DER GEFANGENE DER HAIFISCHINSEL
Tonfilm Nr. 19: Nach der Fusion der Fox Film Corporation und der
Twentieth Century Pictures übernahm Darryl F. Zanuck das Ruder und
sollte sich als harter Hund entpuppen, der Ford Paroli bot und sich
durch dessen Härte und vernichtende Art, die auch körperlich sein
konnte, nicht einschüchtern ließ. Wie zwei wilde Hunde konnten sie ihre
Kräfte messen, doch Zanuck ging an Ford auf eine Weise heran, zu der
William Fox nie fähig gewesen wäre: unbefangen. Selbst nach einem Werk
wie DER VERRÄTER hätte der inzwischen alte William Fox in Ford immer
noch den "Runterkurbler" gesehen, den er 1920 von Carl Laemmles
UNIVERSAL abgeworben hatte. Zanuck fragte sich, als er die
Produktionsleitung der neuen FOX übernommen hatte als erstes, warum man
John Ford "U-Boot-Filme" und "Klamotten" zu inszenieren gab und ihn
nicht an die wichtigsten Filme setzte, die je gedreht werden könnten.
Filme, die komplex und bedeutungsvoll waren. Er wollte Ford wegholen,
von diesen kleinen Filmen, denn Zanuck sah, was Ford mit ARROWSMITH,
FLEISCH und DER VERRÄTER für andere Studios schuf. Warum, bis auf PILGRIMAGE und DAS LEBEN GEHT WEITER, schuf er diese Werke nicht zuhauf
bei der FOX. Er musste noch lernen, dass Ford das Filme machen brauchte
wie die Luft zum Atmen.
Erzählt wird die Geschichte des (vermeintlichen) "Lincoln-Verschwörers"
Samuel A. Mudd. Die USA befinden sich in der Reconstruction-Ära nach dem
Sezessionskrieg. Abraham Lincoln ist der einzige, der das Land einen
kann. Einer der Gründe, warum eigentlich erst nach dem Bürgerkrieg der
USA davon gesprochen wird, dass sie zu einer Nation zusammengewachsen
sind (Karl Marx sah darin übrigens die erste und bisher einzig
funktionierende sozialistische Revolution der Geschichte). Doch statt
der historischen und geradezu legendären Rede, die Lincoln unmittelbar
nach dem Krieg hielt, lässt Ford ihn bitten, als das Volk eine weitere
Rede fordert, den Dixie zu spielen, von einer Band der Nord-Staaten (!).
Diese sind zuerst verdutzt, aber folgen dem Wunsch. So macht Ford klar,
dass Lincoln, der das Land gezielt in den Krieg und die Teilung geführt
hatte, nun bedingungslos nach Versöhnung strebte. Am nächsten Tag wird
Lincoln in Ford's Theatre - Ford zeigt extra das Plakat, da Lincoln
wirklich dort getötet wurde und damit wir den Joke kapieren - von dem
Schauspieler John Wilkes Booth erschossen. Booth brach sich dabei
bekannterweise das Bein und wurde von dem Landarzt Samuel A. Mudd
verarztet. Der Rest ist buchstäblich Geschichte. Samuel Mudd wurde in
einer Stimmung der Hysterie und Paranoia mit anderen Personen der
Verschwörung angeklagt, welche zum Ziel hatte, den Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Amerika zu töten. Ford inszeniert den Prozess
als Schauprozess, Mudd entgeht dem Strang, aber wird zu lebenslanger
Haft auf "Shark Island" verurteilt. Seine Frau kämpft zuerst mit
rechtlichen Schritten und ist dann auch bereit, ihrem Mann zur Flucht zu
verhelfen. Ihr Vater war ein Süd-Staaten-Colonel und ist stetig bereit,
zu den Waffen zu greifen (er wird recht unbarmherzig getötet). Sogar einen Engel schickt sie Samuel. Buck
war einst ein Sklave unter Mudd, doch jetzt gehört er zu der
Wächtergarde, welche die Gefangenen auf "Shark Island" bewachen soll.
Auf Wunsch Peggy Mudds hat er sich für den Dienst bereit erklärt, damit
Mudd durchkommt. Die Gefängnisführung besteht nämlich ausschließlich aus
Anhängern der "Union" und die haben kein Verständnis für Mudd. So will
es die Ironie, dass Mudd nur durch seinen ehemaligen Sklaven am Leben
bleibt. Die Zeit vergeht und plötzlich bricht auf "Shark Island" das
Gelbfieber aus. Es entstehen Spannungen zwischen den schwarzen Wächtern
und der weißen Gefängnisführung, da zunächst nur die Weißen vom
Gelbfieber betroffen scheinen. Als der Gefängnisarzt stirbt, holt man
Mudd aus seinem Erdloch, in das man ihn ohne Sonne eingesperrt hat.
Zanuck hatte Ford einen Film mit "social content" gegeben. Ford macht
wieder mal "seinen Film" daraus, Zanuck war unzufrieden. Der Film war am
Box Office eher ein Misserfolg, die Kritik negativ eingestellt. Heute
gilt der Film als einer der ungewöhnlichsten, der ein Major in den
1930ern als Aushängeschild-Produktion verlassen hat.
Im Folgenden lässt sich anhand einiger Bilder die nahezu endlose
Meisterschaft Fords und seiner Stilmittel zeigen. Ich beziehe mich dabei
hauptsächlich auf die Analysen des Regisseurs und Drehbuchautors Tim
Hunter:
Die Feier des Endes des Bürger-Kriegs wird von Ford durch die
Bildgestaltung des Expressionismus in ihrer ganzen Ambivalenz für das
Land dargestellt
Eine weitere Intertextualität zu DIE GEBURT EINER NATION. Die
Erschießung Lincolns von Ford in einer Voyeur-Perspektive inszeniert und
mit der Tonspur arbeitend
Unter den unzähligen stilistischen Mitteln, die Ford hier anwendet,
lassen sich auch welche finden, die bis heute modern sind. Nachdem
Lincoln erschossen wurde, lässt eine Hand den Gardinenvorhang, der in
seiner Loge war, vor sein Gesicht gleiten. Intra- und extradiegetische
Ebene fallen dadurch zusammen, da es gleichzeitig der Vorhang der
Geschichte ist, der vor Lincoln fällt und ihn uns zunehmend entrückt
Ford arbeitet mit einer zunehmenden Überblendung, welche Lincoln in eine
Matrix zerlegt. Er wird vom entrückten Element zu einer
historisch-mathematischen Figur
Nach diesem modernen Effekt "bemüht" Ford nun den Symbolismus: Lincon
zerfällt von greifbaren Strukturen in einen Nebel, welcher tatsächlich
der Anschluss zur nächsten Szene ist
Mudd wird verhaftet. Ford zeigt die Soldaten als eine Art GESTAPO. Sie
werden kreuz und quer jeden verhaften, der ihnen verdächtig erscheint
Ford zeigt eine Szene, in der deutlich gemacht wird, dass man
Verurteilungen wünscht. Es sollen Millitärs die Urteile sprechen. Durch
die im Land aufgebrachte Stimmung sind es nichts anderes als
Standgerichte. Die Beschuldigten - Ford lässt völlig offen, wer schuldig
und wer unschuldig sein könnte - werden wie in Guantanamo Bay behandelt
und sollen möglichst schnell abgeurteilt werden. Sie alle sind,
unterfüttert durch eine allgemeine Hysterie und Paranoia, Staatsfeinde
Zur Symbolisierung der aufgebrachten amerikanischen Bevölkerung, die
Vergeltung wünscht, inszeniert Ford im Stile des Eisenstenschen
Formalismus cholerische Massen, die deutlich machen, wie schnell sich
das "Land der Freiheit" in einen Haufen Paranoider verwandelt
Buck hat sich eingeschleust, um Dr. Mudd zu helfen. Angleichung und
Abhebung als Kontrast im Bild inszeniert. Dazu mit einem Zoom auf Buck
Rankin ist der Inbegriff des politischen Idealisten und Fanatikers. Er
ist ein derartiger Lincoln-Verehrer, dass er all seinen Hass für
gescheiterte politische Möglichkeiten an Mudd auslässt. Lichtsetzung wie
im film noir
Mudd wurde in ein Erdloch gesperrt, zusammen mit Buck, der ihm bei einem
Ausbruch helfen wollte. Hier bedient Ford sich, wie auch bei vielen
anderen Szenen, des Realismus
Der Zusammenbruch des Gefängnis-Arztes. Eine kameratechnische Vorwegnahme des Neorealismus
Mudd ist bereit zu helfen. Doch nur, wenn sein Freund Buck mitkommt. Amerikanische Romantik
Mudd will sich schlafen legen, nach dem er Tausende von Patienten ohne
Medizin behandeln musste. Elemente des Expressionsimuses und
Vorwegnahmen des Surrealismus
Die Heimkehr Mudds als gebrochener Mann. Der lyrisch-amerikanische Klassizismus nach Griffith, jedoch als Hintertreibung
Die eigentliche Auflösung der Szene und das Ende des Filmes, welches in
einer Hollywood-A-Klasse-Vorzeige-Produktion zum ersten Mal eine farbige
Familie in der letzten Einstellung zeigte, welche den eigentlich
glücklichen Schlusspunkt im Film bildet
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