PILGRIMAGE
Mit diesem Film kehrte John Ford, nach seinen Ausflügen zu anderen
Produktionsfirmen, zu seiner Stamm-Firma, der FOX zurück. Nach drei so
unterschiedlichen Filmen wie ARROWSMITH (Goldwyn), AIR MAIL (Universal)
und FLEISCH (MGM), die aber allesamt zu den wichtigen Filmen der
jeweiligen Studios im jeweiligen Kinojahr zählten, konnte man ihn bei
der FOX nicht mehr ignorieren und gab ihm ein ernsthaftes Projekt,
welches tiefe Schwere beinhaltete. In seinem elften Tonfilm konnte Ford
endlich da anschließen, wo er sich vor Einführung des Tonfilms bereits
mit schwermütigen Werken wie VIER SÖHNE, HANGMAN'S HOUSE oder MOTHER
MACHREE befand. Erzählt wird die Geschichte der beinharten Hannah
Jessop, die mit ihrem Sohn auf ihrer eigenen Farm lebt. Ein Vater
existiert nicht und wird mit keinem Wort erwähnt. Jim hat sich in Mary
verliebt, doch die ist die Tochter eines stadtbekannten Alkoholikers und
mit solchem Gesocks soll Jim sich nach Hannahs Meinung nicht einlassen.
Jim wirft ihr vor, dass sie gegen jede Frau etwas haben würde, egal wer
sie ist und das sie ihn am liebsten tief in sich einsperren würde. Jim
ist in einer Zwischenphase. Alt genug für den Krieg, aber noch nicht
volljährig, also alt genug, um über sich selbst bestimmen zu dürfen. Als
Jim sich nachts wegschleicht, um sich mit Mary zu treffen - in dieser
Nacht werden sie ihren Sohn zeugen - meldet Hannah ihren Jim am nächsten
Tag für den Eintritt in den Ersten Weltkrieg an. Als sie die Papiere
unterzeichnen muss, weist Ford schon durch die Inszenierung darauf hin,
dass sie sein Todesurteil unterzeichnet hat. Und so wird auch narrativ
mit der zu erwartenden Konvention gebrochen. Anders als man es aufgrund
des Anfangs erwartet, wird nicht die Geschichte von Mary und Jim
erzählt, die versuchen trotz widriger Umstände zusammenzukommen, sondern
die Geschichte von Hannah Jessop. Jim fällt recht banal in WWI. Mary
bleibt allein und unverheiratet mit einem Kind zurück in einer Gegend,
wo man sie dafür als Hure abstempelt. Hannah Jessop will nichts von
dieser Hure und ihrem Bastard wissen. Auch, dass sie ihren Sohn aus
falscher Mutterliebe in den Tod geschickt hat, vergräbt sie in sich.
Doch zehn Jahre nach Ende des Krieges geschieht etwas, was tatsächlich
geschehen ist. Die amerikanische Regierung möchte gerne, dass die
"stolzen Mütter" der gefallenen Söhne nach Paris reisen und dort Blumen
auf die Gräber ihrer Söhne legen. Eine Art "Pilgerfahrt". Nach
anfänglicher Ablehnung fährt Hannah Jessop schließlich mit. Doch in
diesem durchorganisierten, medienwirksam aufbereiteten Spektakel findet
sie keine Ruhe. Stattdessen wird sie immer mehr damit konfrontiert, dass
sie für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist. Sie rennt aus der
Festhalle in die Nacht von Paris, des Französischen nicht mächtig, und
wird ihre ganz eigene "Pilgerfahrt" durchleben.
Der Film wird unter manchen Filmhistorikern heute als eines der großen
Frauen-Dramen der 1930er Jahre gefeiert. Ford inszeniert das letzte
Drittel, die eigentliche Pilgerfahrt der Hannah Jessop, fast wie im
Märchen. Er schenkt ihr Absolution, er meint es gut mit ihr. Fords
Mutter starb während der Dreharbeiten. Da er ihr sehr verbunden war,
sehen Biographen da einen Zusammenhang. Interessant bei dieser
Betrachtung war für mich, dass ich den Film zwar durchaus in einigen
Momenten bewegend fand, er mich im Großen und Ganzen aber eher auf der
rationalen Ebene hatte. Meine Frau hingegen kam irgendwann aus dem
Heulen nicht mehr raus. Fast habe ich das Gefühl, FLEISCH war der
emotionale Film für die Männer, PILGRIMAGE der für die Frauen. Als
ebenfalls wichtiger Stepstone für Fords Karriere wird dem Film
angerechnet, dass er etwas aufzeigt, was damals so noch nicht
wahrgenommen wurde, was unter vielen Hollywood-Regisseuren aber langsam
Konsens wurde. John Ford war der vielleicht einzige Regisseur, dessen
persönlicher Stil nicht verschwinden musste und der trotzdem alles
inszenieren konnte.
Das Leben auf "Three Cedars" erscheint zunächst wie ein Traum
Hannah Jessop will nicht zulassen, dass ihr Sohn in den Armen einer anderen liegt
Kurz vorm Ausrücken erfährt Jim, dass Mary schwanger ist
Nachdem Hannah erfährt, dass ihr Sohn gefallen ist, versucht sie das
einzige Foto, das sie von ihm hat und welches sie aus Wut zeriss, wieder
zusammenzusetzen.
Mary reicht Hannah einen Blumenstrauss und fleht, Hannah möge ihn auf
das Grab legen. Mit eiserner Hand - Ford lässt in diesem Moment das
Pfeifen der Lok ertönen und zu einem Kreischen werden - ergreift Hannah
den Strauss.
Am Abreisehafen in New York kommen Hunderte von Müttern zusammen. Ford
macht den "melting pot" Amerika deutlich, da auf dieser Bank eine
italienische, eine irische und eine deutsche Mutter sitzen.
Auch schon 1928. Eine Mischung aus Andenken und Sensationsgier, als man den Spuren des Krieges folgt
Im letzten Drittel des Films widerfährt Hannah etwas geradezu
Märchenhaftes. Sie hat die Chance für andere alles gut zu machen. Dabei
wird die Pilgerfahrt in die Ferne endgültig die Pilgerfahrt in ihr
Inneres. Sie durchlebt ihr Trauma als Schatten der Vergangenheit.
Hannah Jessop hat sich mit ihren Dämonen, der Ambivalenz des
Mutter-Sohn-Verhältnisses, auseinandergesetzt. Von ihrem Sohn bleibt ihr
nur noch ein Grab
Sehr schöne Retrospektive zu einem Regisseur, dessen riesiges Werk für mich leider immer noch in weiten Teilen unentdecktes Land ist. Macht direkt Lust, dort mal auf Entdeckungsreise zu gehen. Erst einmal freue ich mich aber auf die Fortsetzung hier … :-)
AntwortenLöschenVielen Dank. Leider sind von Fords mehr als 140 Filmen, davon allein 131 Spielfilme, nur noch 78 aufzutreiben. Aber auch das ist natürlich ein Berg. Ich versuche hierbei mal ausnahmsweise am Ball zu bleiben ;)
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