DAS LEBEN GEHT WEITER
John Ford, Tonfilm Nr. 14: Erzählt wird über einen Zeitraum von fast 150 Jahren die
Geschichte zweier Familien, welche, nachdem der Patriarch Sebastian
Girard - der in England mit den Warbutons zusammengearbeitet hat und
durch die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika 1776 zum größten
Baumwollhändler des Landes aufgestiegen ist - im Jahre 1825 verstorben
ist, die Geschäfte weiterführen sollen, in dem sie Niederlassungen in
den USA, England, Frankreich und Preußen gründen. Wichtig ist es Girard
in seinem Testament, dass jede Niederlassung von einem Familienmitglied
geführt wird - also das umgekehrte Prinzip der Auswanderung in die USA -
und das die Girards und die Warbutons durch das gemeinsame Geschäft zu
einer Familie werden. Ford zeigt hiermit den Versuch der Gründung eines
neuen familiären Prinzips auf der Basis eines kapitalistischen Konzepts,
in dem die Familie Girard durch die Zusammenarbeit mit den Warbutons
ein Vierländer-Eck aufzieht, um so den Baumwollhandel zu dominieren. Im
Weiteren geht es darum, dass die kapitalistische Allianz zwar einen
weitverzweigten Familienstammbaum gründen wird, aber durch historische
Ereignisse ständigen Prüfungen ausgesetzt ist und letztendlich scheitern
wird. Im Gegenzug verlieben sich Richard Girard und Mary Warbuton
bereits während der Familienfusion 1825, doch ist Mary Warbuton mit
einem deutlich älteren Herren verheiratet, der die Firma/Familie
Warbuton führt. Sie können nicht zusammenkommen, obwohl sie spontan eine
bedingungslose Liebe spüren. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wird die
Girard-Warbuton-Enterprises zur bedeutendsten Export-Firma für Baumwolle
aufsteigen und sowohl in den USA, Frankreich, England und inzwischen
dem Deutschen Kaiserreich haben sich die Girards und Warbutons zu
Familienclans entwickelt. Im Jahre 1914 kommen die Ur-Ur-Enkel der
Gründungsmitglieder der Familienfusion zum ersten Mal seit vielen Jahren
wieder in New Orleans zusammen. Ganz im Sinne eines Clans, haben der
deutsche Fritz, der älteste Spross des inzwischen Baron von Gerhardt
(man ließ den Namen ändern) und seine Cousine dritten Grades, Jeanne aus
Frankreich, zusammengefunden und wollen heiraten. Die Geschäfte laufen
besser als je zuvor, da ein globaler Handel zwischen den vier Ländern
besteht, mit dem sie den Rest der Welt beliefern und gekrönt werden soll
dies durch die Hochzeit von Fritz und Jeanne. Ein Symbol der
Völkerverständigung, wie Baron von Gerhardt, Ur-Ur-Enkel von John
Girard, anmerkt. Bei diesem Treffen begegnen sich auch zwei andere
Ur-Ur-Enkel: Richard Girard und Mary Warbuton. Die Namensträger ihrer
Vorfahren, deren Liebe einst nicht sein konnte/durfte. Sie sprechen
davon, dass sie sich irgendwoher kennen. Ob sie sich schon mal gesehen
haben. Ein Musikstück, welches 1825 ertönte, und welches nur bei den
Girards gespielt wurde, kommt Mary, die nie in den USA war, bekannt vor.
Richard ist verwundert, woher sie es kennt. Doch eine Ehe zwischen
Erik, dem zweiten Sohn der von Gerhardts und Mary ist bereits
arrangiert, Richard ist enttäuscht und haut mit Henri, einem Spross der
französischen Girard-Linie, nach Paris ab. Als der Erste Weltkrieg
ausbricht, verändert sich alles. Die Familien-Allianz wird auf eine
harte Probe gestellt. Fritz von Gerhardt wird mit seinem U-Boot
untergehen, seine französische Frau wird um ihn trauern. Henri wird
eingezogen, Richard geht "zum Spaß" mit und wird mit dem Wahnsinn des
Krieges konfrontiert. Die Geschäfte in den USA liegen dadurch brach, mit
Deutschland werden keine Geschäfte gemacht und Mary Warbuton muss die
Firma allein durch den Krieg führen. Dieses Chaos wird Richard und Mary
endlich zusammenführen, die einzelnen Familienmitglieder macht es zu
Wracks. Nach dem Krieg begibt man sich in den Wiederaufbau. Die
Prosperität der 1920er sorgt dafür, dass Richard Girard, der inzwischen
mit Mary verheiratet ist, im Jahre 1925, 100 Jahre nach der
Firmengründung durch den Familienzusammenschluss, eine Superfusion
plant, die 250 Millionen Dollar schwer ist (nach heutigem Dollarkurs ca.
7,5 Milliarden). Der Reichtum, in dem die Girards-Warbutons schwimmen,
ist grenzenlos. Doch Mary ist frustriert. Sie suhlen sich im Geld, aber
sie kommt in die Jahre und so langsam sehnt sie sich nach Kindern.
Richard hat dafür keine Zeit. Er ist im Rausch des Turbo-Kapitalismuses,
auf dem Weg zum Global Player. Es kommt das Jahr 1929, der schwarze
Donnerstag (für Europäer der schwarze Freitag). Die Superfusion ist
gescheitert. Richard Girard hat Milliarden Dollar in den Ausguss
geschüttet. Sein "kleines" Monopoly-Spiel hat versagt und wie ein Kind
krabbelt er zu Mary ins Bett, die ihn wie eine Mutter an sich drückt.
Sie vergibt ihm, dass er die Welt in den Abgrund gestürzt hat. Die
Rekonsolidierung läuft über die Firma Warbuton. Der stellvertretende
Manager Manning hatte sich gegen die Superfusion ausgesprochen und als
kleine Firma weitergemacht. Er ist nicht vom Börsen-Crash betroffen und
nimmt die Girards, der Familie wegen, wieder auf. Wir schreiben
inzwischen das Jahr 1934. Eine letzte Geschäftsbesprechung findet statt.
Erik von Gerhardt, Jaques Girard aus Frankreich, Richard Girard aus den
USA und Manning als Vertreter der Warbutons diskutieren über die
weitere Zukunft. Erik regt sich auf, dass dieser Nationalismus jegliche
Form der Globalisierung verhindert. Man könne keinen Handel betreiben.
Jaques erwähnt, dass sich das Familienkonzept überholt habe, man noch
mehr Spekulationsgeschäfte (heute Investmentbanking) betreiben müsse
und die Geschäfte eventuell durch einen neuen Krieg angetrieben werden
könnten. Als Mary dies hört, rastet sie aus. Sie hält eine flammende
Rede gegen den Krieg, doch Erik und Jaques bezeichnen sie als
sentimental. Der Krieg, so stellen sie in diesem im Januar 1934
gedrehten Spielfilm fest, wird kommen. Unausweichlich!
Richard Girard und Mary Warbuton verlieben sich bereits 1825
Durch die Übertragung von Genen und Musik verlieben sie sich auch knapp
90 Jahre später. Der Schauspieler, der 1825 Mary Warbutons Mann gespielt
hat, spielt jetzt ihren Vater
Während des Ersten Weltkrieges muss Mary Warbuton ein Millionen-Unternehmen führen
Dixie hat in Frankreich Urlaub gemacht und ist aufgrund sprachlicher
Missverständnisse eingezogen worden. Ford inszeniert ihn als den Clown,
welcher die grausigen Ereignisse konterkariert, hat er dort doch
eigentlich nichts zu suchen
Fords Existenzialismus: Auf einem Friedhof findet eine der
spektakulärsten Film-Schlachten des WWI statt, die ich je gesehen habe.
Vor allem die Handkamera, welche das Ereignis "ganz nah dran"
präsentiert, ist schwindelerregend
Heimmarsch der Truppen. Die Verstorbenen marschieren in der Überblendung mit. Nicht die einzige Transzendenz dieses Filmes
Wir schreiben das Jahr 1925. Richard Girard ist ein Global Player. Im
Hintergrund ein im Stile des Sozialismuses gestaltetes Bild, welches die
Basis des Unternehmens zeigt: Sklavenarbeit
Der Börsen-Crash 1929. Die Überblendung mit dem Irrsinn an der Börse, Richard Girards Verzweiflung und dem Börsen-Ticker
Mary Girard-Warbuton hält eine flammende Rede gegen einen weiteren Krieg. Erik und Jaques bezeichnen sie als sentimental
Was nun folgt, gehört zum Eindrucksvollsten, was ich je in einem Film
gesehen habe. Ich verweise nochmals darauf, dass der Film im Januar 1934
gedreht wurde. Ein Jahr nach der "Machtergreifung", fast 6 Jahre vor
Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Nachdem Mary Girard-Warbuton ihre
flammende Rede gegen einen weiteren Krieg hält, zeigt Ford in einer
furiosen Eisenstein'schen Montage auf, wie wir uns den nächsten Krieg vorstellen dürfen bzw. wohin es mit der Welt gehen wird:
Deutschland:
Italien:
Japan:
Sowjetunion:
Frankreich:
Großbritannien:
USA:
Von diesem Wahnsinn wollen Richard und Mary nichts mehr wissen, denn sie haben all das bereits hinter sich. Sie
gehen zurück zum verlassenen Landhaus der Girards, welches seit
Jahrhunderten in den Südstaaten steht. Dort lebt inzwischen Dixie, nun
ein Kriegsheld, mit seiner Familie, der die Girards willkommen heißt.
Mary weint vor Glück.
Du meine Güte, das liest sich ja wie der Stoff zu einer 10-teiligen Mini-Serie, oder gleich zu einer längeren Serie à la THE FORSYTE SAGA oder THE ONEDIN LINE. Findet der Film denn zu einer geschlossenen Form, oder hetzt er im Sauseschritt durch die Jahrzehnte?
AntwortenLöschenLeider kann man den Film als auf großer Ebene gescheitert betrachten. Zu Beginn der 1930er Jahre gab es in Hollywood ja einige Filme, die mit Narativa des Romans gearbeitet haben. MENSCHEN IM HOTEL ist wohl eines der bekanntesten Beispiele. Mit DAS LEBEN GEHT WEITER wollte die FOX im Grunde ihren Vorjahres-Hit KAVALKADE toppen, der ähnlich, wenn auch bei weitem nicht sooo breit angelegt war.
AntwortenLöschenDie Geschichte des Patriarchen Sebastian Girard wird nur in einer Text-Tafel behandelt. Die Ereignisse des Jahres 1825 könnte man auch als ausgedehnten Prolog bezeichnen. Der Aufstieg zu einem weltweiten Imperium im Verlauf des 19. Jahrhunderts wird dann wieder mit Texttafeln abgehandelt. Das eigentliche Herzstück sind die Jahre 1914 - 1918. Also die Kriegsjahre. Dann machen wir einen Sprung nach 1925. Bis 1934 wird dann alles einigermaßen moderat in einem sehr ausgedehnten Epilog abgehandelt. Am beeindruckendsten war die Schlussmontage. Vor allem, wenn man sich das aus heutiger Sicht ansieht. Das Kriegsgetöse wird auf der Tonspur mit jedem Land lauter, bis man das Gefühl hat, die Welt geht unter. Wir haben uns gefragt, in welche Kristallkugel der Mann geblickt hat, uns die für uns vergangene Zukunft so gut abzubilden.
Im Grunde wäre Ford ja der richtige Regisseur gewesen, da er mit Filmen wie DAS EISERNE PFERD oder 3 RAUHE GESELLEN bestens gezeigt hat, dass er ein gigantisches Personenkarussell durch Epochen führen kann. Das Studio ließ ihm bei diesem Film jedoch, anders als gewohnt, kaum Freiheiten und so konnte er den Film nicht mit der sonst gewohnten Perfektion formen. Trotzdem war es, schon allein vom Experiment-Charakter her, eine tolle Betrachtung.