JUDGE PRIEST
Tonfilm Nr. 15: JUDGE PRIEST ist, anders als DR. BULL, die Entführung in
eine Traumwelt (die Brennweite taucht den Film immer in eine verklärte Unschärfe). Es ist eine Welt, wie die Süd-Staaten nie gewesen sind.
Und gleichzeitig wird ihre Lebensart genau getroffen. Nur in so einem
Film kann man Schwarze zeigen, die glücklich in ihrer Dienstboten-Rolle
sind, und man empfindet es als vollkommen in Ordnung. Nur in dieser
Darstellung eines so nie gewesenen Südens, in dieser Verklärung, kann
sich die absolute Wahrhaftigkeit zeigen. Auch spielt Will Rogers hier
nicht ruppig und abweisend, sondern fast etwas verträumt, mit
schauspielerischem Stotter-Sprech. Abgesehen davon, dass Ford hier in
die Verengung drängt, nach einem ausufernden Film wie DAS LEBEN GEHT WEITER, bricht er die konventionelle Narration auf und lässt Priest als
Verbindungsglied sämtliche Handlungsstränge nicht nur durchlaufen, sie
durchziehen ihn. Mit einem absichtlich zu weiten Croquet-Schlag stößt er
Ereignisse an, mit einer absichtlichen Emotionalisierung durch draußen
gespielte Musik, während drinnen der Prozess läuft, manipuliert er die
Jury und lässt Ford intra- und extradiegetische Ebene reziprok
zusammenfallen. Man kann über den umstrittenen schwarzen Filmkritiker
Armond White denken was man will. Er bezieht klar Stellung gegen
Rassismus. In JUDGE PRIEST sieht er ein Meisterwerk der Ehrlichkeit über
das Leben der Schwarzen im Süden, wie es das Kino bis heute nicht mehr
erreicht hat. Abgesehen von dieser Einschätzung ist die Leichtigkeit und
gleichzeitige Perfektion des Films einfach nur verzaubernd. Der
Gleichfluss des Lebens mit all seinen Schattierungen.
Der Film beginnt für einen Hollywood-Film seiner Zeit ungewöhnlich.
Statt der Einblendung des Firmenlogos oder der Credits, ruft Priest erst
mal zur Ruhe
Priest liest während des Prozesses lieber die Comic-Strips
Der Angeklagte, Jeff Poindexter, ist eingeschlafen
Strukturen des absurden Theaters. Statt eines Richterspruchs, blendet
Ford mitten aus der Verhandlung in eine andere Szene und der Prozess wird
dadurch aufgelöst, dass Richter und Angeklagter zusammen fischen gehen
Priests Neffe Jerome und Ellie May, die im Ort geächtet wird, müssen auch noch zusammengebracht werden
Die Spiegelung in die andere Welt. Priest hat seine komplette Familie schon vor vielen Jahren verloren
Ford erkannte das Potenzial von Hattie McDaniel und drehte mit ihr
zusätzliche Szenen, die nicht vorgesehen waren. Dieser Film wurde ihr
großer Durchbruch
Priest wird für den wichtigsten Prozess des Dorfes als befangen
abgelehnt. Unter dem Bild Robert E. Lees beschwört er den stolzen Kampf
des Südens und sagt den wichtigen Satz: "When I quit fighting in '65,
for what we thought, it was right."
Nach seiner Ansprache platziert Priest den richtigen Zeugen. Historie
wird durch die Überblendung in Einklang verschmolzen, wenn über die
Rekrutierung Strafgefangener im Sezessionskrieg gesprochen wird.
Gleichzeitig gibt Ford Verweise auf das amerikanische Rechtssystem,
welches, wenn Beweise fehlen, nur über Integrität funktionieren kann.
Auf filmhistorischer Ebene haben wir eine Intertextualität, weil der
Zeuge von Henry B. Walthall gespielt wird, der einen Süd-Staaten-Colonel
in Griffiths DIE GEBURT EINER NATION gespielt hat
Priests Taktik geht auf. Er steigert die emotionale Rede des Zeugen, in
dem er draußen den Dixie spielen lässt. Die Jury merkt gar nicht, wie
sie eingelullt und beeinflusst wird
Priest ruft Jeff Poindexter zu, dass er das großartig gemacht hat. Er
hatte ihm dafür seinen Waschbären-Pelz versprochen, doch jetzt könne er
auch seine weiße Weste haben. Jeff zeigt lachend, dass er die doch schon
längst trägt
In Fords nicht näher benanntem Märchen-Ort marschieren bei der
Reunion-Parade zum Stolz des Südens Schwarz und Weiß gemeinsam. Die
schwarzen Kinder als Symbol einer neuen Hoffnung
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