, Links anklickt und oft genug einen völligen Verzicht jeder Quellenüberprüfung und Bewertung praktiziert.

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  5. Danke, solche Texte brauchen wir!

    Meinen langen Kommentar hab ich wieder gelöscht, zusammengefasst lautet er: deine Verwendung des Wortes "Weltkino" ist erläuterungsbedürftig, und: ergeben sich nicht im Schatten dieser imperialistischen Filmindustrie Grauzonen, wo wieder anderes, neues, mutiges Kino gemacht wird, das zu dieser nordamerikanischen Dominanzmaschine im Gegensatz steht (nämlich gerade im sogenannten "Weltkino", das ja vielfach auf seine "production values" keinerlei Wert legt)? Vor UNCLE BOONMEE geht auch der letzte Zyniker in die Knie, und er wird erschüttert im Anblick von KINATAY. Aber ich will nicht zu sehr provozieren...

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  6. @ micha

    Vielen Dank fürs Kompliment!

    Sehr wichtig, dass Du wegen der Verwendung des Begriffs "Weltkino" nachfragst, da ich den Begriff völlig anders, ja geradezu genau gegenteilig dazu verstanden wissen wollte, wie er vielleicht andernorts verwendet wird. Mir ging es hierbei um Filme, die es schaffen in die Distributionswege zu gelangen, die mehr oder weniger auf einem Schlag in der Lage sind die Weltöffentlichkeit zu erreichen. Kino, das nahezu überall gesehen werden kann, an dem man kaum vorbeikommt, da man es, wenn man seine entsprechenden Produkte nicht sieht, man zumindest davon hören MUSS und es einfach nicht möglich ist, ihm aus dem Wege zu gehen. Eben exakt das monopolisierte Kino, welches wir noch der Idee der Patentgesellschaften und Trusts aus den 1910er Jahren verdanken, mit denen amerikanische Gesellschaften eben das Kino der ganzen Welt im Griff halten wollten.
    Keinesfalls ging es mir um die Definition, die den Begriff eher in die Richtung lenkt, dass es sich um ein Kino handelt, dessen Filme überall auf der Welt produziert werden und damit einen Facettenreichtum von Möglichkeiten präsentiert, die aber nur bruchstückhaft an die Öffentlichkeit gelangen. Das wäre im Grunde das genaue Gegenteil.

    Das führt mich auch zu dem interessanten zweiten Aspekt Deines Kommentars.

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  7. Das führt mich auch zu dem interessanten zweiten Aspekt Deines Kommentars.

    ergeben sich nicht im Schatten dieser imperialistischen Filmindustrie Grauzonen, wo wieder anderes, neues, mutiges Kino gemacht wird, das zu dieser nordamerikanischen Dominanzmaschine im Gegensatz steht (nämlich gerade im sogenannten "Weltkino", das ja vielfach auf seine "production values" keinerlei Wert legt)? Vor UNCLE BOONMEE geht auch der letzte Zyniker in die Knie, und er wird erschüttert im Anblick von KINATAY.

    Genau hier sehe ich das Problem.

    Du hast natürlich völlig recht, dass die Dominanz Hollywoods ein Ansporn für die Bildung von Nischen ist, aber genau das bleiben sie dann auch: Nischen. Durch verschiedene Entwicklungen seit den 1980er Jahren - Videomarkt, Privat- und Spartenfernsehen, Nutzung der Internettechnik durch Privatpersonen und das damit sich entwickelnde WWW - gibt es eine zunehmende Zielgruppennutzung und -Orientierung in der uns zwar eine Welt von neuen Möglichkeiten und Auswahl vorgestellt wird, bei gleichzeitiger Rückanbindung an den Massengeschmack. Ich greife hierfür mal Dein Beispiel des asiatischen Filmraums auf. Anders als noch in den 60er, 70er und 80er Jahren werden zwar mehr Filme aus diesem Raum international vermarktet, aber sie finden ihren Weg zumeist gleich auf Video, einem kleinen Programmkino oder entsprechenden Festivals, wo sie an den von vornherein interessierten Rezipienten gelangen oder eine kleine Gruppe von Personen, die sich vorgenommen hat, mal etwas anderes (kulturelles?) zu sehen. Dass ein Brett wie DER UNBEZWINGBARE SUPER-CHAN (Taiwan schafft nochmal eine eigene Filmsprache im Vergleich zu Hongkong), ein Meisterwerk Chang Ches wie DER PIRAT VON SHANTUNG ("Ein Film wie ein Taifun" schrie es von den deutschen Kinoplakaten), eine Burleske wie MR. BOO (die Hui-Brüder lehrten den Westen die kantonesische Filmkomödie), IM REICH DER SINNE (seltener musste zugegeben werden wie sich Kunst und Pornographie ergänzen können) oder die Flut philippinischer Actionfilme liefen damals nicht versteckt auf Festivals für eine bestimmte Zielgruppe oder bedienten Nischen für die Klientel, die nach dem nächsten abseitigen Skandal-/Überraschungsfilm verlangt, sondern wurden z.T. großflächig in den Kinos vermarktet und boten die einzige Konkurrenz zum Imperium Hollywood. Das Massenpublikum konnte sich also "das Original" ansehen, und sah es auch, und wartete nicht wie heute aufgrund eines durch neue Medien wahrgenommenen Über-Angebotes darauf, dass die "bessere" Hollywoodvariante herauskommt. Wer in den 70er und 80er Jahren Hongkong-Action sehen wollte - und das waren nicht wenige - MUSSTE sich auch mit den, oft und bis heute befremdlich erscheinenden, Inszenierungsstilen und Schauspielweisen der Kantonesen befassen. Das ist heute nicht mehr nötig, da Hollywood auch diese "Skills" geschluckt hat, zwecks einer Bündelung der Masse. Dadurch wird natürlich nivelliert und glatt gebügelt (auch durch das asiatische Kino selbst, dass sich leider immer mehr dem Westen andient und dabei droht seinen eigenen Inszenierungsstil zu vergessen) und wirkliche kulturelle Vielfalt verschwindet aus dem Kino bei gleichzeitigem Vorhandensein durch die neuen Vermarktungsmöglichkeiten (und manchmal gelingt es vielleicht sogar dem ein oder anderen Film in meine Definition von Weltkino zu gelangen). Das ist das Paradoxon unserer Kinozeit. Ich bin gespannt wie es sich auflösen wird.

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  8. Ich fuerchte der Film hat mich im Endeffekt garnicht so sehr interessiert, als das ich mich damit weitergehend beschaeftigen wollte. Hatte die Hoffnung einer "etwas anderen" Comicverfilmung. Und optisch gibt es ja auch ein paar Schauwerte, aber das mich die Thematik jetzt zum Nachdenken angeregt haette - nicht wirklich.

    http://retrobennemann.blogspot.de/

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