Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 18. Juni 2014

DIE LETZTE PATROUILLE

DIE LETZTE PATROUILLE

Tonfilm Nr. 13: John Ford drehte 1933 mit PILGRIMAGE und DR. BULL zwei Filme für die FOX, den dritten, der erst 1934 veröffentlicht wurde, realisierte er in seiner ersten Zusammenarbeit mit der RKO. Die RKO galt damals als Produktionsfirma, die ihren Regisseuren mehr Freiraum ließ und so lässt sich eher sagen, dass nicht Ford den Film für die RKO realisierte, sondern die RKO es Ford ermöglichte einen Film ganz nach seinem Gusto umzusetzen. Und so macht Ford auf einer Linie weiter, die er mit MEN WITHOUT WOMEN und AIR MAIL begonnen hatte. Anders als bei den genannten, sind die Ereignisse im großen Rahmen zwar in WWI inkludiert, doch tatsächlich erzählt Ford ein existenzialistisches Wüsten-Drama, in dem über weite Abschnitte nicht einmal die als anonyme Bedrohung irgendwo in den Sanddünen versteckten Araber eine Rolle spielen. Erzählt wird die Geschichte einer Patrouille, die einen ominösen Geheimauftrag hat, den nur der Leutnant kennt. Der Film beginnt damit, dass der Leutnant ins Bild reitet und erschossen wird. So! Und nun weiß niemand irgendwas. Der Unteroffizier muss das Regiment übernehmen, lässt formieren und weitermarschieren. Aber wohin? Er zieht eine Person ins Vertrauen, die er darüber informiert, dass auch er nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, geschweige denn, was genau der Auftrag gewesen wäre. Aber er will es den anderen nicht sagen, da sie sonst durchdrehen würden. Und so marschiert der Haufen durch eine leergefegte Wüste, welche die Realität zunehmend unwirklicher erscheinen lässt. Sie rennen und stolpern vorwärts, links, rechts, vorne, hinten, alles sieht irgendwann gleich aus und irgendwo ist der Feind, der sich immer wieder durch den ein oder anderen abgeschossenen Soldaten bemerkbar macht. Es muss also weitergehen. Rasten ist keine Option, da man entweder verdurstet oder abgeknallt wird. Und da steht sie dann plötzlich mitten in der Wüste: eine Oase, mit einem kleinen Haus. Wie die Kinder rennen sie darauf zu und dies wird auch eines der vielen Stadien sein, die sie psychisch durchlaufen werden. Endlich mit Wasser versorgt, kommen die Soldaten zu sich und Stück für Stück wird jeder von ihnen von einer Patrouille/Gruppe zu einem Individuum, das seine ganz persönliche Geschichte hat. Es wird viel erzählt, es wird gestichelt, es wird gekämpft, es wird gehasst und es werden Zuneigungen aufgebaut, manche drehen durch, andere hauen ab. Aber eines ist für alle sicher: an diesem Ort werden sie sterben.

DIE LETZTE PATROUILLE ist, anders als Filme wie ARROWSMITH, der Ford seinerzeit mehr Ansehen in der Branche verschaffte, der nächste gravierende Schritt in seinem künstlerischen Schaffen, nicht nur immer mehr bei sich selbst anzukommen und sich von seinen großen Einflüssen, Griffith und Murnau, zu emanzipieren, sondern auch etwas zu schaffen, was es so im Kino vorher nicht gab. Der historische Konflikt des Ersten Weltkrieges spielt hier praktisch keine Rolle. Er ist lediglich als Aufhänger im Hintergrund, damit man eine plausible Erklärung dafür hat, warum 10 Männer planlos durch die Wüste rennen und beschossen werden. Tatsächlich geht es im Folgenden auch nicht - zumindest nicht ausschließlich - um die Inszenierung von Action- oder anderen Spannungsszenen. Es geht um die psychologische Formung der Figuren, um Innenansichten und ihr ständiger Rückbezug zu den gerade stattfindenden, unwirklich erscheinenden Ereignissen. Die Geschichten, die sich die Männer erzählen und die manchmal mit so viel Leben erzählt werden, dass sie schon vor dem inneren Auge aufsteigen, erscheinen mehr wie die eigentliche Welt, als die Realität, mit der sich die Soldaten immer wieder konfrontieren müssen. Man wähnt sich fast wie in einem Stück von Ionesco oder Beckett, nur 10 - 20 Jahre früher. Ein Kammerspiel in der Endlosigkeit der Wüste.

Der Leutnant reitet von links nach rechts in den Bildausschnitt. Sein Schatten verlängert sich in der Bewegung und scheint nach dem tödlichen Schuss noch vor dem Leutnant zu fallen

Eingefügtes Bild

Zu Beginn haben wir noch eine Gruppe, die als Einheit funktioniert, wie an der Karo-Auffächerung des Wüstensandes im Vergleich zu den geraden Linien herum, erkennbar ist. Danach wird Ford in Close-Ups und schnellen Reißschwenks die Individuen hervorheben

Eingefügtes Bild

Nach jeder Meile und jeder Düne wirkt die Wüste endloser und surrealer. Doch irgendwo da muss ein Feind sein

Eingefügtes Bild

Kindliche Freude, inklusive Nassplätschern, beim Finden der Wasserstelle

Eingefügtes Bild

"Der Sergeant" und Abelson kommen sich näher. Am nächsten Morgen wird der Junge tot sein

Eingefügtes Bild

Sanders, den einzig Gottesfürchtigen der Patrouille, erwischt der schleichende Wahnsinn am Schlimmsten

Eingefügtes Bild

Er findet sein Ende im Glauben der Heiland zu sein. Die Filmhistorikern Kristin Thompson sieht hier die bis dahin grenzsprengendste Einstellung des amerikanischen Kinos. Die Komplexität der thematischen Aufladung dieser Szene bündelt religiösen Irsinn, religöse Erlösung, religiöse Missionierung, psychiatrische Störungsbilder, Ikonendarstellung und die Banalität der Realität, wenn Sanders, auf dem Gipfel der Düne angekommen, einfach abgeknallt wird

Eingefügtes Bild

"Der Sergeant" gräbt, da er als letzter übrig ist, sein eigenes Grab

Eingefügtes Bild

Hier werden Innen und Außen endgültig eins. "Der Sergeant" hat vier Araber erschossen, von denen Ford offen lässt, ob sie die Schützen waren. "Der Sergeant" schreit hysterisch im Triumphgefühl die Namen seiner Kameraden, doch Ford schneidet immer nur auf die Gräber

Eingefügtes Bild

Doch plötzlich kommt ein einzelner Araber aus einer völlig anderen Richtung und schießt auf den "Sergeant". Durch die unterschiedliche Kleidung der vier anderen, die alle gleich gekleidet waren, durch die andere Kamerapositon und die Perspektive, besteht die Frage, ob "der Sergeant" eventuell nur vier Reisende erschossen hat, oder sie vielleicht auch nur seiner Einbildung entsprangen. Die Konfrontation nur mit diesem einen Mann, der all seine Kameraden getötet haben soll, lässt ihn die Welt nicht mehr verstehen

Eingefügtes Bild

2 Kommentare:

  1. So, jetzt hatte ich die Zeit, die Artikel alle zu lesen, und DIE LETZTE PATROUILLE ist der erste Film, den ich schon kenne. Dabei habe ich auch schon über 30 Ford-Filme gesehen (dem Fernsehen früherer Jahrzehnte sei's gedankt). Das war ja eine echte Energieleistung, gleich ein gutes Dutzend Artikel zu schreiben, vielen Dank dafür! Aber Du hast ja auch schon früher viel über Ford gebracht.

    Übrigens ist der Artikel über ARROWSMITH nicht auf den Hauptseiten des Blogs zu finden. Wenn er nicht in 2 oder 3 der anderen Artikel verlinkt wäre, könnte man ihn leicht übersehen.

    AntwortenLöschen
  2. Vielen Dank für Deine lobenden Worte :)

    Über Fords Filme zu schreiben ist im Moment auch das einzige, worüber ich Lust habe zu schreiben. Unter den in Hollywood tätigen Regisseuren der klassischen Ära ist allenfalls Hitchcock noch so ergiebig. Ein wenig noch Grifftih, Chaplin oder Hawks.

    Komischerweise wird der Eintrag zu ARROWSMITH nur angezeigt, wenn man sich rückwärts durchs Blog liest, nicht wenn man sich vorwärts durchs Blog klickt. Ich muss mich auch erst mal wieder mit dieser Technik vertraut machen, vielleicht finde ich dann den Fehler. :)

    AntwortenLöschen