DR. BULL
Fords zwölfter Tonfilm ist die erste Kollaboration mit dem
Cherokee-Indianer Will Rogers. Will Rogers ist eine der größten
Ausnahme-Erscheinungen in der amerikanischen Unterhaltungsbranche der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht nur, weil er als
nordamerikanischer Ur-Einwohner außerhalb solcher Varieté-Shows wie
denen, die Buffalo Bill ins Leben gerufen hat, erfolgreich war, sondern
weil er aufgrund seines geistigen Witzes (nach ihm ist der statistische
Effekt der "kriminellen Datenvereinigung", der so genannte
Will-Rogers-Effekt, benannt) und seinem Status ein echtes Original zu
sein, in den USA bereits zu Lebzeiten eine Legende wurde. In Europa ist
er praktisch unbekannt. 1933 war er einer der größten Stars der FOX und
John Ford sollte drei Filme mit ihm realisieren. Angesiedelt ist das
Ganze in einem typischen, amerikanischen Kleinstädtchen im "Herzen von
Amerika". George Bull ist seit vielen Jahren die einzige medizinische
Kraft in diesem Kaff und gleichzeitig ein Skeptizist gegen alles
Moderne. Autos, die Menschen "tot fahren", ständig klingelnde Telefone,
die einen verrückt machen, wechselnde Trends, die den Leuten erzählen
wie sie glücklich werden und seit einiger Zeit auch eine Wasserleitung,
die den Ort mit fließend Wasser versorgt. Bull ist der Ansicht, dass
dieser nicht zu trauen ist, da er Herbert Benning, den Chef der hiesigen
Wasserversorgung, kennt. Dieser ist der Patriarch einer im Ort
alteingesessenen und einflussreichen Familie und vornehmlich Kapitalist.
Neuerdings möchte er auch die Elektrizität in den Ort holen, um die
Bewohner "noch mehr von sich abhängig zu machen", wie Bull anmerkt. Doch
Bull steht dem Fortschritt nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber - er
nutzt auch gerne das moderne Labor in der nächsten, wesentlich größeren
Stadt - aber er möchte nicht gleich seinen Verstand zugunsten neuer
Technologien in den Ruhestand schicken. Als durch verunreinigtes
Leitungswasser eine Typhus-Epidemie ausbricht, überschlagen sich die
Ereignisse. DR. BULL ist in Fords Schaffen eines der eindrucksvollsten
Beispiele für seine Intertextualität. Eine Episode aus ARROWSMITH (die
Geburt bei der nur italienisch sprechenden Einwandererfamilie) und das
Ausbrechen einer Epidemie (diesmal nicht auf den Antillen, sondern
mitten im Herzen des Bible-Belts) sind hier sehr auffällig. Weiterhin
implementiert Ford dies in seine Technik, wie er dies im ein Jahr später
gedrehten JUDGE PRIEST perfektionieren sollte, aufgrund der
Zentralisierung durch einen nicht näher benannten Ort, Dutzende von
Figuren durch diverse Handlungsstränge zu führen, was dafür sorgt, dass
George Bull neben der Typhus-Epidemie und der Geburt eines italienischen
Jungen, noch die Tochter der Bennings mit einem Football-Spieler
verkuppelt, da sie von diesem schwanger ist - sie erwähnt, dass das
Ereignis nur die Schuld des stehengebliebenen Autos sei, worauf Bull
entgegnet: "Don't blame the car. In my times the horses stopped." -, ein
Mittel gegen die Lähmung eines Dorfbewohners findet, einen Hypochonder
ebenfalls unter die Haube bringt, die Preiskuh der Witwe Cardmaker
rettet und nach vielen Jahren selbige endlich heiratet. Dass das Dorf
sich seinetwegen entzweit, da Bull viele Gegner hat und er seinen Beruf
als Arzt, trotz Rettung der Bewohner, an den Nagel hängen muss, ist der
Wehrmutstropfen der Geschichte.
Eine der Bennings vertritt das Komitee für Anstand und Sitte. Dass Bull
sich so häufig bei der Witwe Cardmaker aufhält, immerhin auch eine
Benning, schmeckt ihr gar nicht
Bull stört schon dadurch, dass er kräftiger singt, als der demütig daher trällernde Unisono, der sich was zusammen nuschelt
Die Bennings echaufieren sich, dass Dr. Bull bei Witwe Cardmaker ist und
nicht ihrer kranken "Mamie" hilft. Obwohl sie wissen, dass er dort ist,
rufen sie ihn aber nicht dort an, sondern suhlen sich in seinem
unschicklichen Verhalten. Dadurch stirbt ihr farbige "Mamie".
Die Italiener hatten weniger Skrupel bei der Cardmaker anzurufen.
Unter den Bennings gibt es einen Mutter-Tochter-Konflikt. Ford verweist
darauf, dass Virgina an der Universität war, aber das bringt ihr nichts,
da ihre Mutter für sie bereits, nach klassischem Rollenmodell, eine Ehe
mit einem alten Senator arrangiert hat, damit sie eine anständige Frau
wird
Ein Standard-Topos Fords: Die Probleme der Demokratie. Alle Bewohner
haben sich in der Kirche versammelt, um über das Schicksal von Bull zu
richten. Den stärksten Kräften im Ort ist er ein Dorn im Auge. Die
Diskussion und anschließende Abstimmung führt nur zu Uneinigkeit und
einem Bruch der Gemeinde
Bull hat zwar die Stadt gerettet und geheiratet, ein Abschied ist es
trotzdem. Ein Standard-Motiv Fords: Der Zug, der den Bahnhof verlässt
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