DIE LETZTE PATROUILLE
Tonfilm Nr. 13: John Ford drehte 1933 mit PILGRIMAGE und DR. BULL zwei
Filme für die FOX, den dritten, der erst 1934 veröffentlicht wurde,
realisierte er in seiner ersten Zusammenarbeit mit der RKO. Die RKO galt
damals als Produktionsfirma, die ihren Regisseuren mehr Freiraum ließ
und so lässt sich eher sagen, dass nicht Ford den Film für die RKO
realisierte, sondern die RKO es Ford ermöglichte einen Film ganz nach
seinem Gusto umzusetzen. Und so macht Ford auf einer Linie weiter, die
er mit MEN WITHOUT WOMEN und AIR MAIL begonnen hatte. Anders als bei den
genannten, sind die Ereignisse im großen Rahmen zwar in WWI inkludiert,
doch tatsächlich erzählt Ford ein existenzialistisches Wüsten-Drama, in
dem über weite Abschnitte nicht einmal die als anonyme Bedrohung
irgendwo in den Sanddünen versteckten Araber eine Rolle spielen. Erzählt
wird die Geschichte einer Patrouille, die einen ominösen Geheimauftrag
hat, den nur der Leutnant kennt. Der Film beginnt damit, dass der
Leutnant ins Bild reitet und erschossen wird. So! Und nun weiß niemand
irgendwas. Der Unteroffizier muss das Regiment übernehmen, lässt
formieren und weitermarschieren. Aber wohin? Er zieht eine Person ins
Vertrauen, die er darüber informiert, dass auch er nicht weiß, wohin die
Reise gehen soll, geschweige denn, was genau der Auftrag gewesen wäre.
Aber er will es den anderen nicht sagen, da sie sonst durchdrehen
würden. Und so marschiert der Haufen durch eine leergefegte Wüste,
welche die Realität zunehmend unwirklicher erscheinen lässt. Sie rennen
und stolpern vorwärts, links, rechts, vorne, hinten, alles sieht
irgendwann gleich aus und irgendwo ist der Feind, der sich immer wieder
durch den ein oder anderen abgeschossenen Soldaten bemerkbar macht. Es
muss also weitergehen. Rasten ist keine Option, da man entweder
verdurstet oder abgeknallt wird. Und da steht sie dann plötzlich mitten
in der Wüste: eine Oase, mit einem kleinen Haus. Wie die Kinder rennen
sie darauf zu und dies wird auch eines der vielen Stadien sein, die sie
psychisch durchlaufen werden. Endlich mit Wasser versorgt, kommen die
Soldaten zu sich und Stück für Stück wird jeder von ihnen von einer
Patrouille/Gruppe zu einem Individuum, das seine ganz persönliche
Geschichte hat. Es wird viel erzählt, es wird gestichelt, es wird
gekämpft, es wird gehasst und es werden Zuneigungen aufgebaut, manche
drehen durch, andere hauen ab. Aber eines ist für alle sicher: an diesem
Ort werden sie sterben.
DIE LETZTE PATROUILLE ist, anders als Filme wie ARROWSMITH, der Ford
seinerzeit mehr Ansehen in der Branche verschaffte, der nächste
gravierende Schritt in seinem künstlerischen Schaffen, nicht nur immer
mehr bei sich selbst anzukommen und sich von seinen großen Einflüssen,
Griffith und Murnau, zu emanzipieren, sondern auch etwas zu schaffen,
was es so im Kino vorher nicht gab. Der historische Konflikt des Ersten
Weltkrieges spielt hier praktisch keine Rolle. Er ist lediglich als
Aufhänger im Hintergrund, damit man eine plausible Erklärung dafür hat,
warum 10 Männer planlos durch die Wüste rennen und beschossen werden.
Tatsächlich geht es im Folgenden auch nicht - zumindest nicht
ausschließlich - um die Inszenierung von Action- oder anderen
Spannungsszenen. Es geht um die psychologische Formung der Figuren, um
Innenansichten und ihr ständiger Rückbezug zu den gerade stattfindenden,
unwirklich erscheinenden Ereignissen. Die Geschichten, die sich die
Männer erzählen und die manchmal mit so viel Leben erzählt werden, dass
sie schon vor dem inneren Auge aufsteigen, erscheinen mehr wie die
eigentliche Welt, als die Realität, mit der sich die Soldaten immer
wieder konfrontieren müssen. Man wähnt sich fast wie in einem Stück von
Ionesco oder Beckett, nur 10 - 20 Jahre früher. Ein Kammerspiel in der Endlosigkeit der Wüste.
Der Leutnant reitet von links nach rechts in den Bildausschnitt. Sein
Schatten verlängert sich in der Bewegung und scheint nach dem tödlichen
Schuss noch vor dem Leutnant zu fallen
Zu Beginn haben wir noch eine Gruppe, die als Einheit funktioniert, wie
an der Karo-Auffächerung des Wüstensandes im Vergleich zu den geraden
Linien herum, erkennbar ist. Danach wird Ford in Close-Ups und schnellen
Reißschwenks die Individuen hervorheben
Nach jeder Meile und jeder Düne wirkt die Wüste endloser und surrealer. Doch irgendwo da muss ein Feind sein
Kindliche Freude, inklusive Nassplätschern, beim Finden der Wasserstelle
"Der Sergeant" und Abelson kommen sich näher. Am nächsten Morgen wird der Junge tot sein
Sanders, den einzig Gottesfürchtigen der Patrouille, erwischt der schleichende Wahnsinn am Schlimmsten
Er findet sein Ende im Glauben der Heiland zu sein. Die Filmhistorikern
Kristin Thompson sieht hier die bis dahin grenzsprengendste Einstellung
des amerikanischen Kinos. Die Komplexität der thematischen Aufladung
dieser Szene bündelt religiösen Irsinn, religöse Erlösung, religiöse
Missionierung, psychiatrische Störungsbilder, Ikonendarstellung und die
Banalität der Realität, wenn Sanders, auf dem Gipfel der Düne
angekommen, einfach abgeknallt wird
"Der Sergeant" gräbt, da er als letzter übrig ist, sein eigenes Grab
Hier werden Innen und Außen endgültig eins. "Der Sergeant" hat vier
Araber erschossen, von denen Ford offen lässt, ob sie die Schützen
waren. "Der Sergeant" schreit hysterisch im Triumphgefühl die Namen
seiner Kameraden, doch Ford schneidet immer nur auf die Gräber
Doch plötzlich kommt ein einzelner Araber aus einer völlig anderen
Richtung und schießt auf den "Sergeant". Durch die unterschiedliche Kleidung der vier anderen, die alle gleich gekleidet waren, durch die andere Kamerapositon
und die Perspektive, besteht die Frage, ob "der Sergeant" eventuell nur
vier Reisende erschossen hat, oder sie vielleicht auch nur seiner
Einbildung entsprangen. Die Konfrontation nur mit diesem einen Mann, der
all seine Kameraden getötet haben soll, lässt ihn die Welt nicht mehr
verstehen
So, jetzt hatte ich die Zeit, die Artikel alle zu lesen, und DIE LETZTE PATROUILLE ist der erste Film, den ich schon kenne. Dabei habe ich auch schon über 30 Ford-Filme gesehen (dem Fernsehen früherer Jahrzehnte sei's gedankt). Das war ja eine echte Energieleistung, gleich ein gutes Dutzend Artikel zu schreiben, vielen Dank dafür! Aber Du hast ja auch schon früher viel über Ford gebracht.
AntwortenLöschenÜbrigens ist der Artikel über ARROWSMITH nicht auf den Hauptseiten des Blogs zu finden. Wenn er nicht in 2 oder 3 der anderen Artikel verlinkt wäre, könnte man ihn leicht übersehen.
Vielen Dank für Deine lobenden Worte :)
AntwortenLöschenÜber Fords Filme zu schreiben ist im Moment auch das einzige, worüber ich Lust habe zu schreiben. Unter den in Hollywood tätigen Regisseuren der klassischen Ära ist allenfalls Hitchcock noch so ergiebig. Ein wenig noch Grifftih, Chaplin oder Hawks.
Komischerweise wird der Eintrag zu ARROWSMITH nur angezeigt, wenn man sich rückwärts durchs Blog liest, nicht wenn man sich vorwärts durchs Blog klickt. Ich muss mich auch erst mal wieder mit dieser Technik vertraut machen, vielleicht finde ich dann den Fehler. :)